Eines weiß ich mit Sicherheit: Rund läuft nix im Leben. Schöne Dinge kosten Arbeit, gute Zeiten folgen schlechten, und in Letzteren heißt es: Krönchen richten, weitermachen.
Nach Jahren des Reisens habe ich natürlich so manche Grenzerfahrung gemacht. Die wenigsten davon habe ich niedergeschrieben, denn wer will schon über Magensäfte und verpasste Züge lesen. Aber sicher ist: Die bescheuertsten Pannen geben entweder die schönsten Geschichten oder die weisesten Ratschläge. Und deshalb schreibe ich einige heute hier nieder.
Allerdings gebe ich zu, dass „Panne“ in diesem Kontext nicht ganz richtig ist, schließlich habe ich mich selber in diese Situationen gebracht. „Grenzerfahrung“ trifft es daher vielleicht besser.
Auf dass Ihr schmunzelt, kichert oder Euch vielleicht nicht ganz so lebensmüde ins Abenteuer stürzt. Oder es vielleicht gerade deshalb tut.
Sommer 1990: Wie ich durch einen Wald rannte, vor einem Bahnhof zeltete und mir Polizisten guten Morgen wünschten
Ich war 15, meine besten Freundinnen 14 Jahre alt, und wir beschlossen, ganz alleine eine coole Reise quer durch Deutschland zu machen. Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir es schafften, das OK von unseren Eltern zu bekommen – für heutige Zeiten ja eher unfassbar. Ein Zugticket brachte uns an ausgewählte Bahnhöfe, etwa fünf Stationen sollten es sein, ca. zwei Wochen, wir fühlten uns wie Tschick höchstpersönlich (nur dass der Roman damals noch nicht geschrieben war).
Statt ausschließlich den Zug zu nehmen, trampten wir ein bisschen kreuz und quer und machten schließlich Halt am Ponyhof, auf dem meine Freundinnen regelmäßig einen Teil der Sommerferien verbrachten. Dass sich die beiden dreisterweise unter die zahlenden Gäste mischten und zwei Ponys abgriffen, um damit heimlich durch die Gegend zu reiten, war, nunja, vermutlich nicht die klügste Idee. Ich selbst blieb beim Zelt um aufzupassen, denn der Campingplatz war uns zu teuer, also hatten wir uns direkt daneben in die Büsche gehauen – vermutlich auch nicht besonders schlau. Teenager…
Auf einmal erschienen meine beiden Freundinnen, abgehetzt. Die Ponyhof-Leitung hatte den Clou mitbekommen, sie über Lautsprecher ausgerufen und Helfer auf die Suche geschickt. Also schnell Zelt zusammengerafft und quer durch den Wald gerannt, wo wir die nächste Straße vermuteten. Puh, entkommen.
Wir liefen und liefen, bis wir Leute trafen und uns zu einem Bahnhof durchfragen konnten – wir hatten eine sehr grobe Karte, sowas wie Smartphones gab es schließlich damals noch nicht. Dort, an diesem einsamen Dorfbahnhof, fuhr selbstverständlich an diesem Tag kein Zug mehr, alles abgeschlossen, nirgendwo gab es eine Auskunft. Also beschlossen wir, vor dem Bahnhof zu zelten, um dann in der früh möglichst schnell wegzukommen.
Am nächsten Morgen wachte ich von einem Klopfen gegen die Zeltwand auf. Ich frage mich heute noch, was die Beamten wohl gedacht haben müssen, als ich meinen 15jährigen müden Wuschelkopf hinausstreckte und sie erschrocken anblinzelte. Mir fiel sofort das Herz in die Jogginghose, das könnt Ihr Euch denken.
Doch die Beamten wünschten einen guten Morgen und erkundigten sich lediglich, ob wir drei Teenagerjungs auf Fahrrädern gesehen hätte.
„Ähm – nein?“ erwiderte ich unsicher.
