Stell Dir vor, Du sitzt 4 Wochen mit ein paar Leuten in einem Container und erfährst dann, dass in der Welt da draußen die Apocalypse ausgebrochen ist. Dass Schulen und Geschäfte geschlossen sind, das Auswärtige Amt eine weltweite Reisewarnung erlassen hat und in manchen Ländern Ausgangsbeschränkungen herrschen.
Und Du so: „Na klar“.
So geschehen am Dienstag im Big Brother Container. Ich schaue Big Brother nicht, aber diese Folge hätte ich mir schon gerne angeschaut. Ich vermute allerdings, sie wäre enttäuschend. Wer kann schon innerhalb weniger Minuten realisieren, was da jetzt wirklich gerade passiert?
5 Phasen der Trauer. Heute: Realitätsschock
Ich hatte heute wohl so einen Realitätsschock und deshalb kommt mein heutiger Tagebuch-Eintrag auch sehr spät, und lang wird er auch nicht werden.
Ich bin frustriert, ängstlich und sehr, sehr wütend.
Mir geht es heute sowieso nicht gut. Meine gerade abgeklungene Erkältung flammt wieder auf, die Halsschmerzen sind schon wieder da und ich frage mich, ob das einfach eine psychische Nummer ist.
Der tägliche Podcast von Dr. Drosten im NDR half da leider auch nicht, im Gegenteil. Die heutige Zusammenfassung ist: Es wird schlimm. Wenn es jetzt nicht schlimm wird und wir die Kurve etwas abflachen konnten, wird es später schlimm, nämlich zum Winter. (Was umso schlimmer wäre, weil es ja dann auch noch die Grippeinfizierten gibt.) Die einzige derzeitige Lösung ist, wir machen jetzt für die nächsten zwei Jahre einen off-on-off-Betrieb, um die Kurve die ganze Zeit flach zu halten. Was das bedeutet? Keine Schule bis Sommer. Läden immer mal schließen und wieder öffnen. Homeoffice möglichst viel und lange.
Ehrlich: Wer glaubt dran, dass das realistisch möglich ist, ohne dass unser komplettes, auf Kapitalismus aufgebautes System zusammenbricht?
Drostens einzige Lösung: kreativ werden bei der Erfindung eines Impfstoffes.
Ich möchte gar nicht so genau wissen, was er damit meint. Ich hoffe irgendwie nur noch, dass er sich in allem irrt.
Aus Italien gibt es schreckliche Berichte, die Menschen in den Krankenhäusern sterben wie die Fliegen, hier kann man sich nicht erklären, warum die Sterberaten der Eingelieferten so hoch sind, denn man geht eigentlich grob davon aus, dass von vier eingelieferten, also schwer erkrankten Patient:innen einer beatmet werden muss und dass von denen dann die Hälfte stirbt. In Italien sterben jedoch anscheinend fast alle der zu beatmenden Patient:innen.
Ich sollte mir das nicht zu sehr reinfahren.
Die Mutti hat heute gesprochen. Und das ist was Außergewöhnliches, wenn die Bundeskanzlerin sich an ihre Bürger:innen wendet. Eigentlich ein trauriger Fakt. Außer #SocialDistance, was leider immer noch so genannt wird statt #PhysicalDistance, ist ihr irgendwie auch nix eingefallen. Das ist kein Gemecker an der Regierung, das ist nur Resignation angesichts der Scheißlage, in der wir uns befinden. Im Gegenteil fühle ich mich in Deutschland sogar gerade sehr gut aufgehoben. Viele meinen ja, verschiedene Maßnahmen und Schulschließungen hätte es viel früher geben müssen. Die verkennen meiner Ansicht nach nicht nur, dass viele Menschen damit in prekäre Lagen kommen und man so etwas auch organisieren muss, sondern dass es unendlich wichtig ist, dass die Bevölkerung Maßnahmen nachvollziehen kann, um mitzuziehen. Wer hätte denn Schulschließungen nachvollziehen können, als hier gerade mal ein Mensch an Corona gestorben war?
Ich spreche mit dem Mann, darüber, was in 2 Wochen sein wird, was in 2 Monaten. Ich habe die Befürchtung, dass Medikamente ausgehen. In meiner Familie gibt es mehrere, die darauf sehr angewiesen sind. Mittlerweile machen sogar wir uns Sorgen um unsere nächste Klopapierration. Weil niemand aufhören will, die verdammten leeren Regale zu posten, und so dann wieder die Leute losrennen und kaufen, wie verrückt, sobald etwas da ist, und beim übernächsten Mal sind wir dadurch dann auch dabei. Eine endlose, bescheuerte Klopapier-Spirale.
Vor wenigen Tagen noch dachte ich an Moria, mein bald erscheinendes drittes Buch (ich habe keine Ahnung, ich vermute, es wird einfach nicht herausgebracht), an Sommerpläne und Zukunftsaussichten. Heute denke ich an Klopapier.
Eigentlich wollte ich mich hier heute auch noch ordentlich aufregen. Darüber, dass sich so viele aufregen. Darüber, dass meine Timelines leider nicht voll sind mit Solidaritätsbekunden, mit „wir schaffen das schon“, mit Dankesreden, Aufmunterungen, Hilfsangeboten. Nein, das sind sie leider nicht. Meine Timelines sind zu 99% voll mit meckernden Menschen, die mit dem Finger auf andere zeigen, weil die alles falsch machen, mit Menschen, die sich Ausgangssperren wünschen und die Bundeswehr zur Kontrolle. Da wird mir erstens ganz schlecht, und zweitens ist es auch einfach blöd.
Aber ich bin zu müde heute, weiter darüber zu schreiben, ich habe keine Kraft. Vermutlich schwanke ich heute irgendwo zwischen Phase 2 (Wut) und Phase 4 (Depression). Für Verhandlungen (Phase 3) gab es leider heute keine Vorschläge. Was sollen wir groß verhandeln?