Im Juni letzten Jahres meldete die NASA ein Rekord-Tief beim Bestand des grönländischen Inlandeis: Die warmen Temperaturen haben in den letzten 15 Jahren das Inlandeis stark abschmelzen lassen, doch kein Jahr war bisher so dramatisch wie 2016. Global gesehen war es das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im 19. Jahrhundert.
Als die Meldung in den Nachrichten auftauchte, befand ich mich gerade in Grönland, und tatsächlich waren mir beim Flug über die Inland-Eiskappe die Schmelzwasser auf der Oberfläche aufgefallen.

türkises Schmelzwasser auf Grönlands Eisdecke

Schmelzwasser auf dem Inlandeis Grönlands

Der Anblick war neu: Als ich im Jahr 2009 im gleichen Monat bei klarer Sicht über Grönland geflogen war, hatte ich solche Schmelzwasser nicht gesehen.

Eisdecke mit Schmelzwässern

An manchen Stellen hat sich eine regelrechte Flusslandschaft gebildet

türkises Schmelzwasser auf Grönlands Eisdecke

Große Seen haben sich gebildet.

So wunderschön die Bilder mit ihren klaren knallig türkisfarbenen Schmelzseen und Flüssen anmuten: Sie sind ein trauriges Symbol des Abschmelzens der Polkappen und des Klimawandels.

Schmelzseen auf den Inlandeis Grönlands

Schmelzwasser, so weit man schauen kann.

Grönlands Eisdecke

Das grönländische Eisschild bedeckt etwa 82% des Landes – noch.

Der zweite Rekord wird nun derzeit gemeldet: Weltweit existiert jahreszeitabhängig so wenig Meereis wie vermutlich seit vielen Jahrhunderten nicht mehr.

In der Antarktis herrscht zur Zeit Sommer, der Eisbestand ist also jahreszeitbedingt niedriger. Der tiefste Stand wird üblicherweise im Februar gemeldet. Seit Beginn der Aufzeichnungen hat es im Dezember noch nie so wenig Meereis gegeben und man vermutet, dass der Stand im Februar niedriger sein wird denn je, zumal das Meereis in der Arktis nicht so gewachsen ist wie sonst im Winter üblich, denn dort ist es ungewöhnlich warm. Eine Grafik veranschaulicht die Meereisbestände von 1978 bis heute:

Grafik Meereisbestand der letzten Jahrzehnte

In 2016/17 hat der Meereisbestand einen Tiefstwert erreicht. Quelle: https://www.newscientist.com

Dass es in der Arktis derzeit ungewöhnlich warm ist, konnten mir auch die Sami bestätigen, die ich vor knapp einer Woche in Nord-Norwegen auf 69° nördlicher Breite besuchte. Üblicherweise sind es zu dieser Zeit etwa minus 20 Grad, jetzt herrschen dort Temperaturen knapp unter 0 Grad.
Die Auswirkungen sind hier schnell spürbar: Schmilzt der Schnee und gefriert erneut, bildet sich eine feste Eisdecke, welche die so nötige Nahrung am Boden für die Tiere, z.B. die Rentiere, unerreichbar macht. Die Folge: sie verhungern.

Rentiere

Rentiere in Nord-Norwegen: Unterhalb der Schneedecke finden sie tatsächlich immer noch die benötigte Nahrung – es sei denn, der Untergrund ist durch Schmelzwasser und erneutes Gefrieren zu Eis gefroren.

Ähnlich drastisch wirkt sich das Schmelzwasser auf der antarktischen Halbinsel besonders auf die Pinguinkolonien aus: Die Nester mit dem Nachwuchs werden überspült oder zugeschneit und die Küken erfrieren oder ertrinken. Oder die Brutpaare brüten erst gar nicht, weil sie keinen geeigneten Platz finden oder der alte Platz komplett verschneit ist – üblicherweise sucht sich die Kolonie den gleichen Platz wie im Jahr zuvor.
Auf meiner letzten Reise in die Antarktis wurden mir diese Beobachtungen von Lektoren erzählt, die seit vielen Jahren immer wieder in diese Regionen reisen.

brütende Adelie-Pinguine

Diese Kolonie von Adélie-Pinguinen ist recht mutig: Die Eltern sitzen hier auf ihren Nestern, der Schnee türmt sich rundherum auf. Viele Eier liegen in den Nestern, manche Küken sind aber auch schon geschlüpft. Steigen die Temperaturen und der Schnee schmilzt oder schneit es erneut, erfrieren bzw. ertrinken die Küken, die Eier werden unterkühlt.

Die Meereisschmelze trägt übrigens nicht zum höheren Wasserstand bei, denn das Eis ist ja bereits im Wasser. Aber sie beschleunigt den Erwärmungsprozess deutlich, denn durch die fehlende „Kappe“ erwärmt sich das Wasser schneller, zudem fehlt der Spiegel, der die Sonnenstrahlen reflektiert, wodurch sich die Umgebungsluft schneller aufheizt – ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Das letzte Rekordjahr dürfte somit nicht erreicht sein, im Gegenteil: Die Schmelze hat gerade erst begonnen.

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