Freundlich verabschiedeten sie sich und zogen von dannen. Und wir? Fuhren weiter nach Bremen, wo ich das erste T-Shirts meines Lebens klaute, sofort erwischt wurde, auf der Polizeiwache die Beamten anlog, ich sei mit den Eltern meiner Freundin unterwegs und mich von diesen zurück zum Campingplatz kutschieren ließ. Aber das ist eine andere Geschichte.
Gelernt: Es lebe die Dreistigkeit der Teenagerjahre. Polizisten sind erstaunlich uninteressiert. Ich habe nie wieder etwas geklaut.
Frühjahr 2010: Wie mir etwa 50 Schotten beim Dünnpfiff zusahen und ich ihnen wie die Queen dabei zuwinkte
Die Schotten sind sehr höfliche Menschen. Das konnte ich erleben, als ich im Mai 2010 den West Highland Way lief.
Ich war gerade erst einen Tag unterwegs, als ich am letzten Gasthaus vorbeikam. Für die nächsten fünf Tage würde ich auf meinen Proviant angewiesen sein. Also nahm ich die Gelegenheit wahr und probierte die sagenumwobenen Haggis, Schafsmagen gefüllt mit Herz, Leber, Lunge, Zwiebeln und Hafer, eine Spezialität Schottlands. Ich mag Innereien, aß das mit Kartoffeln kredenzte Gericht tatsächlich auch komplett auf und machte mich auf den Weg, um die letzten 14 Kilometer zum nächsten Campground hinter mich zu bringen. Doch ich kam nicht weit.
Nach gerade vier Kilometern, etwa einer Dreiviertelstunde, blitzte mir ein Rehhintern aus dem Gebüsch entgegen, aber noch bevor ich meine Kamera gezückt hatte, rollte sich mein Mageninneres urplötzlich zusammen und entließ selbigen im großen Strahl aus meinem Mund. Noch selbst völlig überrascht lief ich weiter. Der Weg führte nun an einem Berg entlang. Mir schwante, ich solle mir besser schnellstens eine Möglichkeit zum Klogang suchen. Doch da war nichts. Rechts erhob sich der recht steile Berg, links der Abgrund mit einigen Bäumen, viel zu steil, um irgendwo hinunterzuklettern. Und langsam fühlte ich die Energie aus mir weichen, ich würde nicht mehr weit laufen können, so viel war klar.
Alle 5 Minuten entleert sich nun mein Magen krampfartig und in meinem Unterbauch rumort es warnend.
Als links ein etwa 8 Quadratmeter kleiner Platz mit einem einzelnen Stein auftaucht, etwa so hoch wie ein Stuhl, wittere ich meine Chance, lasse meinen Rucksack fallen, hechte hinter den Stein, Hose runter…. aaaaaawwwwwww, gerade noch geschafft. Mit großem Getöse entleere ich mich unten und oben.
„Can I help you?“
Es gibt ungefähr gar keine Situation, in der man diesen Satz noch weniger hören möchte als in dieser. Den Hintern entblößt und kaum versteckt hinter einem winzigen Stein, Darmentleerungsgeräusche von sich gebend, hilflos vor sich hinreiernd.
„No no, thank you“, kotzt es aus mir heraus.
Betretene Blicke auf den Boden, weitergehen. Der West Highland Way, muss man wissen, ist ein gut frequentierter Wanderweg.
Nach der zwanzigsten höflichen Frage winke ich lediglich ab und wedele wie die Queen mit einer Hand, sie mögen doch besser weitergehen und mich in meinem Elend alleine lassen. Irgendwann, endlich, gefühlt nach Stunden, kommt niemand mehr.
Ich schaffte es dann übrigens, zwischen den Kotzattacken mein Zelt aufzubauen, verbrachte die Nacht mit dem Kopf aus meinem Zelt hängend, und machte es am nächsten Tag tatsächlich, obwohl ich sehr schwach auf den Beinen war, zum Zeltplatz. Dort munkelte man, ich sei nicht die einzige, der es am Vortag schlecht gegangen sei…
Gelernt: Hab immer Traubenzucker dabei. Und ein paar Elektrolyte. Und genügend Humor.
Sommer 2010: Wie ich mich in den italienischen Bergen verlief, 52 Stunden im Zelt festsaß, Regenwasser gegen meinen Durst sammelte und gegen Riesenspinnen kämpfte
Ich brauchte eine neue Herausforderung und nahm mir im August 2010 den Ligurischen Höhenweg vor, ein alter Fernwanderweg, der sich in Teilen mit dem E1 kreuzt und oberhalb der Küste Italiens mit Blumenriviera und Cinque Terre in den Ligurischen Bergen verläuft.
Misstrauisch hätte ich werden sollen, als ich Karten nur aus zweiter Hand erstehen konnte und so gar keine Informationen zu existieren schienen. Auch vor Ort – ich startete von einem Campingplatz nördlich von Genua – schien niemand den Via dei Monti Ligure zu kennen. Schließlich fand ich einen „Eingang“ und lief los, schon bald auf einen Berg in einen dichten Wald hinein. Es begann zu regnen. Nach wenigen Stunden hatte ich mich komplett verlaufen.
Der Weg war immer schmaler geworden, endete als Trampelpfad und schließlich im nirgendwo, ich musste falsch abgebogen sein. Der Berg wurde immer steiler, der Regen immer stärker. Der Versuch, den Weg durch „kreisen“ zu finden, endete an einer steilen Klippe, also versuchte ich es im Zickzack – und war nach drei Stunden endlich erfolgreich, gottseidank. Ein bisschen blöd kam ich mir vor, als ich feststellte, wieder auf dem ursprünglichen Weg gelandet zu sein. Ich hätte einfach nur weitergehen müssen. Ganz offenbar wurde der Ligurische Weg weder gepflegt… noch wurde er begangen, was irgendwie schon ein etwas mulmiges Gefühl war.
Als ich endlich aus dem Wald herauskam und den Grat überqueren sollte, kam der Sturm.
Er blieb die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag und auch noch die nächste Nacht. Mein Wasser war längst aufgebraucht, also harrte ich in meinem kleinen Zelt aus und sammelte Regenwasser, wovon mehr als genug da war. Nach 52 Stunden endlich: Ruhe.
Als ich den Reißverschluss vom Zelt öffne, glotzen mich zwei fette Spinnen an, die es sich in meinem Kochtopf, der für das Regenwassersammeln gedacht war, gemütlich gemacht haben. Angeekelt schmeiße ich das Ding ein paar Meter weit weg.
Ich blinzele in die Morgensonne, krabbele aus dem Zelt, recke mich, freue mich, schmeiße die Arme in die Luft, schaue mich um – und erstarre vor Schreck. Netze.
Riesige.Unglaubliche.Spinnennetze!
Niemand wird mir glauben, denke ich, also versuche ich, die Netze zu filmen und Fotos zu machen, aber mir gelingen nur zittrige Aufnahmen, weil ich denke, ich falle gleich in Ohnmacht. Bloß.Weg.Hier. Schnell!
Ich schreite also den Weg steilen Weg an der anderen Bergflanke voran. Er ist kaum erkennbar, lediglich ein Trampelpfad, unglücklicherweise verdeckt von Gras und matschig von den letzten Regentagen. Bei jedem Schritt muss ich aufpassen, dass unter meinem Fuß keine Erde wegrutscht und ich 50 Meter den Berg hinunterfalle. Und: Spinnen.
An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich unter zwei Paranoia leide: Höhe und Spinnen.
Erst später erfahre ich, dass Ligurien bekannt für seine großen Spinnen ist – ich habe solche Exemplare vorher noch nicht gesehen. Mit einem Stock wedle ich fasziniert, endlos zitternd und angeekelt die riesigen Netze vom Weg, die dabei knacken, als würden sie schon Jahrzehnte dort hängen und aus Leinen statt Spinnenseide bestehen.
