Moskau Vnukowo Flughafen, 16 Uhr Ortszeit.
Dem Stern der Reise ist eindeutig schlecht. Heute früh, eine Stunde vor Abfahrt, erhalte ich eine aufgeregte E-Mail von meinem Kasachstan-Kontakt: Ob ich erst morgen käme, der Guide hätte eben angerufen und ich sei nicht am Flughafen in Shymkent.
WAS??
Hektisches Nachschauen ergibt, dass ich leider Abflugs- und Ankunftstag vermischt habe: der Wochentag stimmte, das Datum nicht. Ist leider niemandem aufgefallen. Mit Magengrummeln fahre ich zum Tegeler Flughafen. Ich bin nicht nur sowieso immer nervös am Abreisetag – hier führt mich meine Reise ins Blaue, ich habe kaum einen Schimmer, was mich erwartet, und jetzt wartet auch noch ein angesäuerter Guide auf mich, der heute früh um 4 Uhr 130 km umsonst zum Flughafen im Taxi gefahren ist – und wieder zurück.Am Flughafen Tegel dann die nächste Überraschung: Wo denn mein Russland-Visum sei. Ich habe keins, ich möchte ja auch nicht nach Russland, sondern nach Kasachstan, und habe extra darauf geachtet, dass Ankunfts- und Abflugflughafen übereinstimmen.
Das sei aber sehr ungewöhnlich, meinte die Lufthansa-Dame, dass man dann die Flüge getrennt bucht. Den Hinweis, dass das vielleicht für Lufthansa-Damen ungewöhnlich ist, aber nicht für Kleingewöhnliche wie mich, die sich so die Hälfte des Flugpreises sparen, verkneife ich mir.
Nach einer halben Stunde Telefonkonferenz ruft sie mir freudestrahlend zu, es sei alles geklärt, hier mein Ticket, und nächstes Mal solle ich aber die Flüge zusammen buchen. Ja aber… freie Marktwirtschaft und so… egal, ich belasse es lieber bei meiner Verwunderung im Stillen. Als ich ins Flugzeug steige, habe ich immer noch ein flaues Gefühl und die leise Ahnung, dass die Dame am Schalter sich das einfacher vorstellt, als es sein wird.
Das Wetter ist wunderschön. Als das Flugzeug abhebt, wird mir bewusst, dass ich noch nie nach Osten geflogen bin. Nach Norden, ja, und nach Westen und Süden natürlich, aber noch nie nach Osten.
Geprägt durch meine westdeutsche Kindheit und meine Generation denke mir alles Östliche viel exotischer als den Rest, fremder noch als Afrika oder Grönland. Kasachstan also. Mein erstes Mal Asien.
Von Moskau sehe ich leider wenig, der Flughafen ist zu weit von der Stadt entfernt, aber die Häuser sehen irgendwie alle bunter aus.
Moskau
Aus dem Flugzeug steigend achte ich penibel darauf, dem „Transit“ zu folgen, denn mir ist klar, dass ich Schwierigkeiten bekomme, sollte ich plötzlich außerhalb dieser Zone stehen. Doch da hätte ich mir keine Gedanken machen müssen: An jeder Tür steht eine Passkontrolle.
Am Transaero-Schalter wäre ich fast in dem dunklen, einsamen Gang vorbeigelaufen, aber die Damen halten mich netterweise sofort auf. Von den sechs Zuständigen spricht eine leidlich Englisch, was sich allerdings eher aufs Reden beschränkt, wie ich schnell feststelle.
Schon nach kurzer Zeit ist klar, dass meine Ahnung richtig war. Wo genau das Problem ist, kann mir die lächelnde Russin zwar nicht erklären, aber sie ist sich völlig sicher, dass ich hier nicht weitergehen darf, denn ich habe kein Visum. Auf mein Zeigen auf das Schild „Transit“ hin erklärt sie etwas zu meinem Gepäck und dem 2. Stock, von wo ich abfliegen muss. Ihre Ausführungen beendet sie stets mit einem entschiedenen „njet“. Mein Hinweis, dass das Gepäck durchgecheckt worden sei, interessiert sie wenig. „Shymkent Via Moskau“ auf dem Gepäckschein versteht sie zwar, aber sie scheint an der Fähigkeit von Transaero zu zweifeln, die Weiterleitung des Gepäcks zu organisieren.
Wir einigen uns darauf, dass es auf den Versuch ankommt – aber weitergehen darf ich trotzdem nicht. Wo ist jetzt noch das Problem?
Nach einer weiteren Stunde und gefühlten 10 Telefonaten und personellen Beratungen stellt sie mir ein Ticket aus mit dem Hinweis „Wenn Shymkent kein Gepäck, dann Brief schreiben“.
Öh, achso? Und wohin soll ich dann einen Brief schreiben?
„I am Sorry.“
Ja, ich auch, meine Liebe, ich auch. Und ich freue mich jetzt schon auf den Rückflug.
Ich füge mich also meinem Schicksal, wissend, dass der Guide mich umbringen wird, wenn das Gepäck nicht da ist und er noch einen Tag in Shymkent herumhängen muss. Nach dem Ticket gibt es dann eine erneute Pass- und Handgepäckkontrolle. Außer mir ist niemand da, die riesigen Flure und Hallen scheinen für den wenigen Verkehr völlig überdimensioniert.
Eine Rolltreppe weiter werde ich von einer stirnrunzelnden Dame aufgehalten. NEIN! Wirklich, ich kann Stirnrunzeln jetzt echt nicht mehr gebrauchen. Aber sie möchte nur meinen Pass kontrollieren, natürlich, und ich muss langsam mein Grinsen unterdrücken. Sowjetunion war gestern? Von wegen. Die Dame schließt nun extra ihren Glaskäfig auf, um mich und meinen Pass von der anderen Glasscheibenseite aus zu begutachten. Hinter ihrem Tresen stempelt sie dreimal energisch und ich freue mich, für den ganzen Zoo wenigstens ein paar russische Stempel in den Pass zu bekommen. Als sie die Metalljalousie vom Durchgang herauflässt, komme ich mir vor wie bei der Life-Aufführung der Öffnung des eisernen Vorhangs.
Im Duty-Free-Bereich angekommen schmule ich verstohlen in meinen Reisepass: Es ist kein einziger Russischer Stempel drin.