Der Kopf schwirrt noch, die Fotos der letzten Tage sind kaum gesichtet, die Kamelspucke hängt noch in meinem Hemd. Meine Reise durch den Süden Kasachstans war mit Sicherheit die anstrengendste Reise, die ich je gemacht habe. Eine Reise, welche die meisten Grenzüberschreitungen von mir gefordert hat.

Reise durch Kasachstans Süden: Shymkent

Tolle Landschaftsbilder habe ich so gut wie nicht vorzuweisen, denn der Plan, in der ersten Hälfte die Natur mit einem Guide zu entdecken, fiel dem Wetter zum Opfer, das einfach unterirdisch war – Regen und Sturm, so krass habe ich das seit 10 Jahren nicht mehr erlebt.

Dorfbummel in Kasachstan

Kurzer Dorfbummel zwischen den Regengüssen

Ein Ausflug in die Berge war deshalb nicht möglich, mein Guide eindeutig ein Naturbursche, und so mangelte es ihm wohl etwas an Notfallplänen oder kreativen Ideen oder auch Interesse an anderen Unternehmungen. Immerhin ging es am ersten Tag, bevor der Sturm losbrach, in ein wirklich schönes Naturschutzgebiet. Ein anderes Mal gabs ein bisschen Gruselvorstellung, als mitten im Berg die funktionierende Taschenlampe ausfiel. Und ich bekam mehr Bazar-Feeling als ich sonst wohl erlebt hätte.

Stoffe aus Kasachstan

Stoffdetails aus Kasachstan

Zum Khoja Ahmed Yasawi Mausoleum in Türkistan

Dann endlich nach Tagen die erste große Unternehmung zu meinen beiden Highlights:

Einen halben Tag verbrachte ich am wunderschönen Khoja Ahmed Yasawi-Mausoleum in Türkistan, Weltkulturerbe der UNESCO und berühmtes Islamisches Heiligtum, was hier kaum jemandem bekannt ist.

Khoja Ahmed Yasawi Mausoleum in Kasachstan

Wunderschönes Detail des unglaublich beeindruckenden Khoja Ahmed Yasawi-Mausoleums in Türkistan

Dann ging es weiter nach Norden, zum eigentlichen Ziel meiner Reise, einer Kamelfarm.

Auf einer Kamelfarm in Kasachstan

Spätestens ab hier wird es schwierig, meine Gedanken zu ordnen. Hatten mich bis dahin schon viele Eindrücke erschlagen und machte mir zuvor vor allem die absolute Abhängigkeit von meinem Guide zu schaffen, wechselt sich nun Aufregendes und Grenzwertiges mit Unaussprechlichem ab – das erste Mal auf Reisen habe ich Momente, in denen ich einfach nur nach Hause möchte.

Kamelweibchen zum Melken

Ein führendes Kamelweibchen wird zum Melken angebunden – und übel geschlagen

Ich muss mit ansehen, wie eine Kameldame mit einer Eisenstange blutig geprügelt wird und ein kleines Lamm mitten im Hof zwischen all dem Müll der Familie verhungert.

Verhungerndes Kälbchen

Ich wünschte, ich hätte die Chuzpe gehabt, dem kleinen Lamm den Gnadenstoß zu verpassen.

Der kleine Junge des Hauses findet es witzig, nach dem sterbenden Lamm zu treten und schlägt seine Mutter ins Gesicht, wenn er keinen Kaffee bekommt. Er ist 4 Jahre alt.

Junge in Kasachstan

Der kleine Junge liebt das Fotografiert-werden.

Aber es gibt auch eine völlig andere Seite: Als Ehrengast darf ich das Brot brechen und jeden Tag Kamelmilch trinken, sehe dem Jungen zu, der sich wahnsinnig über meine mitgebrachten Spielsachen freut, kann die kleinen Kameljungen an meinem Ellbogen knabbern lassen und lebe in meinem persönlichen Jurassic Park mit den geliebten Kamelen.

