In einem Jahr jährt sich der Tag der Deutschen Einheit zum 25sten Mal – gefeiert wird aber schon dieses Jahr 25 Jahre Mauerfall.
Frage ich jemanden, was er oder sie am 3. Oktober 1990 gemacht hat, kann sich kaum jemand erinnern, aber fast jeder weiß, wo er am 9. November 1989 war. Die (West-)Deutsche Bundesregierung hat bei der Entscheidung des Feiertages verkannt, wie gut es dem neuen vereinten Deutschland getan hätte, diejenigen zu feiern, die für die friedliche Revolution und die Wende zu einem Großteil verantwortlich waren, aber es scheint, als ob es keine Helden geben durfte in der ehemaligen DDR. Der einzige Held, der gefeiert wurde, war unser von westdeutschen Knödeln aufgedunsener Kanzler, der so gar nicht zur Identifikation geeignet war.
Die Bundesregierung hat meiner Ansicht nach nicht verstanden, wie schön ein Feiertag gewesen wäre, mit dem die Menschen in Deutschland persönliche und vor allem meist schöne Erinnerungen verbinden. Denn der schwierige Scheiß kam ja meist erst hinterher.

Update 09.10.14: Sorry, ich habe Mist gebaut. Natürlich lässt sich eben nicht ein halbes Statement staten, sozusagen, zur Diskussion gehören alle Argumente, nicht nur halbe. Um den Artikel kürzer halten, hatte ich hier die Diskussion um den 9. November weggelassen, was ein Fehler war.
Auf Facebook wurde deshalb diskutiert: Selbstverständlich kenne ich die Vorbehalte wegen der Reichsprogromnacht, die ich natürlich nachvollziehen kann. Nichts desto trotz bleibe ich bei meiner Meinung, denn ein Gedenktag ist dieser 9. November eben nicht, da, soweit ich weiß – und ich teile diese Meinung – die Schrecken des Holocaustes nicht auf diese eine Nacht reduziert werden sollen und können.
Ein wunderbarer Vorschlag kam unten in den Kommentaren von Susanne: „
ich haette mich auch über einen Bezug gefreut, wenn nicht der 9. dann halt der 10. Nov oder vielleicht haette man einfach einen Montag zum Feiertag erklären sollen in Anlehnung und den Respekt für die Montagsdemos“ .
Ein großartiger Vorschlag, danke dafür. Und für Eure Diskussionsbeiträge – immer wieder sehr wertvoll!

Blogparade: Wo warst Du am 9. November 1989?

Es ist jetzt schon lange her, dass ich Menschen gefragt habe, wie ‚die Wende‘ für sie so war, deshalb würde ich mich freuen, wenn wir uns hier an dieser Stelle gemeinsam erinnern: Was haben wir am 9. November 1989 gemacht, wo waren wir und was hat uns in diesen Tagen geprägt?

Die Blogparade ist bis zum 10. November offen – für diejenigen, die ihren Beitrag erst am 9. November veröffentlichen wollen. Regeln siehe unten.
Bitte tragt hier in diesem Link-Tool Euren Blogbeitrag ein, er wird mit Thumbnail und Titel angezeigt:


Meine persönliche Erinnerung

Ich selbst war 15 Jahre alt, wohnte in Wolfsburg nahe der innerdeutschen Grenze, und ich weiß noch, dass ich mit meiner Freundin aus dem Kino kam, schnatternd über die zauberhafte Meg Ryan in „Harry & Sally“ und unserer vermutlich ersten quasi-live-Ansicht eines (wenn auch gespielten) Orgasmus – nein, wenn ich es recht überlege, waren wir wohl zu verschämt, um darüber zu sprechen.
Ich kann mich erinnern, dass mein Vater uns vom Kino abholen sollte, ich sollte von der Telefonzelle aus anrufen – ohmeih, jetzt komme ich mir alt vor!, aber das ging nicht, denn die Telefonleitungen waren zusammengebrochen.

Was sonst in jenen Tagen geschah, geht in meiner vernebelten Erinnerung durcheinander, denn meine Familie stand unter dem ganz persönlichen Schock des Verlustes meiner Mutter – sie war in jenen Tagen schon im Krankenhaus und starb am 19. November. Ich bin mir nicht sicher, ob sie damals noch richtig mitbekommen hat, was geschah.
Ich erinnere mich, dass der Aldi auf einmal immer ausverkauft war, die Regale so leer wie ich.

