Heute geht es nach Schweden zum Ziplining! Genauer: Nach Småland. Zu der Zipline überhaupt! Ganz genau: Zur niegelnagelneuen, frisch eröffneten und deshalb wagemutig von mir erprobten längsten Zipline Europas!
John ist verrückt, eindeutig. Er hat ein großartiges Charaktergesicht wie Willem Dafoe, und die Mischung aus leicht angehauchtem Hippie-Ismus, Bhuddismus und dem sorgfältigen schonenden Umgang mit der Natur im Einklang mit seinem Mammutprojekt lässt erahnen: Der war in seinem Leben viel unterwegs.
Genauer kann ich das leider nicht erfahren, denn John ist total beschäftigt, heute ist an der Zipline wahnsinnig viel los. Während der Bauzeit hat sich das Projekt des verrückten Schweden herumgesprochen und jetzt rennen ihm die (bisher noch ausschließlich schwedischen) Kunden die Bude ein.
Kein Wunder: Es ist sehr hübsch hier, sehr schwedisch, John hat sich das „Little Rock Lake“-Gebiet ausgesucht, was teilweise Naturschutzgebiet ist und nur unter strengen Auflagen genutzt werden kann. Aber John ist ein Naturtyp, das merkt man: Alle Schilder, Treppen, die Aufenthaltsterrasse, Tische, Stühle und auch die Türme – einfach ALLES ist hier selbst gezimmert!
Wir besprechen kurz die Möglichkeiten: Es gibt eine blau-grüne Route, die ist harmloser und eine schwarze Route.
Worum es hier eigentlich geht?
Beim Ziplining oder auch Seilrutschen „sitzt“ man im Klettergurt, der mittels Karabinerhaken an einem Drahtseilsystem angebracht wird. Und dann wird eben nur noch entlanggerutscht, in der Regel zwischen zwei Punkten über einer Schlucht, bei der Little Rock Zipline schwingt man sich so von Turm zu Turm.
Die 5 letzten Abschnitte ergeben die blau-grüne Route, alle 9 zusammen ergeben die schwarze Route, die je nach Gruppengröße (6-12 Leute) eineinhalb bis zwei Stunden dauert!
Ja, die Kids mit 16 und 13 können auch die schwarze Route fahren, wenn sie sich trauen, sagt John.
Ich bin natürlich total scharf auf die Schwarze, die bis zu über 50 Meter hoch ist und ca. 1,5 Kilometer lang, yaaiiiii, ich kriege schon glänzende Augen und Bauchflattern, wenn ich nur daran denke!
Den 7-Jährigen, so wird beraten, kann man vor einen Erwachsenen schnallen. Nach kurzer Beratung trauen sich das alle drei Kids auch zu, wow, wir werden also gemeinsam die schwarze Route fahren!
Der Ablauf ist noch einigermaßen durcheinander, oder die Buchungen, jedenfalls müssen wir erst warten bis zur nächsten schwarzen Gruppe, die sich dann als voll herausstellt und warten dann noch einmal, insgesamt leider ganze 4 Stunden, was anstrengend ist und mir fast das Erlebnis verleiden will, zumal sich das schöne Wetter irgendwann verzieht und ich die Emma, meine DSLR, sicherheitshalber wegpacke. Aber ich habe ja genau für solche Situationen mein iPhone mit Spritzwasserschutz angeschafft und beschließe daher, diese Aktion mal ausschließlich mit Instagram-Bildern und einem iPhone-Video festzuhalten.
Die Wartezeit vertreiben wir uns aber dann doch noch ziemlich hübsch am nahegelegenen, unheimlich schönen See, außerdem können wir uns das Gelände anschauen, schon mal auf den ersten Turm raufklettern und die Aussicht genießen, den Start einer blau-grünen Gruppe verfolgen und beknackte Fotos von uns machen.
Tipp gegen Langeweile: Die Dinger, an denen man dann an den Seilen aufgehängt wird (da links neben meiner Hüfte), sehen fast wie so supergalaktische Laserkanonen aus. Wie Colt Sievers zieh ich meine Waffe und BÄM!… Achung!… Bämbäm!… Ach Kinners… rennt doch die Leute nicht um! … Die gucken schon so komisch…
Im Gegensatz zur schwarzen Route, die von einem Turm startet, beginnt die blau-grüne Route an einer Plattform mitten im Wald. Während wir durch das Gelände stapfen, um eine andere Gruppe zu beobachten, erklären uns die Guides, dass wegen des Naturschutzgebietes alles entweder per Helikopter oder die letzten Meter per Muskelkraft angeschleppt werden musste, was ich mir kaum vorstellen kann. Eine lange Treppe aus wunderschönem Holz hat John höchstselbst bei Minus 20 Grad im letzten Winter gebaut, um endlich fertig zu werden. Dass das bei den Guides schwer Eindruck macht, ist ihnen deutlich anzumerken.
