Jeden Morgen wache ich mit Katergefühl auf. Ich habe nichts getrunken, aber das „gestern war’s wohl ein bisschen zu viel von allem“-Gefühl lastet schwer auf Schlaf und Kopf. Bisher habe ich deshalb vor 11 Uhr nicht anfangen können zu arbeiten und bin – beknackt eigentlich – froh, dass morgen Wochenende ist.
Dennoch: Heute ist etwas mehr Akzeptanz da und etwas weniger Verzweiflung. Ein bisschen Abstand von den Social Medias haben mir wohl gestern ganz gut getan, heute konnte ich etwas besser arbeiten und mir ein paar nette Twittersarkasmen reinziehen.
Die Favoriten:
hab so kein bock dass in paar monaten quarantäne vorbei ist und ihr habt alle aus langweile japanisch gelernt und könnt zwei Tage
planken während ich dumm und traurig geworden bin.— Ronja von Rönne (@Sudelheft)
March 19, 2020
Auch die Fitnessstudios in Deutschland müssen jetzt ihren Betrieb einstellen. Doch auf das tägliche Workout muss niemand verzichten, auch zu Hause nicht. #coronavirus #COVID2019 #COVID19 #ShutDownGermany pic.twitter.com/1kq4KKEgnh
— Deutschlandfunk Sport (@DLF_Sport) March 17, 2020
Und Dr. Drosten hat nicht nur eine tolle Stimme (übrigens auch super zum Einschlafen), sondern scheint auch noch eine gute Portion Humor zu besitzen:
Was jetzt ist, was morgen wird
Es gibt immer noch keine Ausgangsbeschränkungen, aber meine Verteidigung der Bewegungsfreiheit bröckelt ein wenig dahin angesichts der vielen Erzählungen und Filmchen, die auf allen Kanälen geteilt werden. Offenbar sitzen viele Leute in Cafés, als sei nichts geschehen (wieso sind denn Cafés überhaupt noch geöffnet?), sitzen in Grüppchen in der Sonne herum und veranstalten „Corona-Parties“. Ob das alles so stimmt und wirklich in krassem Ausmaß stattfindet, kann ich nicht beurteilen und ja, mich nerven immer noch diejenigen, die laut rufen, wie blöde doch die ganze Menschheit sei. Dass man selbst in der Regel dazugehört, so viel Selbsterkenntnis sollte doch schon sein.
Fakt ist jedoch: Die Zahlen der Infizierten steigen, derzeit sogar sehr heftig. Elektronisch gemeldet sind heute knapp 14.000 Infizierte und fast 3000 mehr als am Vortag, was eine enorme Steigerung ist. Man nimmt eine Dunkelziffer vom 10-20-Fachen an.
In Nord-Italien werden die Leichen mittlerweile auf Lastwagen aus der Stadt geschafft, denn die Friedhöfe haben keinen Platz mehr.
Ich sehe die Bilder und kann nicht glauben, dass sie echt sind.
Den besten Artikel, den ich zu vermutbaren Verläufen bei unterschiedlichen Maßnahmen gefunden habe, ist dieser hier von Quarks:
Das Ziel sollte also sein, realistische Maßnahmen zu treffen, die über einen längeren Zeitraum durchgehalten werden können, die Grundimmunisierung der Bevölkerung zu erhöhen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.
Das spricht, wie auch gestern schon schrieb, eindeutig gegen Ausgangssperren.
Nach wie vor fühle ich mich in Deutschland gut aufgehoben, ganz sicher besser, als es in den USA oder Großbritannien der Fall wäre. Meine Cousine schrieb mir heute aus dem Osten der USA. Schulen und Unis sind geschlossen, Restaurants bieten höchstens noch Take Away an, viele sind im HomeOffice, also alles ähnlich wie hier. Die Dringlichkeit ist anscheinend bei vielen Bürger:innen und Bürgern angekommen, trotz Trumps Beschwichtigungen. Mein Onkel im Altersheim darf nicht mehr besucht werden. Ein herber Schlag, er leidet ohnehin an Depressionen, seine Tochter hat ihn die letzten 1,5 Jahre täglich besucht.
Ich warte auf den großen Knall, auch, damit er endlich vorbei ist. Was in meinem Hirn nicht ankommen will: Es wird keinen Knall geben. Der Knall wird sich verteilen über lange Zeit. Und das heißt dann: So leben wir ab jetzt. Für wie lange, weiß niemand, vielleicht ein Jahr, eher zwei. Das will mein Kopf einfach nicht begreifen.
Ich versuche, an diejenigen zu denken, die jetzt am hilflosesten der Krise ausgesetzt sind: an die Ärmsten in jenen Ländern, die durch ein katastrophales Gesundheitssystem ohnehin nicht auf diese Pandemie vorbereitet sind.
An Moria.
An alle Menschen, die sich derzeit auf der Flucht befinden.
Doch ich kann es kaum, kann gerade mal eine Petition für die Geflüchteten unterschreiben, die unter dem Hashtag #LeveNoOneBehind herumgereicht wird. Zu viel mehr reicht es nicht.
Meine Aufnahmekapazität gleicht einem Eichhörnchen, ich bin froh, nur 25 Stunden die Woche zu arbeiten, die ich jetzt großzügig auf die Woche von morgens bis abends verteilen kann. Mehr als drei Stunden am Stück ist absolut nicht drin. Ist der Drosten schon online? Gibt’s eine neue Presseerklärung vom Wieler vom Robert-Koch-Institut? Hat Söder mal wieder etwas gesagt?
Ich habe Fomo, was Corona angeht, fast wie eine Sucht.
Wir haben ein virtuelles Reisebloggermeeting durchgeführt, an dem 25 Leute teilnahmen – mit der Software Zoom funktioniert das erstaunlich gut. Aber es fiel mir schwer mitzureden bei Plänen, die in drei Wochen sind, wenn „die Leute sich wieder langweilen und Reisegeschichten lesen wollen“. Denn ich glaube nicht daran.
Ordnet man alle derzeitigen Daten logisch an, werden die Krankenhäuser in 6-11 Tagen überfordert sein – in Berlin vermutlich früher. Dass sich Menschen derweil wieder gerne in Reiseplanungen oder auch nur Reiselektüre vertiefen, bezweifle ich stark.
Ich kann mich ohnehin nicht auf Reiseberichte konzentrieren, ich habe jetzt schlicht keine Lust darauf, und bin ja auch in der glücklichen Lage (noch) nicht darauf angewiesen zu sein. Auf Dauer reicht mein Angestellten-Job nicht wirklich aus, zur Not aber schon.
Chancen
Was wir ebenfalls besprechen, auch in anderen Gruppen und Foren: Wie man nun die Kreativen unterstützen kann. Ich bin hoffnungsvoll, dass sich der ganze Motz irgendwann legt und immer mehr kreative Möglichkeiten für Unterstützungen um sich greifen. Wir sind ziemlich flexibel, das haben wir jetzt bewiesen, und das ist ein bisschen beruhigend.
An diesem Wochenende findet ein Hackaton statt, #WirvsVirus, gefördert durch die Bundesregierung, wo digitale Lösungen für derzeitige Probleme gefunden werden sollen. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Wer ein bisschen mitverfolgen will: Airtable.
Selbständige sollen Übergangsgelder bekommen, Leute gehen für ältere Nachbarn einkaufen, Igor Levit schmeißt auf Twitter jeden Abend ein Gratiskonzert, es gibt Lesungen im Netz und sowieso verlagert sich wahnsinnig viel in dieses Neuland, ohne das wir alle total aufgeschmissen wären. Ich bin dankbar. Und ich denke, dass wir, trotz allem, wahnsinnige Chancen haben, aus dieser Situation viel Gutes zu ziehen, Dinge zu verändern, uns zu verändern, unsere Gesellschaft zu einer besseren zu machen. Wie optimistisch ich das sehen soll, weiß ich noch nicht, aber allein, dass diese Chancen so greifbar vor uns liegen, finde ich beruhigend und aufregend zugleich.
Wer werden wir in zwei Wochen sein, wer in einem Jahr?
Unterstützung
Auf diversen Kanälen wurde heute mein neuestes Buch promoted – etwas ungewöhnlich, schließlich ist es ein Reisebuch.
Auch das ist die Initiative netter Kolleg:innen zur Unterstützung. Eine super nette Idee, wir sind dabei, uns noch mehr aus den Fingern zu saugen, wie das in den nächsten Monaten gehen kann. Ich glaube, bei mir muss da noch etwas die Schockstarre nachlassen, dann werde ich sicher auch wieder aktiver.