Erst später habe ich die vielen Bilder wahrgenommen, Jahre danach erst die wirklichen, hin- und mitreißenden Videos von dem Menschen gesehen, die auf der Mauer tanzten, und ich bin immer sehr bewegt bei diesen Bildern, vielleicht auch, weil sich mit dieser Zeit so viele verschiedene Gefühle überlagern, ganz sicher aber, weil diese pure Freude über Freiheit und den Sieg der Gerechtigkeit aus jeder tanzenden Pore auf den ollen Mauersteinen leicht zu Tränen rühren kann: Das ist unsere Geschichte, das ist auch meine, dieser wunderbare Sieg der Volksgewalt über einen riesigen Machtapparat von wenigen.

Sprachlosigkeit im Post-DDR-Deutschland

Als ich 1995 nach Berlin zog, meiner schon damals zweiten Heimat, und auf der Humboldt-Universität des ehemaligen Ost-Berlins viele „Ossies“ kennenlernte, fing ich an, mich zu wundern. Ich saß in den Vorlesungen und wunderte mich: Nie kam die Sprache über die Wende auf, über die Zeiten davor. Nie sprachen die Professoren darüber, was sich vor nur ganz wenigen Jahren hier ereignet hatte, wie sehr es die Lehre verändert haben musste. Ich las den Berliner Tagesspiegel und wunderte mich: Kaum ein Wort über die Wende. Kaum ein Wort über das, was nur 5 Jahre zuvor in Deutschland geschehen war, das Leben so vieler Menschen gänzlich umgestülpt, das Gesicht Berlins komplett verändert hatte, dieser Stadt, die doch gerade wegen der Wende noch viel interessanter geworden war. Westdeutschland, so schien mir, hatte Ostdeutschland am 3. Oktober 1990 aufgefressen.
Und während mein Geschichtsbewusstsein mit meinem Alter wuchs, wuchs auch meine Verwunderung – und mein Schrecken. Das Nicht-Reden, das hatten wir doch schon einmal gehabt. Dass Nicht-Reden nicht geht, das mussten wir doch gelernt haben, dass weiß doch jedes Kind, dass jede Beziehung durchs Nicht-Reden untergeht, und um diese neuen Beziehungen musste es doch gehen, dachte ich, die Beziehungen zwischen den Menschen aus Ost und West.

Die meisten meiner Kommilitonen kamen aus der DDR – sie waren durch die vielen afrikanischen Gastarbeiter in der DDR mit Afrika in Berührung gekommen. Westdeutsche interessierte die afrikanische Geschichte nur wenig. Ich führte meine erste Deutsch-Deutsche Beziehung, dann die zweite, und ich fing an, Fragen zu stellen: Wie war das damals eigentlich? Und was war damals?
Für die Medien, für die Bücher schien die Geschichte schon geschrieben. Aber Geschichte erklärt sich für mich nicht einfach so. Geschichte sind die vielen kleinen Geschichten, wiederholt, rezipiert im immer neuen Blickwinkel aus dem Auge der Zeit.
Ich fand es spannend, und das viele Reden darüber hat mir geholfen, den neuen Teil Deutschlands und auch den alten zu verstehen, wenigstens ein bisschen.

Heute

Heute fahre ich nach Mecklenburg-Vorpommern, in den wunderschönen Nord-Osten Deutschlands, und schaue mir den Zug der Kraniche an, wie jedes Jahr im Herbst. Ich bin dankbar, dass ich das kann, und ich bin dankbar dafür, dass ich heute in einer Stadt leben kann, in der – wie Reinhard Mey es einmal ausdrückte – ich immer weiter laufen kann, ohne an eine Mauer zu stoßen.
Und ich bin vielen unbekannten Menschen der DDR dankbar für ihren Mut, laut zu sprechen, auf die Straße zu gehen und für die Wende mit ihrem Alltag und manchmal auch mit ihrer Freiheit zu bezahlen. Denn vor allem ihnen haben wir das heutige Deutschland zu verdanken.

Kraniche

Regeln Ich mag keine Regeln:

  • Schreibe bis zum 9. November einen Blogpost darüber, was du am 9. November 1989 gemacht hast, wo Du warst, an was Du Dich erinnerst. Selbstverständlich interessiert mich auch, wie die Zeit davor und danach war.
  • Verlinke Dich hier im Beitrag.
  • Auch alte Beiträge zum Thema sind natürlich erlaubt. Es wäre schön, wenn Du andere in Deinem Beitrag auf diese Blogparade aufmerksam machen würdest, ist aber ausdrücklich keine Bedingung.