Eine Schlechtwetterfront hat mich erwischt.
Eben wollte ich Nebelbilder machen, aber bei gerade 20 Meter Sichtweite sind auch Nebelbilder ziemlich unsinnig. Eigentlich hat mich die Wetterfee bereits in Ilulissat verlassen: Nach drei wunderbaren ersten Sonnentagen in Grönland, in denen ich mich akklimatisierte und wegen der Zeitverschiebung noch kaum imstande war, bis zur Mitternachtssonne wach zu bleiben, zog der Regen auf. Ich habe seitdem jeden einzelnen Sonnenstrahl ausgenutzt, aber die schöne Mitternachtssonne habe ich nicht wiedergesehen. Seit ich in Sisimiut angekommen bin, ist der Himmel meistens grau, was einigermaßen schwer zu ertragen ist, zumal Grönlands Landschaft auch nicht gerade mit Knallerfarben protzt. Einzig die bunten Häuser und der Löwenzahn überall bringen derzeit Farbe in die Welt – und natürlich das strahlende Weiß der Eisberge, was ich aber mit Ilulissat hinter mir gelassen habe.
Schweigen in Grönland
Mit Grönländern ins Gespräch zu kommen ist schwierig. Wer meint, dass so ein finnischer Draußen-Kerl schon wenig redet, sollte sich mal an einem Grönländer oder auch an einer Grönländerin versuchen. Ich bin nicht sicher, woran es liegt. Einerseits dürfte generell eine größere Schweigsamkeit herrschen, vor allem aber sind viele Grönländer zurückhaltend bis sehr schüchtern. Die meisten sprechen hier kein Englisch. Ich hätte gedacht, dass viele der Jugendlichen schon des Englischen einigermaßen mächtig sind, aber es sind überraschenderweise eher die Alten, wo sich mal jemand findet, der ein paar Brocken spricht – vermutlich arbeitet dieser dann im Touristengeschäft.
Selbst mit Fremdenführern ist eine Konversation ungefähr so ruckelfrei wie sich mit einem Chinesen oder Norweger zu unterhalten. Letztere können zwar in der Tat Englisch, nuscheln sich aber dermaßen einen zurecht, dass ich mir teils nicht einmal sicher bin, in welcher Sprache wir die Unterhaltung gerade führen.
Auch hier in Sisimiut komme ich zwar viel mit Dänen ins Gespräch, nicht aber mit Grönländern, auch wenn ich es probiere. Ob Schüchternheit oder einfach auch Desinteresse, jedenfalls ist Kontakt herzustellen nicht einfach.
Touristenebbe in Sisimiut
Während Ilulissat natürlich aufgrund seiner Lage am berühmten Eisfjord viele Touristen aufweist und auch der Individualtourismus dort nicht mehr fremd ist, ist in Sisimiut der Tourismus fast eingestellt. Ab und an kommt ein Schiff vorbei und spült eine Schiffsgruppe ins örtliche Museum, das war es dann aber auch. Eigentlich führt hier der Arctic Circle Trail entlang, der scheint sich aber noch nicht herumgesprochen zu haben.
(A propos: Ist das schlimm, dass ich ab und zu Asiaten mit Grönländern verwechsle? Ich bin da einfach Depp, ich kann diese „typischen Merkmale“ einfach nicht sehen oder unterscheiden.)
Derzeit bin ich im sehr günstigen und schönen Hostel in Sisimiut untergebracht – völlig alleine. Die Touristeninfo ist geschlossen und es findet sich niemand, der mir irgendwelches Infomaterial geben oder gar eine Bootstour organisieren könnte, obwohl wir direkt am Fjord sind und es natürlich auch einen Hafen und viele Fischer mit Booten gibt.
Es gibt hier in unmittelbarer (Boots-)Nähe wirklich interessante Orte zu besuchen, doch das wird unterbunden, „man“ mag es nicht, Privatkonkurrenz zu haben. Dass derzeit gar keine Konkurrenz besteht und Touristen einzig die Möglichkeit haben, das – sehr sehenswerte – Museum zu besuchen, den Arctic Circle Trail zu laufen oder aus veralteten Reiseführern sich Informationen zusammenzuklauben scheint das Municipal nicht zu stören. Es gibt Gerüchte, dass Ärger bekäme, wer hier eigenmächtig Unternehmungen anböte.
Für Großgruppen gibt es natürlich dann organisierte Touren, nur mit einer einsamen kleinen und wenig zahlkräftigen Touristin wie mir mag man sich nicht abgeben.
Und nein, auch B&Bs gibt es hier nicht, Privatvermietungen sind verpönt, einerseits, andererseits kommen die Grönländer auch gar nicht auf die Idee, hier zusätzliches Geld zu verdienen. Ja, es scheint, dass nicht (nur) Dänische Unternehmer alles an sich reißen, was das Touristengeschäft hergibt, sondern dass Grönländer einfach auch keine Geschäftemacher sind und gar nicht sein wollen. Dass also sämtliche gutverdienenden Geschäfte in den Händen von Dänen sind, scheint nicht ausschließlich an den Dänen zu liegen sondern gerade auch an den Grönländern. Weil es eben sonst niemand macht, hat sich offenbar eine Wechselwirkung ergeben: Die Dänen haben den Geschäftssinn, die Grönländer sind angestellt. Zu dieser allzu generalisierenden Aussage später mehr.