Mitten im Wald gibt es dann nicht nur Preiselbeeren zu naschen sondern auch eine Hinweistafel auf Wölfe. Beim Bau der Zipline wurden Spuren dieser Tiere gefunden – die Gruppe freut sich. Ich bin total angenehm überrascht, dass es hier auch darum geht, den Gästen die Schönheit und den Wert der schwedischen Natur beizubringen, das ist natürlich nach meinem Geschmack, und vermutlich auch nach dem Geschmack der EU: Laut John wurde die Zipline zu einem Drittel von EU-Geldern finanziert, das dürfte recht hohe Auflagen an Nachhaltigkeit mit sich gebracht haben.
Beim Aussichtsturm spendet man für die Frösche, das Plumsklo ist vermutlich sehr naturisch, leider riecht es und sieht es auch so aus, das gezimmerte Wartedeck und die ebenfalls selbstgezimmerten Holztische und Bänke sind fantastisch, und dann gibt es noch: Die Türme!
Das Wetter lockert wieder auf und endlich sind wir dran. Mittlerweile haben einige Wartenden aufgegeben und wir Fünf haben nur noch Begleitung von einem anderen Pärchen und drei Guides. Die Sonne neigt sich bereits, das Licht über den Wäldern Schwedens wird unheimlich weich und schön, wow, wir rutschen quasi in den Sonnenuntergang hinein.
Nach einer Einweisung starten wir vom ersten Turm, „nur“ 20 Meter über dem Boden. Wie immer, wenn ich angeseilt bin, verfleigt meine Höhenangst aus seltsamen Gründen – gottseidank, aber allen ist trotzdem ein kleines bisschen mulmig zumute, aber das muss ja auch so, wo bliebe denn sonst der ganze Spaß.
Wir selber müssen erstmal nichts tun, die Guides sagen uns, wo wir uns hinstellen sollen, haken uns um und achten darauf, dass wir immer und zu jeder Zeit gesichert sind. Und dann geht es los. Einfach loslassen!
Die Landung ist am ersten Turm noch das, was jeden von uns am meisten beschäftigt, denn man darf auf keinen Fall zu doll oder zu früh bremsen, weil man dann eventuell stoppt und in die Mitte des durchhängenden Seils zurückrutscht – wenn man nicht schnell genug ist, ins Seil greift und sich festhält. In dem Fall muss man sich um die eigene Achse drehen und sich mit den Armen am Seil zum Ziel hangeln.
Was mir selbstverständlich genau so passiert.
Immerhin habe ich recht zügig zugelangt und mich festgehalten und bin nicht bis in die Mitte zurückgerutscht. Ich muss mich nur ca. 8 Meter zum nächstne Turm ziehen, was aber schweißtreibend genug ist.
Am Turm angekommen, sehe ich, was uns dahinter erwartet: Gleich einer der höchsten und längsten Abschnitte, über 300 Meter lang, es geht ziemlich krass in die Tiefe – Hammer!
Nach dem Guide traut sich der 13-Jährige. Alle stehen gespannt, dann ist es unheimlich still. Erst wenn jemand losgedüst ist, ist das laute Zurren der Reibung am Drahtseil zu hören, was langsam immer leiser wird und dann wieder – Stille.
Lässt man die Beine hängen, geht es langsamer voran, nimmt man die Beine hoch, Füße zusammen und zieht die Knie etwas an, wird es schneller.
Ein bisschen mulmig ist mir beim „Loslassen“, das wird aber schon nach 5 Metern vom Glücksgefühl übertönt. Die zweite Strecke ist lang genug, um mich zu entspannen und rechts und links zu gucken – unter mir ein See – einfach krass schön!
Ein kleines Honk-Video gibt es hier zum Beweis, dass ich das wirklich gemacht habe. Die Abfahrt ist direkt am zweiten Turm, also da, wo es so steil runter ging und ich doch ein kleines bisschen zögerte:
Die „Pausen“, wenn die anderen fahren, sind umso besser zum Genießen der Umgebung über den Wäldern Schwedens. Ich weiß jetzt schon – von mir aus kann die Tour noch 5 Stunden dauern.
An den Türmen sind jeweils alle Informationen zu Länge der Strecke, Fallhöhe, Bodenmeterhöhe und durchschnittsgeschwindigkeit gegeben.