Und jetzt breche ich mal meine eigene Regel, dass ich dieses Coronatagebuch nur für mich schreibe, und mache ein bisschen Werbung (wer keine Lust drauf hat, einfach runterscrollen und bei der Empfehlungsliste weiterlesen):
Für mein Buch über Lieblingsplätze im Spreewald habe ich eineinhalb Jahre recherchiert, drin stecken viel Liebe und über 80 Geschichten für diejenigen, die den Spreewald etwas besser kennen lernen wollen als nur per Kahnfahrt.
Wer mir einen riesigen Gefallen tun will, bestellt das Buch im Buchhandel ober über Amazon, denn derzeit bin ich dann doch krass drauf angewiesen, dass Leute über dieses Buch erfahren, das leider pünktlich mit dem Coronavirus erschienen und daher in Gefahr ist, gleich wieder eingestampft zu werden. (Was blöd wäre, weil ich noch keinen Cent dafür gesehen habe und ausschließlich an den Käufen beteiligt werde.)
Hier ein Amazon-Partnerlink, mit dem ich mich dumm und dusselig verdiene.
Und wer mir einen NOCH größeren Gefallen tun will, der schreibt nach dem Sichten eine Amazon-Rezension, leider gibt’s nämlich noch keine einzige.
Wenn der Spreewald so gar nicht Euren Geschmack trifft, gäbe es da noch fix zwei andere Empfehlungen:
Backpacking in Pakistan: Unsere Reise durch ein verborgenes Land. (Partnerlink)
Anne und Clemens schreiben den wunderbaren Blog Travellers Archive und mein Rezensionsexemplar liegt zu einem Viertel gelesen auf meinem Nachttisch. Ich hatte nicht vor, nach Pakistan zu reisen, die Geschichten lohnen sich aber ohnehin als reines Lesevergnügen.
Noch eine letzte Empfehlung:
China, wer bist Du? vom Reisedepeschen-Verlag. Ich konnte bisher nur einmal reinschnuppern, kaufen wollte ich es eigentlich auf unserem geplanten Buchmarkt zum Indie-Book-Day, der natürlich abgesagt wurde. Über China möchte ich ohnehin noch viel mehr wissen, und ich glaube, dieses Buch eignet sich dafür perfekt. Hier nicht im Bild: Das tolle Layout. Wie immer hat Johannes von den Reisedepeschen sich sehr ins Zeug gelegt und das China-Motto mit schönem Papier, Aufmachung und Bild aufgegriffen und beeindruckend umgesetzt.
Und weil ich jetzt ohnehin schon aus der Routine ausgebrochen bin, das Coronatagebuch nur für mich zu schreiben, und das dringende Bedürfnis nach positivem Denken habe, gibt es noch ein paar weitere Empfehlungen:
- Abonniert den Newsletter von Johnny Haeusler. Freundlich, beruhigend, mit spannenden Picks aus Netz, Politik und Kultur – und offensichtlich dem gleichen Geschmack wie ich, häufig stehen diese Sachen bereits auf meiner Topfprimel-Liste.
- So wie zum Beispiel die Uncensored Library, die mir der Kleinste neulich zeigte: Reporter ohne Grenzen haben diese im Spiel Minecraft eröffnet – eine Hintertür, um in Ländern mit krasser Zensur viele Schriften eben doch zugänglich zu machen. Genial! Lasst Euch das besser von Euren Kindern zeigen.
- Viele Museen bieten virtuelle Touren an. Wieso haben wir das alle vorher noch nicht gewusst?
- Die Sendung mit der Maus gibt’s jetzt nicht nur wöchentlich, sondern täglich! Eindeutig empfehlenswert auch für Erwachsene!
- Wenn Eure Kids nicht ausgelastet sind, hilft eindeutig: Kendama. Das ziemlich verrückte Etwas ist natürlich aus Japan importiert und die Story ist so klischeemäßig, dass sie falsch klingt: Erfunden wurde es als Sport für die Alten – was sonst. Als Appetizer habe ich jetzt extra das coolste Kids-Video rausgesucht, das ich finden konnte:
Bis Morgen
/inka