Das gefühlte Nichts um mich herum, als hätte jemand „Sonnenkind“ gerufen und die Welt wäre in sich zusammengefallen und nur dies hier wäre übrig, nur diese wunderschöne, spiegelglatte Welt aus Wasser, Eis und Himmel.
Wie eine unendliche Geschichte.
Expeditionsfahrt in die Antarktis
Die einprägsamen Momente einer Antarktis-Reise per Schiff finden auf Deck statt: Das Ablegen vom Hafen in Ushuaia, die erste Sichtung der Riesensturmvögel, die ab jetzt das Schiff stets begleiten werden.
Riesensturmvögel haben eine Flügelspanne bis zu zwei Metern. Sie gehören zur Ordnung der Röhrennasen, was auf dem Foto gut zu erkennen ist. Durch die Röhre scheiden sie das überschüssige Salz aus und sind somit in der Lage, sich ausschließlich im Salzwasser zu ernähren.
Den ersten Rücken eines Wals sehen, den ersten Eisberg. Der erste Anblick des antarktischen Festlandes.
Die Sonnenuntergänge. Wie flüssiges Gold sieht ein Sonnenuntergang über dem Südpolarmeer manchmal aus.
Auf dem Oberdeck: Das Ausschau halten nach der Meereisgrenze und einem Kaiserpinguin, der sich nach Norden verirrt hat und den man üblicherweise nur jenseits der 64 Grad südlicher Breite vorfindet.
Sich auf die Liegen schmeißen und einmummeln und sich tatsächlich fühlen wie auf einer Kreuzfahrt – und das ziemlich seltsam finden, so mitten in der Antarktis.
Sich schlecht fühlen, weil es einem so gut geht – und das auf Kosten des Südpolarmeeres. Tatsächlich sagen allerdings viele Wissenschafter, dass der negative Einfluss von Kreuzfahrten auf die Antarktische Umwelt wohl eher gering sei. Da die Schiffe in der Antarktis kein Schweröl haben dürfen, sind sie die „saubersten“ Schiffe, wird gerne angegeben. Vieles ist umstritten, Fakt ist aber: Kreuzfahrtschiffe machen in der Verschmutzung der Meere durch die Schifffahrt vermutlich gerade mal 1% aus. Das größte Problem sind die vielen und dreckigen Frachter. Trotzdem ist es: Schönrederei einer dreckigen Reise.
Stets von Deck aus: Das Sichten des Wetters und das Bangen, ob die nächste ersehnte Anlandung stattfinden kann.
Und manchmal: Nichts als Nebel vor dem Bug.
Auch Feiern finden auf Deck statt. Die Schönste wohl, wenn der südöstlichste Punkt der Reise erreicht ist: Die Meereisgrenze. Und traurig-melancholisch-schön: Der Goodbye-Glühwein, mit dem man sich mit Crew und den anderen Gästen zuprostet.
Die Meereisgrenze
Die MS Hanseatic hat das Meereis im Weddell Meer erreicht, das den südlichen Teil des Kontinents Antarctica umschließt – ein ganz besonderes Erlebnis.
Feiern
Nein, Animateure gibt es auf einer Antarktis-Expeditionsfahrt natürlich nicht. Die Crew (hier im Bild: Restaurantmanager, Service-Mitarbeiter und Hoteldirektor) erledigen mit ihrer guten Laune diesen Job allerdings ebenfalls. Ob man’s mag, ist Geschmacksache.
Auf der Brücke
Auf der Brücke zu stehen ist nicht dasselbe. Auf der MS Hanseatic ist es bis auf wenige Zeiten immer erlaubt, auf die Brücke zu kommen und Kapitän und 1. Offizier mit Fragen zu nerven.
Das soll auch dem Verständnis und der Kommunikation dienen, denn Kapitän und Crew müssen viele Entscheidungen aufgrund der Wetterbedingungen treffen, die eventuell nicht besonders gut bei den Gästen ankommen.
Das ist natürlich toll, aber ich habe dort dennoch nicht viel Zeit verbracht. Es ist schöner, intensiver, sich die Kälte um die Nase wehen zu lassen und die Antarktis ohne Glasscheibe um sich herum zu haben.
Falklandinseln, Südgeorgien und die Südorkney-Inseln
Bei den Falklandinseln mit Windstärke 11 warf ich mich auf den Boden, weil ich Angst hatte, davon geweht zu werden. Der Mann fand das sehr lustig und lehnte sich einfach in den Wind.