Leider hat sich in Sisimiut anscheinend nicht mal ein findiger Däne gefunden. Ich hätte irre gerne ein kleines Dorf hier in der Nähe besucht, Nipisat, was die ursprüngliche Siedlung von Sisimiut war und wo heute ein kleines Fischerdorf ist.
Derzeit schwanke ich, ob ich mich bei dem schlechten Wetter auf einen längeren Trek aufmachen sollte oder doch lieber hier im Hostel bleibe und neben Stadtdurchstreifungen und Halbtagesmärschen meine Unmengen an Fotos bearbeite und schon ein bisschen meine Notizen sichte. Mein Moleskine ist tatsächlich vollgeschrieben.
Um wieder zu positiven Dingen zu kommen: Ilulissat, das Eis und die Fährüberfahrt nach Sisimiut waren der Knaller!
Ilulissat, der Eisfjord Kangia und das Eis
Ob grauer oder strahlend blauer Himmel – ich finde Eis einfach immer wunderschön. Na klar, einmal hätte ich mir noch die Mitternachtssonne gewünscht, dann hätte ich meine Festplatte um ein paar Hundert Fotos mehr zugeknallt. Aber auch so war das Erlebnis fantastisch.
Wer es noch nicht gesehen hat: Auf Facebook habe ich in der letzten Woche einige Male ein paar Fotos hochladen können – mit dem sauteuren Internet, das hier überall 6-8 Euro die Stunde kostet – Wahnsinn.
Obwohl das Zelten wegen der Hunde und Mücken einigermaßen anstrengend war, bin ich nach zwei Tagen Hostel wieder zum Fjord gezogen – zu schön war einfach das Aufstehen und der Blick vor dem Zelt, am allerschönsten der Anblick um Mitternacht, wenn sich der Himmel leicht rosa färbte und ich nicht fassen konnte, dass die Sonne noch so weit oben steht.
Die Fährüberfahrt hat sich alleine wegen der Bootstour am Eis entlang gelohnt – ein Erlebnis fast so schön wie in der Antarktis. Wer sich letztere nicht leisten kann, sollte Grönland unbedingt in Erwägung ziehen, aber das predige ich ja schon seit Jahren.
In Ilulissat habe ich tatsächlich nur eine einzige Bootstour unternommen. Gerne wäre ich zum Gletscher gefahren oder hätte noch Touren in andere Dörfer gemacht, aber das ist mir schlicht zu teuer gewesen, in der Regel kostete so ein Ausflug um die 300 Euro. Günstig und Grönland passt nicht wirklich zusammen, man kann aber tatsächlich einigermaßen sparsam auskommen (auch ohne zu zelten), darüber wird demnächst ein Artikel bei blickgewinkelt handeln.
Die Fähre war tatsächlich so toll, dass ich nicht ausschließen würde, hier noch einmal herzukommen und wie andere eine vier-Tages-Tour zu machen. Allerdings ist Ilulissat der nördlichste Hafen, den die Arctic-Line anläuft. Das bedeutet, Eis hat man dann nur bei dieser einen Station. Schon Sisimiut, was wenig weiter südlich liegt, ist ganzjährig eisfrei. Aber jetzt nehme ich schon zuviel vorweg.
Kommen wir zu anderen Dingen: Ich habe endlich meinen Tupilac gefunden!
Tupilacs – die Maskottchen Grönlands
Tupilacs sind die Touristenverarsche des 17. Jahrhunderts und seitdem schwer bei allen Grönlandbesuchern begehrt.
Nein, ganz so ist es natürlich nicht, aber im Grunde sind Tupilacs traditionell Wesen von Tier- und Menschenfasern und -Resten gewesen. Als Bündel geschnürt hat man damit jemandem etwas Böses an den Hals gewünscht. Als die unwissenden Europäer kamen – die ersten holländischen, englischen und deutschen Walfänger im 17. Jahrhundert, im 18. dann die dänischen Missionare – erfanden die Grönländer aberwitzige, kleine Figuren mit seltsam verzerrten Gesichtern und Grimassen, um den Europäern das Wesen der Tupilacs zu erklären. Seitdem werden diese hergestellt und gehören heute fest zur grönländischen Kultur. Tupilacs sind also der Beweis der Wechselwirkung von erzählter Geschichte, die zur Geschichte wird. Ich finde so etwas großartig, witzig und spannend und musste natürlich einen eigenen haben (übrigens eine Riesenausnahme, normalerweise bringe ich keine Dinge von meinen Reisen mit).
Jedenfalls habe ich lange gesucht, ich wollte unbedingt eine nicht-Massenanfertigung und auf jeden Fall richtig große Zähne. Es gibt sicher noch Tollere als ihn hier, dazu muss ich angeblich nach Ostgrönland reisen, dort finden sich die interessanteren Künstler, sagte man mir. Jetzt habe ich aber erst einmal diesen:
Und ja, er ist – wie es Tradition ist – aus Knochen hergestellt. Rentierknochen haben sich hier für viele Dinge bewährt, denn man darf sie ausführen, im Gegensatz zu Eisbärkrallen oder dem Horn und den Zähnen verschiedener anderer Tiere.
A propos Eisbären in Grönland
Gibt es hier Eisbären? Nein, eigentlich nicht, weil Sisimiut eben eisfrei ist und Eisbären ja die Eisschollen zur Jagd benötigen. Vor zwei Jahren hat sich allerdings leider mal einer nach Sisimiut verirrt (wie ist unklar), der Arme wurde dann auch sofort geschossen, weil er – angeblich – zu gefährlich für die Siedlung war. Nach der kleinen Sonderausstellung darüber im örtlichen Museum hat da aber eher niemand drüber beraten und sie haben gar nicht versucht, ihn zu verscheuchen (und warum gibts dafür eigentlich keine Betäubungsgewehre?), sondern ein Jäger fand es ziemlich geil, den abzuknallen und sich das Fell zu sichern. Ja, ich sage das so, denn es gibt einen Film, in dem der Jäger interviewt wird, und sorry, der freut sich einfach darüber, dass er einen Eisbären erlegt hat. Finde ich nicht so geil und stehe auch dazu.
Dass das Hostel hier vor allem für Trophäenjagd wirbt, ist mir auch fremd, ich hätte gerne einen Moschusochsen gesehen, ja, aber sie organisieren nur Trophäenjagden. Wie bescheuert. Ich versuche wirklich, meine Urteile vorsichtig zu fällen, aber so etwas finde ich völligen Quatsch. Zumal: Es ist ja nicht so, dass sich Grönland vor Moschusochsen kaum retten kann. Diese finden sich im südwestlichen Teil eigentlich nur noch in Kangerlussuaq, weil sie überall sonst abgeschossen wurden. Aber das nur nebenbei.
Und nun?
Jetzt verbringe ich hier noch meine letzten drei Tage in Grönland und reise dann zurück. Den Zeltplatz spare ich mir in Sisimiut, das Hostel ist gemütlich, zudem kann ich keine jaulenden Hunde mehr ertragen, die hier den ganzen Sommer über angekettet auf den Wiesen herumliegen. Das ist wie das umgekehrte Schweigen der Lämmer.
Ich bekomme langsam den Dreh, dass ich eigentlich gar nichts tun MUSS sondern alles tun DARF. Ich mag es, aufzustehen wann ich will und einfach irgendwohin zu laufen oder auch nicht. Mir einen Kaffee kochen oder schauen, was meine 8 Kochutensilien heute so hergeben – oder ich kaufe mir im örtlichen Supermarkt ein Lachssandwich.
Ich mag es, so reduziert zu sein: Keine Schminke, wenige Klamottenauswahl, keine Gedanken an überflüssige Dinge verschwenden.
Die Stille ist schön, nach vielen Tagen Trubel, Hundegejaule, Mückengesumme, Fährenmotor, Eisknacken – ja tatsächlich. Ich freue mich auch schon sehr darauf, wieder Dunkelheit um mich herum zu haben, bei Tageshelligkeit, die es hier um 12 Uhr nachts gibt, finde ich das Schlafen schwierig. Ich mag es daher, dass ich mich am Nachmittag einfach hinlegen und den nächsten Halbtagestrek auf morgen verschieben kann. So entspannt bin ich schon lange nicht mehr gereist.
Tatsächlich mag ich es, mal wieder sehr alleine zu sein, es ist mir Recht, dass ich in keinem B&B höfliche Floskeln anwenden muss und meine Lächelmuskeln zu meinem üblichen grumpy face entspannen darf. Ich kann einfach loslaufen und bin nach 20 Minuten in einsamen Bergen und Felsen.
Ja, ich bin tatsächlich völlig alleine im Hostel. Um das Hostel günstig zu halten kommt der Organisator nur einmal am Tag kurz vorbei. Das ist nachts ein bisschen gewöhnungsbedürftig, dafür kann ich die Musik laut aufdrehen und hier ein bisschen durch die Gegend tanzen. Auch schön.
Disclaimer: Dieser Artikel hat weder Mehrwert noch Nutzen. Er ist so aus meinem Hirn rausgekullert und wird sich später reflektieren. Irgendwann mal.
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Für Eisliebhaber: |
Seit 15 Jahren ist Inka Redakteurin, Reisebloggerin und Autorin in Berlin und Brandenburg. Sie hat mehrere Reiseführer über die Region geschrieben und veröffentlicht ihre Tipps und Geschichten im Spiegel, Tagesspiegel und verschiedenen Magazinen. Außerdem Möchtegernentdeckerin, Liebhaberin der polaren Gebiete unserer Erde und abschweifend in der Welt. Hier Chefin vom Dienst.