Mein Angstschweiß fängt unglaublich an zu stinken, ich komme nur noch mit 1 km/h vorwärts, meine Knie schlottern vor Angst. Als ich einen Satz zur Seite mache, weil so ein Spinnenviech direkt neben meinem Gesicht auftaucht, ich kurz vom Weg abrutsche und mich nur an einem Gebüsch festhalten kann, reicht es mir: Ich gebe auf.
Es gibt übrigens ein Video davon: Drei Tage, vier Nächte: Grenzerfahrungen auf dem Alta via dei Monti Ligure. Aber Achtung, es ist das schlechteste Video, was Ihr je gesehen habt. Lachen dürft Ihr allerdings auch.
Gelernt: Die Ligurischen Berge sind eine unglückliche Wahl für Leute mit Spinnen- und Höhenangst aber eine gute, um endlich den Hintern hochzubekommen, einen Kletterkurs gegen die Höhenangst und eine Spinnentherapie in Eigenregie durchzuführen.
Sommer 2013: Wie ich auf einer Kamelfarm in Kasachstan landete und nicht mehr entkommen konnte
Es gibt ja so Träume, die man hat. Ein Haus bauen. Einen Baum pflanzen. Ein Buch schreiben. Bei mir sollte es die „Kleine Kulturgeschichte des Kamels“ sein, und Umstände hatten mich veranlasst zu denken, dass Kasachstan eine gute Idee sei, um auf einer Kamelfarm diese seltsamen und faszinierenden Tiere zu beobachten.
Also buchte ich über einen zufälligen Kontakt einen Guide, der mich umherkutschieren sollte. Wir wollen in die schönen Berge und in das grandiose Naturschutzgebiet Sairam-Ugam, ich wollte außerdem das Khoja Achmed Yasawi Mausoleum sehen und letztendlich versprach der Guide, sich auch um eine Kamelfarm zu kümmern. Alles Paletti.
Der etwas holprigen Anreise, weil man mich in Moskau fast nicht weiterfliegen lassen wollte, folgte die Bekanntschaft mit Mischa, meinem Reiseguide, der sich als begeisterter Deutschland-Fan herausstellte. Nachdem ich mir Vorträge über die listigen Zigeuner, diebischen Usbeken und die „gelbe Bedrohung“ angehört hatte, war ich nicht mehr ganz so enttäuscht, dass der schlimmste Sturm des Jahrzehnts heranzog und alle Pläne für die gemeinsamen Ausflüge in das Naturschutzgebiet vernichtete.
Die Kamel-Farm stellte sich dann als Kamel-Melk-Farm mit Dromedaren heraus – man muss wissen, dass Dromedare, die zu den Altweltkamelen gehören, üblicherweise eher in Afrika zu finden sind. Die östliche Variante ist das Trampeltier, auf das ich eigentlich scharf gewesen war. Aber für Mischa war Kamel eben Kamel. Er würde mich hier in drei Tagen wieder abholen, sagte er mir.
Masura und Ruslam, die beiden Uzbeken, die hier gemeinsam mit ihrem 5-jährigen Kind wohnen, sprechen weder Russisch noch Englisch. Die Farm ist ein einfacher Rohbau mit einigen alten Hütten, ich erfahre (von Masura, die mit Händen und Füßen ganze Geschichten erzählen kann), dass diese vor einiger Zeit abgebrannt ist und nun wieder aufgebaut wird. Sie gehört einem reicheren Russen, Masura und Ruslam haben zwei Mal am Tag die Aufgabe, die Kamelmütter zu melken, Ruslam bringt einen Teil der Kamele außerdem tagsüber auf die Weide. Masura sitzt den ganzen Tag vor dem Fernseher, der Kleine spielt im Müll. Die Farm ist voller Müll und Dreck.
