An der einstigen Seidenstraße, am südlichen Rand der Steppe Kasachstans im heutigen Turkestan steht eines der höchsten Heiligtümer des Islam: Das Khoja Ahmed Yasawi Mausoleum, Weltkulturerbe der UNESCO, Pilgerstätte und berühmtestes Bauwerk Kasachstans.
Vom Staunen und Starren: Ein wundervolles Bauwerk inmitten der Steppe Kasachstans
Als ich nach Tagen unangenehmer Wetterkapriolen und mittelmäßigem Kulturschock endlich an diesem Highlight meiner Kasachstan-Reise ankomme, bin ich sofort versöhnt: Das Bauwerk sieht mindestens so fantastisch aus wie auf den Fotos, die ich im Internet gesehen habe.
Lediglich die Umgebung ist touristischer geworden, es ziehen keine freilaufenden Kamele mehr auf einem verstaubten Vorplatz herum, sondern Rosenstauden stehen sorgfältig gepflanzt zwischen gepflastertem Boden, und für die zumeist kasachischen Touristen steht ein gepflocktes Kamel zum Reiten bereit. Man sagt, jeder Kasache muss einmal im Leben zum Khoja Ahmed Yasawi Mausoleum gepilgert sein.
Achmed Yasawis Erbe
Ahmed Yasawi war ein Schüler des berühmten islamischen Gelehrten Arystan Bab und wurde zu einem der berühmtesten Lehrenden, zu Hodscha („Lehrer“) Ahmed Yasawi. Als 11-jähriger, so die Legende, soll Yasawi seine Lehre von Arystan Bab eingefordert haben mit den Worten: „Gib mir mein Amanat zurück!“
Das Amanat ist die Mission des Propheten Mohammeds, vereinfacht für uns Unwissende ausgedrückt.
Gestorben 1166 gilt Yasawi heute als wichtigster Religionsstifter Zentralasiens. Er war es, der den Islam in Kasachstan einführte, indem er den Sufismus mit dem Nomadenleben in Einklang brachte und Heiliger der Armen wurde. Man könnte auch sagen, er verstand und lehrte den Islam ein wenig absonderlich. Das ist es jedenfalls, was mir mein russischer Guide von der Kasachin übersetzt, die uns durch die unterirdischen Gemäuer nahe des Mausoleums führt, in denen der asketisch lebende Yasawi gelehrt und gelebt hat.
Im 14. Jahrhundert ließ der große Timur, der damals ganz Zentralasien und die halbe Welt beherrschte, das Mausoleum errichten. Timur starb vor der Fertigstellung, weshalb das Mausoleum im vorderen Teil nicht mit den wunderschönen glasierten Keramiken verziert ist.
Im Innern ist es verboten zu fotografieren, aber der Glanz und die Pracht entfalten sich für mich sowieso außerhalb des Gebäudes, denn durch Aufbaumaßnahmen ist vieles im Innern eingerüstet.
Die große Kuppel ist 40 Meter hoch, die kleine Kuppel erhebt sich direkt über der Grabkammer Yasawis. Der Detailreichtum der Keramik ist fantastisch, ich kann mich gar nicht sattsehen.
Timur hat hier geübt: Das Meisterwerk aus Kuppeln und Bögen und der Keramikglasur war Übungsstück für die Bauten in der Hauptstadt seines Großreiches: Samarqand im heutigen Usbekistan.
Staunend umrunde ich das Mausoleum immer wieder und frage mich, wie es möglich ist, dass aus Ruhm- und Machtdemonstration ein so wunderschönes Bauwerk entstehen kann, denn kaum etwas anderes hatte Timur mit diesem Gebäude im Sinn.
Aber vielleicht ist ja tatsächlich, wie der Glaube sagt, die Baraka, die Segenskraft des Heiligen, in das Gebäude eingezogen und strahlt nun die Weisheit des Yasawi aus, dessen eine Weisheit mir besonders gefallen hat:
Nicht Wissen, sondern Gefühl bringt den Glauben.
Darauf einen Tee.
Dieser Beitrag wurde am 24. Juni 2017 aktualisiert.
Seit 15 Jahren ist Inka Redakteurin, Reisebloggerin und Autorin in Berlin und Brandenburg. Sie hat mehrere Reiseführer über die Region geschrieben und veröffentlicht ihre Tipps und Geschichten im Spiegel, Tagesspiegel und verschiedenen Magazinen. Außerdem Möchtegernentdeckerin, Liebhaberin der polaren Gebiete unserer Erde und abschweifend in der Welt. Hier Chefin vom Dienst.