Die Türme, erfahre ich, haben eine total irre Geschichte hinter sich:
John baute sie in einer Werkstatt mit Freunden. Der Plan war, sie mit einem Helikopter ins Gelände zu transportieren und dort auf die vor Ort gebauten Sockel zu stellen. Doch man schickte ihm versehentlich einen viel kleineren Helikopter als verabredet. Das Dilemma: Der Tank war kleiner, daher blieben mit An- und Abflug gerade einmal 5 (in Worten FÜNF!!) Minuten Zeit für die Verankerung jedes Turmes. Johns Budget war knapp, er zog das also durch, und hatte ich erwähnt, dass John ein bisschen verrückt ist?
Ja, geschwitzt habe er einmal, erzählt er mir, als der Pilot bereits am runterzählen war und der Turm noch nicht verankert war: „‚Bei 0 lasse ich ihn fallen und bin weg‘, hat er gesagt“, lacht John.
Sie haben es dann tatsächlich hinbekommen, so wie John eben auch das ganze, total verrückte Projekt „Längste Zipline Europas“durchgezogen hat.
Richtig großartig wird es noch einmal zum Schluss, als wir auf den „Poles“ landen, das sind große, offene Plattformen statt der Türme. Weil es langsam dunkler geworden ist und das Licht etwas schwierig, werden meine Fotos leider nichts, aber auf der Karte sind sie eingezeichnet.
Auf dem letzten Abschnitt seufze ich vor mich hin. Die Tour hat eineinhalb Stunden gedauert, ich würde sofort noch weiter“fliegen“, aber irgendwie ist der Kopf auch voll und die Eindrücke müssen verarbeitet werden. Alle sind glücklich, hat es den Anschein, nur strahlende Gesichter um mich herum, auhc die Guides sind Feuer und Flamme,man merkt, dass sie das alle noch nicht so lange machen, alles neu ist und aufregend – umso schöner.
Als ich den letzten Turm runtergekraxelt bin und den Spruch auf der Tafel entdecke, verkneife ich mir das alberne Gekicher und die Frage an John, der unten auf uns wartet, wie er darauf kam. Hier sind schließlich Kinder.
TTT – TierischeTouriTipps
- Die Swedenzipline eröffnete erst im Mai, die Webseite ist jetzt endlich frisch online gegangen und es kann dort auch eine Tour gebucht werden – unbedingt vorbuchen, die Touren sind wahnsinnig begehrt!
- Die blau-grüne Route ist, wie erwähnt, schlicht kürzer als die schwarze, sie ist meines Erachtens aber nicht weniger aufregend. Die kürzere Route würde ich daher nur aus Geld- oder Zeitmangel empfehlen, die schwarze Route ist gerade wegen ihrer Länge so toll, hier hat man genug Zeit, das Erlebnis zu genießen! Eine Vorstellung bekommt man von der Zeichnung auf dem Flyer.
- Keine Sorge daher vor größeren Gruppen: Je größer die Gruppe, umso länger dauerts und das macht Spaß!
- Die Preise für Erwachsene sind schwedenüblich sehr teuer (die schwarze Route ca. 135 Euro), dafür aber sind Kinder bis 15 ziemlich günstig dabei. Bitte die genauen Preise auf der Websetie checken, es gibt auch Gruppentarife.
- Auf die Anfahrtsbeschreibung achten.
- Kinder dürfen ab 7 Jahren ziplinen im Tandem mit den Eltern (maximal insgesamt 125 Kilo) oder einem Guide, ab 10 Jahren und 35 Kilo alleine. Bei vorsichtigen/ängstlichen Kindern würde ich persönlich warten, denn zwischendurch einfach auszusteigen ist nicht überall möglich, man befindet sich mitten im Naturschutzgebiet und die Türme sollen wirklich nur bei Notfällen zu Fuß verlassen werden. Unsere Kiddies fanden es alle super.
- Übernachten kann man hier sogar auch, es fehlt da noch eine aussagekräftige Beschreibung auf der Webseite: Oben in den Türmen gibt es ganz einfache Zimmer, die gebucht werden können. Man schläft dann über den Wäldern Schwedens und unter den Sternen. Das muss fantastisch sein und hätte ich das vorher gewusst hätte ich das auf jeden Fall ausprobiert.
- Auf der Facebookseite und Instagram kann man sich schonmal die entsprechende Laune holen.
Ich bin gespannt, was der erste Winter bringen wird, John hat sich nämlich eigentlich vorgenommen, auch im Winter zu öffnen. Ob ich mal die Gelegenheit bekomme, über die verschneiten Wälder Schwedens zu gleiten? Ich werde berichten.
Disclaimer: Ein riesiges Dankeschön an John, der uns netterweise die Erwachsenenpreise erlassen hat. ;)