Schon am ersten Tag werde ich mit der brutalsten Tierquälerei konfrontiert, die ich je gesehen habe. Beim Melken peitscht Ruslam die Kamelmütter blutig, während Masura melkt. Das Peitschen ist völlig sinnlos, ich bekomme das Gefühl nicht los, dass er hier lediglich irgendeinen Frust abbaut. Hinterher tropft es blutige Bindfäden aus dem Maul und ich weiß, dass ich das Schreien der Kamele und diesen Anblick nicht vergessen werde. Ich bin absolut hilflos und schaffe es nicht, mit Händen und Füßen zu erklären, wie barbarisch ich das Vorgehen finde.
Es macht leider auch gar keinen Sinn. Ein sterbendes Lamm liegt mitten auf dem Hof und blökt vor sich hin, der Hund, der aufpassen soll, wird „als Spiel“ vom Kind getreten. Dass Tiere fühlende Lebewesen sind, wissen sie anscheinend nicht. Vielleicht ist es ihnen auch einfach egal.
Mir begegnen sie freundlich, allerdings werden die Gesten von Ruslam und einem weiteren Angestellten der Farm immer anzüglicher. Als sich am zweiten Abend meine Anwesenheit herumgesprochen hat und mehrere Männer sich volllaufen lassen und mir dabei eindeutige Angebote machen – Mariam hat sich in die Küche verzogen – verschwinde ich auf mein Zimmer und bereite mich auf das Schlimmste vor. Aber die Bücher, die ich als nutzlosen Schutz vor meine Tür gestellt habe, werden in dieser Nacht glücklicherweise nicht weggestoßen.
Diese Geschichte hat leider kein Happy End, auch das passiert. Ich bin zwar heil von der Farm weggekommen, die Kamele jedoch nicht, was mir heute noch das Herz bricht. Wer die ganze Geschichte lesen will, die gibt es hier: Auf einer Kamelfarm in Kasachstan.
Gelernt: Off the Path bedeutet halt manchmal auch Arschkarte.
Herbst 2016: Wie mein Camp im Urwald von Vancouver Island überfallen und alle außer mir ermordet wurden – und was das mit einem Puma zu tun hat
Vancouver Island, September 2016. Mit einer Bloggerkollegin Manuela habe ich eine große Kanada-Reise geplant, wir sind erst seit wenigen Tagen im Land und befinden uns im fantastischen Orca-Camp auf Vancouver Island, wo wir mit Orcas Kajaken und in einer kleinen Gruppe den fantastischen Regenwald und die schöne Küste genießen.
Nachts schlafen wir 100 Meter von der Küste entfernt zwischen den riesigen alten Zedern und Farnen in geräumigen Zelten. Da diese Woche lediglich 2 Guides und 6 Gäste da sind, bekommen wir beide je ein eigenes Zelt.
Ich liebe es, in der Natur zu schlafen und kann mich im Zelt gut entspannen. Mein Instinkt ist allerdings recht ausgeprägt, so dass ich bei „artfremden“ Geräuschen schnell wach bin. So auch in dieser Nacht.
„HEEEEEEEEEEEEEELP!“
Ich bin sofort hellwach. Da hatte jemand um Hilfe geschrieen, eindeutig. Aber jetzt: unheimliche Stille. Ich werde unruhig, es ist seltsam, dass niemand zurückruft. Die Stimme war eine Männerstimme und kam nach meiner Einschätzung von einem der drei unteren Zelte, also von den Jungs. Manuela und ich hatten die beiden Zelte weiter oben im Urwald besetzt.
„Do you need help?“ rufe ich dusseligerweise zurück.
Stille.
Wieso antwortet denn niemand?
Die Stille ist es, die jetzt meine Nerven blank legt. Wir sind 6 Leute in 5 Zelten recht dicht beieinander (die Guides zelten weiter entfernt), ein Mann schreit um Hilfe, wieso reagiert denn niemand außer mir?! Ich rätsele, was ich jetzt tun soll. Ist es sicher, nach draußen zu gehen?
BÄNG!
Es blitzt und ein ohrenbetäubender Knall ertönt. WTF, das war ein Schuss! Ich reiße die Augen auf und das Adrenalin schießt mir ins Blut. Das. Ist nicht. Gut.
