Na klar, selbstverständlich wandere ich grundsätzlich im Mini!

Ja, ich reise als Frau gerne alleine und vor allem wandere ich gerne alleine. Deshalb werden regelmäßig ganze Klischee-Eimerchen über mir ausgeleert, was mich regelmäßig ziemlich wütend macht.
Warum ist das für viele so ein Problem, wenn eine Frau Ende Dreißig mit Wanderrucksack, Zelt und Isomatte alleine Wanderurlaub macht?

„Warum macht sie das bloß?“

Letztes Jahr verbrachte ich meine alljährliche Kranich-Schau-Tour auf dem Darß. Ich sitze also in einem Bus auf dem Weg zum Zeltplatz. Niemand redet, man schaut mich skeptisch an: Dieser große Rucksack für die kleine Frau, was macht sie denn bloß? Warum macht sie das? Ich sehe das Rätseln in den Gesichtern.
Ein paar Haltestellen weiter steigt ein unrasierter Typ ein mit dreckigen Klamotten und großem Rucksack.
„Oh“, ertöhnt eine entzückte Stimme von einem der vorderen Bänke, „schau mal Inge, ein Wanderer“.
Wie bitte?
„Ach, das ist ja schön, dass die jungen Leute heute noch so etwas machen“, erwidert Inge. Allgemein erfreutes Murmeln im Bus.
Hallo? Halloo? Schaut mal genauer hin: ICH bin hier die Wanderin! ICH habe ein Zelt dabei und Wanderschuhe an. Der Typ ist ein ungepflegter Skateboardfahrer! (Die Skateboards gucken oben aus seinem Rucksack raus.) Der Typ grinst nur und hält sich zurück.

Als ich das einem Freund erzähle, bekomme ich die Antwort, dass das doch kein Wunder sei. Alleinreisende Männer würden das Abenteuer und die Natur suchen, das sei doch bewundernswert. Alleinreisende Frauen hingegen seien in der Regel auf Sinnsuche, hätten grundsätzlich immer irgendein Problem, meistens einen Schuss in der Birne und seien allesamt wahnsinnig anstrengend.
Was soll ich sagen? Das ist so hirnrissig, diskriminierend, konservativ-spießig und einfach dumm, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Wanderfrust auf Italienisch

Italien klatschte mir diese Auffassung fast noch direkter ins Gesicht, als ich das letzte Mal zum Wanderurlaub da war. Wandern ist dort keine sehr bekannte oder beliebte Beschäftigung (entsprechend schlecht sind Wegeausschilderungen). Frauen, so sie denn nicht Ü50 sind, die ohne Weibchenkleidchen, gar mit Wanderklamotten herumlaufen, werden misstrauisch beäugt. Ich kenne Italiener eigentlich anders: Sehr aufgeschlossen, spritzig, freundlich, offen. Dass die Menschen in Ligurien zurückhaltender sind, war mir klar. Aber auch an der Küste wurde ich nicht sonderlich freundlich empfangen. Deutlich missbilligende Blicke waren klare Aufforderungen: Diese Frau sollte sich anders anziehen, und was macht die hier überhaupt alleine! Der Gipfel war, als man mir Leitungswasser vom hauseigenen Brunnen verweigerte mit dem Hinweis, ich möge doch bitte schnell weitergehen (und den Fingerzeig auf meine dreckigen Wanderschuhe).
Hier mögen verschiedene Sachen zusammengekommen sein, mein Frau-Sein hat jedoch meiner Ansicht nach die größte Rolle gespielt. „Frau-Alleine-Wandern-Wanderklamotten“: Vier Aspekte, die zusammen anscheinend anstößig sind. Bei einem Mann wäre das höchstwahrscheinlich anders gewesen.

The small woman wandering for herself

In Schottland sind die Leute am West Highland Way aufgeschlossener, ich wurde äußerst herzlich aufgenommen (auf dem West Highland Way ist es wie mit allen begehrten Wanderstrecken: Man begegnet sich immer wieder und tauscht ein bisschen Smalltalk über den besten Bärlauch am Wegesrand oder das schlechteste Blasenpflaster aus). Aber auch hier schien ich Sonderstatus zu haben: Jede/r kante mich schon, bevor er oder sie mich gesehen hatte.
„Oh, that is you!“
„How do you know?“
„Well, you are ‚the small women with the huge backpack wandering for herself‘.“ Oh.
Gut, es stimmt ja auch: Alleinreisende, wandernde Frauen sind selten. Solange man mir neugierig ob meines Sonderstatus entgegentritt und mich nicht in eine andere mir angeblich zugedachte Rolle zwängen will, ist das ja auch gar nicht schlimm. Mann darf sich auch gerne verwundert die Augen reiben, so die Blicke denn bitte zur Be-wunderung aufschließen, eben genauso wie bei einem Mann. Ich habe keinen Knall, ich wandere einfach gerne, ich liebe die Natur und mein Zelt und ich denke auch einfach mal gerne über gar nichts nach, was mir beim Wandern immer super gelingt.
„Huge“ war der Rucksack übrigens, weil die meisten West-Highland-Touris nicht zelten, und wenn sie es tun, lassen sie sich das Gepäck mit dem Auto bringen, jahaa. Viele haben also kleinere Rucksäcke dabei, und, nunja, ich bin vermutlich kleiner als die meisten Männer.

Warum gibt es überhaupt einen „Weibchenaspekt“?

Was Frauen dazu sagen, dass Frauen alleine reisen? Schwierig. Ich komme seltener mit Frauen ins Gespräch, weil ja tatsächlich weniger alleinreisende Frauen unterwegs sind und davon noch weniger wandern. Manchmal sehe ich von Frauen Blicke und habe den Eindruck, dass sie mir verschwörerisch zublinzeln; ich kann es nicht genau sagen. Freunde fragen mich natürlich, meistens geht es um das Alleine-Reisen generell, ohne den Weibchenaspekt. Was da allerdings noch in den Köpfen stecken mag (wie bei dem oben erwähnten Freund), will ich vielleicht gar nicht wissen.

Es mag also sein, dass es in den meisten Ländern der Welt kein Problem ist, als Frau alleine zu reisen. Wirkliche Schwierigkeiten hatte ich bisher noch nie. Das heißt aber nicht, dass sie Dich nicht für verrückt oder problembehaftet, auf der Sinnsuche oder midlifecrisisfrustriert halten oder einfach ein bisschen seltsam und nicht, nunja, konform mit dem, was anscheinend so von Frauen erwartet wird. Ein bisschen traurig, aber offensichtlich leider wahr. Da fühlt es sich besonders gut an, wenn einem die schottische Zeltnachbarin um die 60, die sich mit ihrem Mann fast schon häuslich eingerichtet hat, einem morgens beim Packen einen Tee vorbeibringt und Dir sagt:
„Meine Liebe, ich sehe, Du hast noch gar nichts Warmes zu Dir genommen. Ich finde das ganz toll, was Du machst, das habe ich früher auch viele Jahre lang gemacht: Die Welt entdecken, alleine, weil man viel mehr wahrnimmt und offener ist, wenn man auf sich gestellt ist; mit fremden Kulturen und Menschen ins Gespräch kommen, die Natur erfahren, einfach ganz neue Dinge sehen, unabhängig und frei.“
Genau das ist es – nicht mehr und nicht weniger.

Liebe Frauen, ich glaube, es gibt da noch einiges zu tun.

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