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Am Flughafen Moskau Vnukowo vertreibe ich mir die Zeit bis zum Kasachstan-Flug mit Zeitunglesen, Gedanken nachhängen und Studieren meines Kamelbuches, schließlich hoffe ich, die Viecher auf einer echten Kamelfarm aus der Nähe kennenzulernen.

Mein Hirn wirft mich ein halbes Jahr zurück und erinnert mich an den Start meiner Tour durch Südamerika. Ich merke, dass ich die ganzen Erlebnisse noch nicht verarbeitet habe und frage mich, warum ich eigentlich schon wieder auf Achse bin. Viele Schubläden sind noch offen, überall schwirrt Reisegewimmel herum, das eigentlich noch irgendwo hingepackt werden möchte.
Und während das Licht der langsam untergehenden Sonne über den Rollfeldern durch die riesigen Fenster Romantik in die Halle wirft, fühle ich mich irgendwie einsam und frage mich, ob mein zwanghafter Drang zu neuen Ufern diesmal ein Fehler war.

Ich frage mich, wo mein Gepäck gerade abgeladen wird und ob ich es je wiedersehe. Immerhin gehöre ich zur vorsichtigeren Fraktion und habe so gepackt, dass ich im Notfall mit meinem Handgepäck überleben kann.

Nach 6 unglaublich langwierigen Stunden geht mein Flug nach Shymkent.

Shymkent

Nach deutscher Zeit komme ich um 2 Uhr nachts an, da die Ortszeit aber 6 Uhr früh ist und ich anschließend nicht zum Schlafen kommen werde, bin ich froh, dass das Flugzeug fast leer ist und ich mich hier für wenigstens zwei Stunden lang machen und ein bisschen schlafen kann.

Lichter von Moskau

Lichter von Moskau

Verschlafen stolpere ich aus dem Flughafen. Die Ausländer müssen erstmal einen Zettel ausfüllen und sich anschließend in Reihe vor dem Passkontrollschalter aufstellen.
Völlig fasziniert bin ich vom Gebaren der anscheinend gepflogenheitskundigeren Passagiere hier: Vortreten, auf dem Absatz eine Vierteldrehung, dem Kontrolleur den Pass mit ausgestrecktem Arm durch die Glasscheibenöffnung reichen, einen Schritt zurückweichen bis zur roten Markierung, Gesicht ein bisschen nach oben und die Augen auf die Kamera unter der Decke gerichtet. Ich habe etwa eine halbe Stunde und 30 Leute lang Zeit, mir das Prozedere einzuprägen, es läuft erstaunlicherweise immer exakt gleich ab. Außerdem gilt vor der Passkontrolle die traditionelle Art des Vordrängelns, inklusive schubsen und rütteln. Jetzt komme ich mir vor wie ein konservativer Hippie.

Welcome to Kasachstan

Meine Kontrolle läuft nicht besonders gut.
„You! Tourist?“
„Yes.“
„You! Business?“
„No business, Tourist.“
Jetzt wird ein russischer Wortschwall über mir ausgekippt und entrüstet der Pass unter die Nase gehalten. Eine deutschsprechende Russin übersetzt mir, dass ich ein falsches Visum habe, ein Business-Visum. Da hat offensichtlich der mir von meiner Touristenorganisation empfohlene Visum-Besorger-Mann einen Fehler gemacht. Dass ein Business-Visum mehr kostet als ein Touristenvisum kümmert den Passkontrolleur wenig.
„No go. Problem! No go.“
Die Übersetzerin sagt, ich solle den Mann anrufen, der mir das Visum besorgt hat. Ich sage nein, denn was soll der denn helfen, außerdem ist telefonieren nach Deutschland teuer und es ist mitten in der Nacht. Sturstellen ist immer ne gute Idee. Ich sage außerdem, dass Mischa, mein Guide, draußen steht und auf mich wartet, den sollen sie doch bitte holen.
„Mischa? Mischa was?“
„Ich kenne seinen Nachnamen nicht.“

Jajaja. Erst immer auf total locker und lässig und das-wird-schon und Nachnamen-sind-nicht-notwendig-wir-sind-alle-Freund machen, und dann das totale Beamtentum rauskehren. Schon klar. Die Russin rümpft die Nase, „Tsstsstsss!“, und wirft mir einen verächtlichen Blick zu, den ich dermaßen anmaßend finde, dass ich mein bösestes Gesicht aufsetze und ihr ab jetzt befehle, was sie dem Beamten sagen soll.
„Sie sollen gehen und nach Mischa fragen!“
Ich bin sicher, da draußen steht sonst kein Mensch mehr, das hier ist ein winziger Flughafen im Nirgendwo morgens um 6 Uhr früh.
Ich soll mich setzen. Dahinten hin. Warten. (Und mich vermutlich nicht bewegen.)

Nach sowjetisch-kurzen 10 Minuten erscheinen zwei andere Beamte mit einem freundlich aussehenden Typen in der Tür. Er lächelt mir zu, nickt und fängt an, mit dem Passkontrolleur zu diskutieren: Mischa! Meine Rettung.
Tatsächlich diskutiert Mischa offensichtlich vehement, nach einer weitere Viertelstunde werde ich zum Beamten gerufen, der mir meinen Pass gibt mit den Worten: „You! Business!“ Ich sage „OK“, nicke, lächle, nehme den Pass und folge Mischa. Vor der Tür steht mein Gepäck! Ich muss mich zusammenreißen, um keine Jubelschreie auszustoßen, damit hatte ich jetzt eigentlich nicht mehr gerechnet.
Mischa kichert: „Welcome to Kasachstan!“

Und während wir die 100 Kilometer zu „unserem“ Dorf fahren, sehe ich durch die steinschlaggepeitschte Windschutzscheibe des uralten Autos das erste Mal die kasachische Sonne aufgehen.

Sonnenaufgang durch Autoscheibe

Sonnenaufgang in Shymkent, Kazachstan. Endlich!

Tyulkubas, östlich von Shymkent, 17 Uhr Ortszeit.

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