Ich warte. Stille.
Spätestens jetzt wird mir klar, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein muss. Ich lausche in die Stille hinein und höre – nichts. Kein Rascheln von Schlafsäcken, kein Wispern – ich bin ganz offensichtlich völlig allein.
Während meine Urinstinkte sich breit machen, ich mich leise flach auf den Boden rolle, um den nächsten Schuss nicht abzubekommen und nach meinem Messer und meiner Stirnlampe greife, suche ich nach einer logischen Erklärung. Es gibt keine. Jemand muss das Lager überfallen haben und ich habe es nur beim letzten Hilfeschrei mitbekommen. Jetzt bin ich allein und werde mich wehren müssen.
Ich hocke mich vor den Zelteingang, mit Messer und ausgeschalteter Stirnlampe in der Hand, bereit, jeden Eindringling zu blenden und – zu erstechen? Wirklich?
Mein Adrenalin pumpt, ich schlottere vor Angst und überlege, wie ich am besten zusteche. Und wann?
Gefühlte Minuten vergehen, während die Gedanken in meinem Kopf Karussel fahren. Ich denke an Ureinwohner und deren Kampf um ihre Wälder und vergesse, dass ich eindeutig zu viele Comics gesehen habe, in denen Pistolen Blitze machen, wenn sie schießen.
„Is everybody ok? Come down to the beach right now!“
Jeremy, gottseidank! Ohne weiter nachzudenken reiße ich beim Klang der bekannten Stimme den Zelteingang auf und stürze den Trampelpfad zum Strand hinunter und möchte unserem Guide in die Arme fallen. Zu meinem Erstaunen sind alle da, auch Manuela stolpert hinter mir her. Was zum Teufel…
Wir reden alle aufgeregt durcheinander, bis Jeremy „STOP“ ruft und erzählt, dass er am Strand entlangging und auf einmal einen Puma sah – ein Puma! Nun muss man wissen: Pumas sind sehr scheue und schlaue Tiere. Wenn sie sich zeigen, dann nur, wenn sie sehr viel Hunger haben. Und das bedeutet auch: Wenn Du einen Puma siehst, bist Du in Gefahr und solltest Dich sofort mit allen Mitteln wehren. Jeremy hatte also sofort reagiert und einen „Bear Bang“ losgelassen, einen Leuchtpistolenschuss, der außerdem furchtbar laut ist und dazu gedacht, Pumas und Bären im Notfall zu vertreiben. Große Erleichterung auf allen Seiten, wir lachen, alle reden, bis ich frage:
„But who screamed for help?“
Jeremy ist irritiert, ich erkläre, dass jemand um Hilfe geschrieen hat vor dem Bear Bang, und dass ich deshalb dachte, das Camp sei überfallen worden. Und ich frage in die Runde, warum niemand mir geantwortet hat, und warum niemand anderes gefragt hat, ob alles in Ordnung sei.
Manuela beteuert, erst von dem Bang wachgeworden zu sein. Die Jungs schauen betreten auf dem Boden. Ach so ist das.
Aber wer hat denn nun nach Hilfe geschrieen?
Nach einigem Rätselraten meldet sich eine leise Stimme vom alleinreisenden Polen: Naja, also er hätte einen unruhigen Schlaf, es könnte sein, also seine Freundin hätte ihm ja schon häufiger mal erzählt, dass er nachts schreien würde, vielleicht, also vielleicht hätte er ja geträumt…
Gelernt: Es gibt sie, die seltsamen Zufälle. Und wenn die Logik noch so zwingend erscheint, dass Du gerade ermordet werden sollst, ist die Relität vielleicht doch eine andere.
Hat’s Euch gefallen? Es gäbe da noch ein paar andere Geschichten. Vielleicht, mal schauen, gibt’s ja irgendwann noch einen Teil II. Ich mache mir allerdings etwas um meinen Ruf Sorgen…