Naturparadies Südgeorgien
Südgeorgien zu sehen war mein persönliches, lang ersehntes Traumziel und es war direkt beim ersten Anblick noch schöner, als ich es mir vorgestellt hatte. Das Wasser mit seiner unglaublichen Farbe, die weißen Bergspitzen, von denen ich nur ahne, wie hoch sie sind, die Höhe aber gefühlsmäßig nicht verarbeiten kann, die vielfältige Tierwelt mit tausenden Seebären und Königspinguinen, Robben, See-Elefanten.
Über das fantastische Südgeorgien gibt es mittlerweile einen eigenen Artikel: Naturparadies Südgeorgien – Königspinguine, Seebären und ein Lost Place mitten in der Antarktis |
Schon der Anblick von weitem ist traumhaft – oder gruselig, wenn das Wetter nicht mitspielt.
Südgeorgien ist aufgrund seiner recht gemäßigten Breite und dem nährreichen Südpolarmeer eine subantarktische Insel mit sehr vielfältiger Fauna. Einst waren die Seebären (Pelzrobben) hier fast ausgerottet, jetzt gibt es sie wieder in Zehntausenden.
Auch die größte Königspinguin-Kolonie der Welt lebt hier. Königspinguine findet man übrigens nicht auf dem Kontinent Antarctica, wie häufig fälschlicherweise angenommen.
Frühzeitig mussten wir wieder aufbrechen, um einem Orkan zu entkommen. Meine Enttäuschung darüber, dieses Natur-Wunderland früher als geplant zu verlassen, hielt nicht sehr lange, denn hier ist das eben so. Es bedarf eines guten, erfahrenen Kapitäns und eines ebensolchen Teams, um aus einer Antarktisreise eine Reise mit erfolgreichen Landsichtungen und Anlandungen zu machen. Je länger so eine Reise ist, umso flexibler kann das Team auf Wetter- und Eisbedingungen eigehen und Alternativpläne hervorzaubern.
Südorkney-Inseln
Die Südorkneyinseln überhaupt einmal zu Gesicht zu bekommen: Ein mehr als adäquater Ersatz für den ausgefallenen Tag in Südgeorgien. Als wir die Inseln erreichten, strahlte die Sonne vom antarktischen Himmel, obwohl dieser Teil der Erde angeblich mit nur 10 Sonnentagen im Jahr gesegnet ist. Ich konnte mich daran nicht satt sehen.
Elephant Island
Unvergessen natürlich auch die traurigeren Momente – unvermeidbar auf einer solchen Reise: An Deck stehen und Elephant Island so nah vor sich zu sehen und doch wegen des Wetters nicht anlanden zu können. Ich habe den berühmten Platz, an dem Shackletons Männer monatelang auf Rettung warteten, also nicht sehen können und stand auf Deck und versuchte, wenigstens die Büste des Retters zu erspähen, die dort aufgestellt ist – vergeblich.
Als wir ankommen, ist das Wetter unstet und ein riesiger Eisberg (rechts im Bild) schiebt sich gerade in die Bucht, die unser Ziel war. Keine Chance, entscheidet der Kapitän, denn das Schiff würde eventuell eingeschlossen werden. Nach einer halben Stunde warten wissen wir: Der Kapitän hat Recht behalten.
Port Lockroy
Auch vor Port Lockroy versperrte uns das Eis den Weg – das südlichste Postamt der Welt konnte ich dieses Mal daher leider nicht besuchen. So etwas passiert, das hier ist die Antarktis, das hier ist vielleicht die letzte, wilde Region der Erde, in der Anlandungen und Ausflüge nicht gebucht werden können. „Die Antarktis ist keine Region des Wollens, sondern eine Region des Dürfens.“
Riesige Tafeleisberge im Antarctic Sound
Die eindrucksvollsten Erinnerungen sind mir vom Antarctic Sound und dem Weddell Meer geblieben.
Hörempfehlung zu den Bildern: The heart asks pleasure first (youtube)
Wir fahren in den Antarctic Sound, eine Meerenge zwischen dem nördlichsten Teil der Antarktischen Halbinsel und den vorgelagerten Inseln.
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von mapsengine.google.com zu laden.
Auf einmal: Eis! Riesige Tafeleisberge überall um uns herum. Niemand kann diesen Anblick fassen.
Die Stücke sind erst vor kurzer Zeit vom Eisberg B15Y abgebrochen, der wiederum vom größten Eisberg der Welt stammt, dem B15. Genaues wissen wir noch nicht, jemand von der Crew erzählt, dass vor drei Wochen der B15Y, ein viele, viele Kilometer langer Eisberg, noch komplett war. So wie es aussieht, ist das gesamte Stück in viele kleinere Stücke zerbrochen und die winzige MS Hanseatic fährt nun mittendrin.
Der B15Y
Ja, Tafeleisberge bekommen Namen, wenn sie groß genug sind. Der B15 ist ein riesiger Tafeleisberg, der im Jahr 2000 vom Ross-Schelfeis abbrach und knapp 12.000 km² groß war. Zwei Jahre später brach dieser in mehrere Teile.
Tafeleisberge sind Bruchstücke von Schelfeis, sie sind flach. Mehr erfahren: Kleine Antarktis-Einsteigerkunde Teil 1.
Ich kann das Szenario nicht einfangen: Beim Erfassen der gigantischen Höhe – die Stücke sind 20-30 Meter hoch – lichte ich nur einen kleinen Ausschnitt ab. Versuche ich mit dem Tele, die riesigen Dimensionen einzufangen, in denen sich die Tafeleisberge nach Westen, Norden und Süden bis zum Horizont erstrecken, sehen sie winzig aus. Ohne ein anderes Schiff, was das alles in Relation setzt, ein unlösbares fotografisches Problem.
Das Weddell Meer
Noch am gleichen Tag verziehen sich die grauen Wolken und die letzte Brise des Windes. Das Schiff schiebt sich weiter gen Südosten ins Weddell Meer Richtung Meereisgrenze. Fast alle Gäste verbringen die Zeit auf Deck, zu schön ist der Anblick, um ihn zu verpassen. Ich atme die kalte Luft ein, die Sonne strahlt so grell vom Himmel, dass ich ohne Sonnenbrille meine Augen zukneifen muss.
Im Weddell Meer östlich der antarktischen Halbinsel fahren wir auf die Meereisgrenze zu. Die Eisschollen auf dem Bild haben sich aus Meerwasser gebildet und enthalten daher Salzwasser. Das Wasser ist wahnsinnig klar, man kann mehrere Meter hinunter schauen.
Eisberge, die gar nicht so groß aussehen, passieren die MS Hanseatic – in Wirklichkeit sind auch sie bis zu 30 Meter hoch. Ab und an grollt es unter dem Schiff, wenn der Bug sich durch die kleineren Eisstücke schiebt. Je nachdem, wie ich mich drehe, sieht das Wasser schwarz, dunkelblau, blaugrün oder hellblau aus. Eine Farbpalette in kühl.
Ein fantastischer Anblick. Dieser Eisberg ist gekalbt und enthält daher Süßwasser.
Der Blick auf das Wasser vom Deck aus lässt manchmal erahnen, wie groß das Eisvolumen unterhalb der Wasserfläche ist.
Zwischendurch Pinguine, die verdattert auf Eisschollen stehen und uns nachschauen, wie wir vorbeirollen.
Trotz der Motoren kann ich die Stille um mich herum wahrnehmen. Antarktische Stille. Das Wasser spiegelglatt.
Das gefühlte Nichts um mich herum, als hätte jemand „Sonnenkind“ gerufen und die Welt wäre in sich zusammengefallen und nur dies hier wäre übrig, nur diese wunderschöne, spiegelglatte Welt aus Wasser, Eis und Himmel. Wie eine unendliche Geschichte.
Die Abwesenheit menschlichen Daseins macht den wildesten Kontinent der Erde still. Das macht die Antarktis zu meinem persönlichen Abenteuerland mit Ruhepol.
Das augen- und ohrenüberfordernde Grell existiert nicht. Die Welt besteht aus Weiß-, Blau- und Graunuancen und heute bläst nicht einmal der Wind.
Das Schiff schiebt sich durch das ruhige Wasser und ich stehe auf Deck und genieße die Reduziertheit dieses Endes der Welt – eigentlich ist es für mich der Anfang.
Auf Deck: Eine Antarktis-Reise in Bug-Bildern
Leser Lutz hatte sich jeden Tag ein Foto vom Wetter gewünscht. Diese tolle Idee habe ich aufgegriffen und aus den Bildern eine Collage erstellt. Die Bilder entsprechen in etwa der Route unserer Reise: Südpolarmeer – Falklandinseln – Elephant Island – Antarctic Sound – Weddell Meer – Meereisgrenze – Paradise Bay – Port Lockroy – Neco Harbour – Lemaire Channel.
Dieser Beitrag wurde am 24. November 2017 aktualisiert.