Kamele in Kasachstan

Kameljungen auf Tuchfühlung.

Kamele in Kasachstan

Von Ferne sehen die Kamele durch ihr gemächliches Schreiten aus wie Saurier

Wenn ich versuche, in Worte zu fassen, was ich erlebt habe, erinnert mich das Schwanken der Gefühle zwischen hoch und sehr, sehr tief an die Erzählungen jener, die sich eine Weile in Indien aufgehalten haben. Ich war nie sonderlich erpicht auf solcherart grenzüberschreitende Erfahrungen. Gefunden habe ich sie nun in Kasachstan.

Marktfrauen in Kasachstan

Immer wurde ich freundlich und neugierig begrüßt und aufgefordert, Fotos zu machen.

Was bleibt

Kasachstan ist ein sehr gastfreundliches, aber für mich auch sehr schwieriges Land, was auch am Timing gelegen haben mag: Das Wetter spielte so übel mit, wie es die Einheimischen noch nie erlebt hatten. Oder vielleicht lag es auch am Guide, der einfach nicht auf meiner Wellenlänge lag: Seine Lamentiererei, dass „alles jetzt furchtbar schlecht und früher in der UdSSR alles super“ sei hing mir ab dem zweiten Tag wirklich zum Hals raus. Oder vielleicht ist auch der Grund für meine Irritation, dass einige meiner neurotischen Züge tief getroffen wurden, was z.B. die Tischsitten betraf oder die Weigerung, meinen Namen korrekt auszusprechen und mich einfach in „Ina“ umzutaufen (das habe ich schon im Kindergarten gehasst).

Ängste um meine Sachen (leider etwas berechtigt), meine körperliche Unversehrtheit (insbesondere wegen des Freundes der Familie, der morgens um 7 Uhr seinen ersten Wodka herunterspülte und Nachts um 12 seinen letzten, der mich mit seinen verbliebenen Goldzähnen gerne angrinste und anzügliche Gesten machte, hätte ich mein Zimmer gerne abschließen mögen), und mein Leben (Autofahren in Kasachstan!) waren in dieser Intensität neu für mich.
Vieles Gutgemeinte war für mein Wesen ein „Too much“. Das Fremde wurde mir fremder und hinterließ weniger Fragen, als ich es sonst gewöhnt bin. Noch nie habe ich nach einer Reise so lange und so viel geduscht.

Aber die Zeit war definitiv zu kurz für ein annäherndes Urteil. Ich bin irritiert von mir selber und das ist natürlich sehr gut so. Vom Ausbrechen aus der Komfortzone sprechen viele – diesmal ist es mir definitiv gelungen. Zusehen muss ich, die schockierenden Erlebnisse nicht zu Erfahrungen umzudeuten, und Verknüpfungen zu Kasachstan vorsichtig wählen.

Eselskarren in Kasachstan

Eselskarren sind ein völlig normales Fortbewegungsmittel

Ich habe endlich einmal selbst in den Osten geblickt und eigene Bilder im Kopf, nicht die von anderen Reisenden. Viele Menschen haben mich auf der Straße angelacht, und ich bin dort nicht ein einziges Mal aufdringlich blöde angequatscht worden, ganz im Gegenteil: Unendlich viele Male bin ich neugierig gefragt worden, woher ich komme, fröhlich interessierte Aufmerksamkeit wurde mir viel entgegengebracht, so gut wie nie wurde ich als Touristin angebettelt – sieht man von den „professionellen Bettlern“ in den größeren Städten einmal ab.
Kasachstan ist (noch) touristenfrei und es gibt viel zu entdecken. Ich bin nicht sicher, ob ich die Richtige dafür bin, obwohl ich unheimlich gerne Kasachstans Naturschönheiten entdecken würde.

Wir sind keine Freunde geworden, Kasachstan und ich, aber ich werde mich ganz sicher ewig daran erinnern. Und wer weiß, was die Zukunft bringt…

Weiterlesen: