Wind, Gott sei dank. Das nervige Summen der Mücken verstummt sofort und ich kann in Ruhe den Ausblick von meinem Felsen sacken lassen: Eisberge, so weit das Auge reicht. 

Im Sommer 2009 fuhr ich das erste Mal nach Grönland und verliebte mich ins Eis. Allerdings hatte ich keinen Kontakt zu Einheimischen, also beschloss ich, im Jahr 2016 Grönland auf eigene Faust nur mit Zelt zu bereisen und Kontakt zu Einheimischen zu suchen. Mein Ziel: Das kleine Städtchen Ilulissat mit dem grandiosen Kangia-Eisfjord, der hier seine abgletschernden Eisbrocken ins Meer ergießt.

Eisberge am Ilulissat Eisfjord

Eisberge am Ilulissat Eisfjord

Ilulissat und der Eisfjord

Ich stehe auf einem Berg nahe Ilulissat, Westgrönland. Die abgegletscherten Eisberge des Sermeq Kujalleq, des „südlichen Gletschers“, ergießen sich nur wenige Kilometer von hier in die Disco Bucht und schwimmen bedächtig an Ilulissat vorbei. Sie sind so groß, dass sie im flachen Fjord-Becken vor der Stadt steckenbleiben und in unendlicher Langsamkeit von anderen Eisbergen vorwärts gedrückt werden, weiter hinaus in die Baffin Bay. Manche Eisberge schaffen es nicht und schmelzen gleich an Ort und Stelle. Man sagt, der Eisberg, der die Titanic versenkte, sei hier geboren.

Ilulissat hieß früher Jakobshavn, manche Dänen nutzen den Namen noch heute. In Kalaallisut, Grönländisch, bedeutet es einfach das, was diese Stadt am meisten ausmacht: Eisberge.

Eisberg vor Ilulissat

Ein riesiger Eisberg schwimmt langsam in der Mitternachtssonne an Ilulissat vorbei

Eisberge in der Mitternachtssonne in Grönland

Eisberge leuchten in der Mitternachtssonne Grönlands

Je näher man sich dem Gletscher nähert, umso dichter drängt sich das Eis auf dem Wasser, bis sich vor einem eine ganze Eiswüste erstreckt. Wie erstarrt liegt sie da. Morgens, wenn der Nebel zwischen den Eisbrocken hängt und darüber die Wolken schweifen, weiß man nicht, wo das Eis aufhört und der Himmel anfängt.

Ilulissat Eisfjord Grönland

Himmel und Eis: Der Ilulissat Eisfjord ist UNESCO-Weltnaturerbe.

Ich kenne niemanden, der beim ersten Anblick großer Eisberge nicht völlig bezaubert ist. Hier in Ilulissat habe ich mich vor Jahren ins Eis verliebt, genau in jener Sekunde, als ich das erste Mal Eisberge sah. Der Ilulissat-Eisfjord ist heute Weltnaturerbe der UNESCO und wird von einigen Polar-Kreuzfahrten angesteuert. Im Jahr 2009 habe ich so eine Grönland-Reise mit einem Kreuzfahrtschiff gemacht. Für meinen zweiten Besuch habe ich mir vorgenommen, alles individuell zu organisieren, mit Zelt und viel Zeit im Gepäck. Es ist Mitte Juni, die Zeit der Polartage, wenn die Sonne nicht unter den Horizont sinkt.

Polartage in Grönland

Die Helligkeit der Polartage habe ich allerdings völlig unterschätzt. Der schöne rosa gefärbte Himmel über dem Weiß der Eisberge und dem Blau des Wassers zeigt sich erst weit nach Mitternacht. Doch heute ist das ohnehin anders. Es ist 10 Uhr abends und die Mitternachtssonne versteckt sich hinter blöden Wolken.

Eisberg vor grauem Himmel

Weiß-graue Eisberge vor grauem Himmel.

Das macht mich ein klein wenig sauer, obwohl ich eigentlich auf Grautöne stehe. Meine Reise nach Grönland sollte ohnehin ein bisschen anders ablaufen: Weniger Mücken, mehr Kontakt zu Einheimischen, Zeltmöglichkeiten mit Wasserzugang und nun auch noch das Wetter, welches zu meinem Abschied von Ilulissat nicht mitspielen möchte. Morgen reise ich mit der Fähre weiter nach Süden bis Sisimiut, dort wird es kein Eis mehr geben.

Es ist schwierig, so lange wach zu bleiben, am dunkelsten wird es erst gegen 2 Uhr nachts sein. Im Zelt habe ich einen frühen Schlaf- und Tagesrhythmus, denn abends ist einfach nicht viel zu tun, Kneipen gibt es keine, das einzige nennenswerte Café ist geschlossen, Restaurants sind zu teuer.  Außerdem wache ich jeden Morgen früh auf, bin den ganzen Tag unterwegs und am Abend entsprechend früh müde. Immerhin habe ich an meine Schlafmaske gedacht, ohne die wäre das Schlafen im Zelt bei der Helligkeit wirklich schwierig. Heute ist allerdings die dritte Nacht, die ich schaffe durchzumachen, um der Mitternachtssonne zu frönen – nicht in Folge natürlich. Die erste Nacht, direkt nach meiner Ankunft, war wettermäßig auch gleich die Schönste, stundenlang blieb ich am Fjord, bis mich die unendlich vielen Mücken ins Zelt trieben.

Mitternachtssonne am Eisfjord in Grönland

Stilleben: Inka mit Mitternachtssonne am Eisfjord

Bootsfahrt unter der Mitternachtssonne

Um den Ilulissat Eisfjord gebührend zu bewundern, gibt es jetzt im Sommer vor allem zwei Möglichkeiten: zu Fuß oder per Bootstour. Man sollte hier definitiv beides gemacht haben.

Bootstour zwischen Eisbergen

Eine Bootstour unter der Mitternachtssonne zwischen Eisbergen – eine bessere Kombination gibt es für mich nicht

Eisberg in der Mitternachtssonne

Dieses Prachtexemplar war vermutlich um die 30 Meter hoch – man verschätzt sich leicht bei diesen Dimensionen

Es gibt wenige Bootstouren für Tourist:innen, aber der Andrang ist mäßig, der Individualtourismus hat es bisher kaum nach Grönland geschafft. Die großen Kreuzfahrtschiffe buchen wiederum gleich komplette Boote, allerdings nicht um Mitternacht.

Eisberge im Wasser

Mit dem Boot zwischen Eisbergen

Wenn gerade kein Kreuzfahrtschiff vor Anker liegt – der Hafen ist hier zu klein für große Schiffe – ist die Stadt relativ leer, gerade mal einige Dänen sind hier, die den großen Vorteil haben, mit vielen Einheimischen reden zu können. Dänisch ist viel verbreiteter als Englisch.

Am Eisfjord entlang

Mindestens genauso schön wie eine Bootsfahrt und vor allem im eigenen Tempo ist der kleine Hike von der Stadt bis zum alten Heliport. Eine Treppe führt einen großen Hügel hinauf und weiter gen Fjord. Vom höhergelegenen Felsen kann ich noch einen Zipfel der Stadt sehen, vor den Häusern schwimmt ein riesiger Eisberg.

Eisberg vor Ilulissat, Grönland

Der Anblick so skurril: Ein riesiger Eisberg steckt vor Ilulissat fest

Ein Stück weiter steht eine kleine Hütte, ein Geheimtipp unter den Bewohner:innen im Hostel der Stadt, in das ich mich zwischendurch wegen der Mücken eingemietet habe. In der Hütte gibt es Pritschen und sogar Decken, mit Campingmatte kann man es hier gut aushalten. Sie ist genauso gebaut, wie es früher die Einheimischen taten: mit Trockenmauern, in deren Zwischenräume Moos gequetscht wird. Diese Bauweise erinnert frappierend an die alten Häuser in Island.

Wer für die Hütte zuständig ist, ob sie jemandem gehört, ob man hier einfach übernachten darf oder Miete zahlen muss, weiß niemand. Grönland steckt touristisch immer noch in Babyschuhen, Eigeninitiative ist angesagt.

Hütte am Ilulissat Eisfjord

Was für ein Ausblick! Die Hütte ist – wenigstens äußerlich – traditionell mit losen Steinen und Moos gebaut. Wer sich übrigens wundert: Ja, dieses Foto wurde etwa um 22 Uhr aufgenommen. Die Sonne steht zu diesem Zeitpunkt noch sehr hoch am Himmel.

Ich setze mich kurz und stelle mir vor, hier eine Weile zu wohnen.
Irgendwie ist es sehr einsam, denke ich, vielleicht, weil die Stadt mit den Menschen so nah ist. Wäre diese Hütte fernab der Zivilisation, wäre es anders. Nirgendwo bin ich einsamer als unter fremden Menschen, da ist mir die Natur lieber.
Die Grönländer:innen sind mir so fremd wie am ersten Tag. Englisch ist wenig verbreitet, denn mit den Dänischen Touristen wird eher Dänisch gesprochen und die Kreuzfahrtschiffe kommen mit ihren eigenen Guides. Eigentlich wird Englisch in der Schule gelehrt, aber das scheint wenig Spuren zu hinterlassen. Zudem sind die Menschen in Grönland wahnsinnig zurückhaltend.
Die Dänen sind ebenfalls sonderbar verschlossen, vielleicht mögen sie keinen „ausländischen“ Tourismus, dabei kenne ich sie sonst als sehr offene Menschen. Das Eis ist so wunderschön wie immer. Die Menschen habe ich etwas anders erwartet und bedauere, nicht näher Kontakt aufbauen zu können.

Interessanterweise treffe ich einen jungen asiatischen Touristen, der ebenfalls zeltet und ständig mit Einheimischen ins Gespräch kommt, wie er mir erzählt. Entweder liegt es am ähnlichen Aussehen, ich vermute jedoch eher, dass es etwas mit dem Geschlecht zu tun hat. Die grönländische Lebensweise ist sehr traditionell. Eventuell ist eine alleinreisende Frau hier wie so häufig in der restlichen Welt ein Kuriosum, mit dem man Kontakt lieber vermeidet.

Ein Zelt-Problem und süße Grönlandhunde

Der Weg führt von hier durch die mit Flechten bewachsenen Hügel. Es ist nur ein Trampelpfad, mit gelb angesprühten Steinen markiert.

Trampelpfad in Hügeln vor Eisbergen

Rundweg 2 in Ilulissat: Von der Stadt zum Heliport Richtung Ilulissat Eisfjord

Heute früh habe ich hier ein letztes Mal gefrühstückt, trotz der Mücken, denn der Ausblick ist einfach zu grandios.

Frühstücksschale auf Felsen vor dem Ilulissat Eisfjord

Frühstück mit Eisfjord

Zelt vor dem Ilulissat Eisfjord

Zelten mit Ausblick

Mein Zelt habe ich hier – nur latent legal – in den Hügeln aufgestellt, denn der alte Heliport, der offiziell erlaubter Campingplatz ist, ist umgeben von Müll und randalierender Junghunde. Die älteren Grönlandhunde werden den Sommer über angeleint. Das Jaulen ist überall dort zu hören, wo sich die Hundeplätze befinden, auch am Heliport, und ich kann es kaum aushalten, weil sie mir so leid tun. Da leider viele Grönländer dazu neigen, ihren Hunden viel zu wenig zu essen zu geben, stöbern die Junghunde in dieser Zeit verzweifelt überall herum.
Ich erwischte sie, bevor sie mein Zelt auseinandernehmen konnten. Mein Zeltnachbar hatte weniger Glück.

Junger Grönlandhund

Den enttäuschten Blick, als er begreift, dass es bei mir nichts zu fressen gibt, werde ich nie vergessen. Keinesfalls sollte man hier die Hunde jedoch füttern – man hätte in kürzester Zeit eine riesige Meute Junghunde um sich herum.

Mitternachtssonne

Das Weiß der Eisberge zeichnet sich jetzt deutlich vor dem dunklen Himmel ab. Ich bin inzwischen versöhnt, denn eigentlich ist es egal, welches Wetter herrscht. Eisberge und das Grau-in-Grau sind einfach wunderschön.

Eisberg im Ilulissat Eisfjord

Eisberg im Ilulissat Eisfjord

Es ist still, nur das stetige Knacken und laute Krachen ist zu hören, wenn innerhalb der tausend verkeilten Eisberge sich ein Druck freimacht oder ein Eisberg auseinander bricht. Das Licht macht die Szenerie skurril.

Bald legt sich ein ganz leichter rosa Schleier über das Grau und schon wenige Minuten später ist das Licht völlig anders. Das Touristenboot der Mitternachtstour schippert vorbei – erst jetzt werden die Dimensionen der Eisberge überhaupt deutlich.

Mitternachssonne Grönland

Unter der Mitternachtssonne

Das Licht wird immer blauer, die rosa Farbtöne tauchen die ganze Welt in Pastell.
Ich höre Motoren. Anscheinend haben sich zu dieser Nachtstunde zwei Fischer aufgemacht, um vor den Eisbergen Beute zu fangen. In Ilulissat fischt man Heilbutt. Angeblich sind die Gewässer hier noch voll davon.

Fischer vor Eisberg in Grönland

Fischers Ruhe. Die Gewässer der Disko Bucht sind für seinen Reichtum an Heilbutt bekannt.

Ich bleibe eine ganze Stunde. Sie fischen, still, und rufen sich nur ab und zu etwas zu, fahren ein Stück weiter und machen wieder den Motor aus.

Als ich über den Kamm der Hügel zurück zu meinem Zelt laufe, reißt der Himmel auf und zeigt das golden schimmernde Wasser der Disko Bucht, auf der sich die Eisberge vereinzeln.

Eisberge auf dem Meer in Grönland

Unter der Mitternachtssonne in Grönland

Ein schöner Abschied.

TTT – TierischeTouriTipps

Die möglichen Rundwanderungen sind auf einer Tafel Karte am Heliport eingezeichnet, aber im Grunde sind diese auch nicht zu verfehlen:

Google Maps

Mit dem Laden der Karte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Google.
Mehr erfahren

Karte laden

Der Rundgang 2 (gelb), von dem ich hier berichtet habe, startet an einer Treppe, die man sehr leicht findet: Sie beginnt hinter dem etwas abseits am Hang liegenden Haus südlich vom Hotel Icefjord, erkennbar am hohen und nicht zu übersehenen Funkmast.

Ob und wie man zelten darf, ist schlicht nicht geregelt. Die einen sagen, nur der offizielle Platz am Heliport sei erlaubt. Früher gab es dort eine Art Hostel, das ist jedoch schon seit Jahren geschlossen. Das aufgestellte Plumsklo ist ziemlich eklig und die nächste Wasserstelle ist ca. 2-3 km entfernt in der Stadt – zum Fjord herabzusteigen ist zu gefährlich.
Andere sagen, man könne problemlos in den Hügeln campieren, was ich letztendlich auch getan habe. Das dürfte dem Permafrostboden nicht sonderlich gut tun, bisher laufen allerdings ohnehin alle Einwohner und auch Besucher in den Hügeln herum. Das dürfte also so lange noch gut gehen, bis mehr Touristen nach Ilulissat kommen.