Patagonien – endlos traumhafte Kulissen
Manche Geschichten werden nicht geschrieben. Der Grund ist gar nicht, weil sie nicht so spannend klingen (und das tun sie tatsächlich nicht) wie der supercoole Road-Trip durch Israel oder wie das war, als man am Perito Moreno Gletscher stand, sondern schlicht aus Mangel an Zeit.
Denn direkt nach dem wo-fahre-ich-gerade-hin-und-wie-kam-es-dazu-Post folgt der wie-ist-es-hier-Post, gespickt mit ein paar möglichst interessanten Fotos, und dann geht mir bereits beim Revue-passieren-lassen-und-Anekdötchen-erzählen-Post die Puste aus, weil ich vermutlich schon längst weitergezogen bin oder wieder Zuhause im Alltag stecke.
Slow Travel heißt das Zauberwort, aber wenn man nur wenige Tage im Jahr Urlaub hat und das Gefühl, möglichst viel Leben ins Leben zu pressen, fehlt für Slow einfach häufig die Zeit. Ihr kennt das.
Silvester am Ende der Welt: Ushuaia, Patagonien
Den Neujahrsauftakt in der ’südlichsten Stadt der Welt‘ Südamerikas feiern – die tolle Story hatte ich quasi schon geschrieben. Für diesen Anlass hatte ich mir extra in Ushuaia, Feuerland, ein Hostel mit Partyruf herausgesucht, obwohl ich sonst eher ruhige Unterkünfte buche. Großartiger Blick auf den Hafen und über die Magellanstraße, über die ich wenige Tage später mit den Schiff in die Antarktis fahren sollte – alles versprach, grandios zu werden.
Die teuer bezahlte hosteleigene Silvesterparty sollte schon am Nachmittag beginnen und startete dann argentinientypisch mit ca. 4 Stunden Verspätung im kleinen Hinterhof, in dem sich die mittlerweile ausgehungerten Mitbewohner auf das großspurig angekündigte „Riesenbuffet mit Beef und Salatbar“ stürzten, um einen kümmerlichen Burger zu ergattern. Während der Abend sich schleppend dahinzog, weil ich seit einem Monat alleine unterwegs war und der Smalltalk nicht so richtig gelingen wollte, wurde die Musik von den partywilden Argentiniern vom hübschen Led Zeppelin Mix zu den neuesten argentinischen Mitsing-Schlagern gewechselt. Meine Laune sank.
22.10 Uhr: Ich schwöre mir, Silvester nie wieder ohne Freunde zu verbringen.
22.30 Uhr: Ich beschließe, mich zu betrinken.
22.50 Uhr: Das Bier ist alle.
23.05 Uhr: Ich werde wehmütig.
23.15 Uhr: Ich versuche eine Partie Billard.
23.30 Uhr: Ich schöpfe Hoffnung, die nächste halbe Stunde zu überstehen.
23.45 Uhr: Ich wehre den immerhin dritten betrunkenen Argentinier ab, der sich wohl meiner erbarmen will.
23.55 Uhr: Meine Laune steigt ins überraschend Neurotische und ich bewaffne mich mit Emma, meiner Kamera, vor dem großen Panoramafenster.
23.57 Uhr: Zwei Nordamerikaner beziehen neben mir Stellung, jeder will das beste Foto vom Feuerwerk ergattern.
23.58 Uhr: Die ersten Besoffenen fangen an, herunterzuzählen.
23.59 Uhr: Die Argentinier drehen die Mucke doppelt so laut. Es gibt ungefähr 3 verschiedene Herunterzählzeiten.
0 Uhr: Um mich herum fallen sich alle in die Arme. Ich starre mit den Amis durch die Fenster. Nichts passiert. Der eine Ami schaut mich an und zuckt mit den Schultern.
0.01: Ein paar Leute gesellen sich zu uns, jetzt starren wir zu sechst durch die Scheibe.
0.02: Irgendjemand fällt mir um den Hals und wünscht mir Happy New Year.
0.03: Da! Eine große, rote Signalleuchte wird über dem Hafen abgefeuert. „And off we go.“, tönt es von meiner rechten Seite. Ich warte auf den besseren Schuss.
0.08: Die anderen feiern. Ich bin die einzige, die immer noch mit Emma bewaffnet am Fenster steht und hofft, die Argentinier hätten nur ein beschissenes Zeitmanagement.
0.10: Wie kann das sein?! Ich bin am verfluchten ENDE DER WELT, ich bin in die SÜDLICHSTE STADT DER WELT gefahren und es gibt NICHT EIN VERF****** FEUERWERK? Nichtmal ein ganz ganz Kleines?
Um 0.25 Uhr gehe ich ins Bett. Immerhin werde ich morgen früh noch warmes Wasser zum Duschen haben und bin ausgeruht, wenn sich um 7 Uhr morgens ein Typ mit gruselig starrem Blick zu mir ins Bett legen will, weil er der festen Meinung ist, es sei seines.
Es sind sicher nicht diese Momente, weshalb ich reise. Aber es sind die Momente, die Glück und Dankbarkeit an die richtige Stelle setzen: Die gute Momente in den Himmel rücken und den Halt unter den Füßen nicht verlieren lassen.
Anders gesagt:
Perfekt eigentlich.
30 Stunden später stand ich übrigens genau vor erwähnter Panorama-Scheibe und sah das Schiff in den Hafen einlaufen, mit dem ich ein paar Stunden später in die Antarktis fahren würde. Ich habe vor Glück geheult wie ein Kleinkind. Tatsächlich ärgert mich nur noch, dass ich damals von der roten Signalleuchte über Ushuaias Hafen kein Foto gemacht habe. Die ist nämlich bis heute für mich legendär.
In diesem Sinne wünsche ich Euch ein schönes stilles oder grandios partymäßiges oder freundlich familiäres Neujahrfeiern, ganz wie Ihr mögt und wo Ihr es mögt, und wenn es genauso beschissen ist wie meines vor einem Jahr sagt Euch, dass es nur besser werden kann. Denn das war es: 2013 war grandios und vollgeladen mit einigen der besten Geschichten meines Lebens. Fast unschlagbar gut. Schauen wir mal.
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Seit 15 Jahren ist Inka Redakteurin, Reisebloggerin und Autorin in Berlin und Brandenburg. Sie hat mehrere Reiseführer über die Region geschrieben und veröffentlicht ihre Tipps und Geschichten im Spiegel, Tagesspiegel und verschiedenen Magazinen. Außerdem Möchtegernentdeckerin, Liebhaberin der polaren Gebiete unserer Erde und abschweifend in der Welt. Hier Chefin vom Dienst.