1995 in Prag. Das mit der Backgroundcontrol auf Fotos kam später.

Dear Me ist eine Kampagne und ein Buch, eine Initiative und eine Blogbewegung, bei denen Menschen einen Brief an ihr jüngeres Ich verfassen. Mitbekommen habe ich das durch einen Artikel bei BerlinMitteMom und seitdem hat mich die Frage nicht mehr losgelassen, was ich denn meinem jüngeren Ich mitteilen würde. Schließlich habe ich mich doch hingesetzt und mir selbst einen Brief geschrieben.

Hörempfehlung für diesen Post: Benutzen Sie Sonnencreme.

Dear me

Alles wird besser.
Das ist der Kern von dem, was ich meinem früheren Ich gerne sagen würde. Beruhigende Worte und die Gewissheit, dass alles besser wird.

Ich verrate Dir nicht, wie glücklich Du einmal werden wirst, denn das würde die Spannung nehmen aus diesem Abenteuer Leben, und es würde vermutlich verhindern, dass Du durch all die Täler gehst, die doch so wichtig sind, um irgendwann auf dem Berg anzukommen, auf dem ich jetzt stehe. Du würdest wohl eine Abkürzung suchen zu diesem Glück, doch Abkürzungen könnten Dich ganz woandershin führen, und das möchte ich nicht riskieren.

Ich würde Dir aber sagen, dass es nicht immer so schwierig sein wird. Seine eigenen Grenzen zu erkennen wird leichter werden, das Hadern, ob etwas falsch oder richtig ist, ob sich etwas hinterher gut anfühlen wird oder mies, wird weniger. Ich würde Dir sagen, dass es ok ist, dass Du keine Ahnung von Deinen Grenzen hast und alles ausprobieren musst, damit Du später einmal genießen kannst, Dich selber zu kennen.

Punkig in Wolfsburg

Ja ich war so nen bisschen punkig. Aber auch, wenn es so aussieht: Nein, ich habe weder Drogen- noch Alkoholprobleme gehabt. ;) Hier feiere ich den Abschied von meiner alten Schule. Ich habe in der Oberstufe auf eine andere Schule gewechselt, weil ich mein altes Gymnasium „zu spießig“ fand. Heute muss ich kichern, wenn ich daran denke.

Dear me

Die Tiefschläge kommen in Zukunft nicht mehr in dieser geballten Form. Das selbständige Leben fern von zu Hause wird tatsächlich so gut für Dich sein, wie Du Dir das erträumst.
Die Zeiten, in denen die Miete und das Brötchen auf dem Frühstückstisch nicht bezahlbar sind, werden kommen aber auch vorbeigehen. Deine Wut wird vorbeigehen, diese tiefsitzende Wut, und dass sie geht ist nicht schlimm oder falsch, denn ja, die Wut macht Dich zwar kreativ und engagiert, aber sie frisst nicht nur Falten ins Gesicht sondern auch Narben in Dein Hirn; Narben, die Dich von einer Fröhlichkeit abhalten werden, die andere Menschen und Dich selbst glücklich machen kann.

Habe Mut, Dinge auszuprobieren, auch wenn sie Dich in finanzielle Schwierigkeiten bringen können. Verzichte nicht auf das, was andere sich trauen. Mach Interrail, auch wenn Du Dich im Klo vor dem Schaffner verstecken musst. Reise.

Sei nicht traurig, dass Du traurig bist. Sei nicht stolz, weil Du wütend bist.

Hör nicht auf, Deine handgeklöppelten HTML-Zeilen ins Web zu schreiben, eines Tages wird es so etwas wie „WebLogs“ geben und Du wirst damit die Großmutter des Bloggens sein. Trink nicht so viel von diesem schrecklichen Filterkaffee.

Hab keine Angst davor zu heulen, denn Du wirst immer wieder aufhören können. Mach Deine Mathehausaufgaben, Du wirst erstaunt sein, wie gut Du darin bist. Mach Sport.

Dear me

Danke. Ich danke Dir, denn alles, was Du tust, wird mich hierher bringen. Ganz ohne Wut stehe ich heute auf meinem Hügel, mit zwei tragenden Beinen, mit Augen, die so viel Aufregendes und Schönes gesehen haben, mit Menschen, die mich lieben und mit dem Gefühl, sehr glücklich zu sein.

Nur den Schmalz in der Schreiberei, den hättest Du mir ruhig mal abgewöhnen können.