Ausblick am sechsten Tag des Circuito Grande, Torres del Paine Nationalpark, Südamerika
6.Tag. Mein Schlafsack stinkt. Beziehungsweise hoffentlich nur das Inlett. Oder vielleicht auch ich. Meinen Zeltnachbarn hat’s offensichtlich mit einer Bronchitis erwischt – mir fehlt irgendwie Mitleid, ich frage mich nur, warum der sein Zelt so dicht neben meines stellen musste.
Es nieselt aufs Zeltdach – schon wieder. Vögel zwitschern hier auch wenn es regnet – na klar, sonst kämen sie ja praktisch nie dazu. Ok, das ist ein bisschen unfair, hier in Patagonien wechselt das Wetter ständig, was eben auch genauso häufig Sonne wie Regen bedeutet.
Die Angst vor dem Absturz
Schnee. Mir gruselt es jetzt noch beim Gedanken an Vorgestern, DEM Pass, ich alleine auf dem rutschigen Eisfeld.
Die Schneewehen auf meinem eiskalten Gesicht.
Das bange Suchen nach der nächsten Markierung und die Angst vorm Absturz.
Die darauf folgende eiskalte Nacht, in der ich dieses Angsterlebnis versuchte zu verarbeiten. Der Circuito Grande, also der große Trek im Torres del Paine in Chile, ist eben nix für Weicheier.
Tag 6 ist schön – alles tut jetzt gleichmäßig weh
Mein Hirn blubbert, während ich wach werde. Heute ist ein kurzer Tag – so sagt man das, wenn man nur eine Strecke von dreieinhalb Stunden ins nächste Camp zu bewältigen hat.
Ich lasse mir Zeit beim Frühstück und versuche so, der Masse zu entgehen, die ab jetzt auf der populären W-Strecke des Torres del Paine unterwegs ist. Bis gestern war ich verwöhnt: Den Circuito Grande, den ganzen Treck, gehen im Torres del Paine die Wenigsten, immerhin etwa 120 Kilometer mit nicht unwesentlichen Höhen- und Tiefen inklusive widriger Wetterbedingungen, und das zeltenderweise. Die meisten lassen sich nur auf das berühmte „W“ ein, eine sehr viel kürzere Strecke im vorderen Teil des Nationalparks, und mieten sich dann entweder ein Zelt oder sogar eine Bettenunterkunft, die es im hinteren Teil des Circuito Grande nicht gibt.
Auf dem Weg resümiere ich ein bisschen vor mich hin. Tag 6 ist schön – alles tut jetzt gleichmäßig weh und man kann anfangen, gezielte Muskelstränge zu trainieren, die bis dato zu kurz gekommen sind. Ich versuche heute mal, meinen Hintern knackiger zu kriegen, also nehme ich die glatten Bergaufstrecken mit den untersten Muskeln der Pobacken. Darling, Dein Knackarsch ist bald soweit.
Bergrunter freue ich mich über die neuen Muskeln, die über dem Knie gewachsen sind, die erstens diese hässlichen Kniefalten wegmachen und zweitens die Knie entlasten. Außerdem merke ich meine Trittsicherheit und hüpfe gefühlt wie ein junges Reh über die Bachläufe… nuja, realistischer wohl eher wie eine mittelalterliche Wildsau. In den Knien zwickt es ordentlich.
Dem erneut einsetzenden Nieselregen trotze ich ohne Regenjacke – nach 5 Tagen draußen frierts einen nicht mehr so schnell. Ich erinnere mich, dass ich nach dem vorletzten längeren Treck in der Berliner U-Bahn mit Unterhemd saß, weil mir so warm war, während die Leute um mich herum dicke Jacken trugen – ein komisches Phänomen, diese gefühlte Kälte. Dabei benötigen wir zum Überleben eigentlich alle das Gleiche.
Die leise Enttäuschung über diesen viel zu gepflegten, sauber umzäunten Platz.
Die Klamotten haben sich mittlerweile alle eingefummelt und ich muss nicht mehr ständig an mir rumzippern. Das Packen morgens geht fix – alles hat jetzt seine feste Reihenfolge. Ich liebe es, wenn sich alles so eingegrooved hat. Erst dies, dann das, nicht mehr groß denken, einfach tun.
Meine Ausrüstung ist großartig, ich kann mir selber auf den Rücken klopfen, die Erfahrung und meine peniblen Packlisten haben sich ausgezahlt. Nix zuviel, bisschen wenig essen allerdings, weil die Info, man könne unterwegs einkaufen, nicht ganz, nunja, korrekt war, es sei denn, man möchte sich mit Keksen und Nudeln ohne alles ernähren. Kein Brot oder Käse zum Frühstück, und ich hab nur für insgesamt sieben Tage Verpflegung dabei.
„Verpflegung“ – was für ein bescheuertes Wort eigentlich… Woher kommt das denn? Muss ich mal googeln. Später mal.
Achja, die Ausrüstung: Mein Mercedes-Zelt, das Hilleberg Soulo, ist einfach der Hit. Steht bombenfest, ich kann morgens gemütlich die Zehen rausstrecken, und wenn ich kein Wasser holen muss, koche ich mir erstmal gleich zum Aufwachen einen Kaffee unter der perfekt konstruierten Apsis.
Wasser. Kann ich hier aus jeden Bachlauf schöpfen, jedenfalls wenn nicht gerade ein Haufen Pferde reingekackt hat, wie am ersten Tag, an dem ich erst nach 5 Stunden an das nächste sichere Trinkwasser kam. Ja, tatsächlich lassen sich hier faule Touris von Pferden Wege entlang schleppen, die schon für einen Zweibeiner nicht ganz locker zu laufen sind. Das geht aber nur bis zum 2. Tag, danach wollen die irgendwie nicht mehr, die faulen Touris oder die Pferde, keine Ahnung.
Ach, der erste Campingplatz. Die leise Enttäuschung über diesen viel zu gepflegten, sauber umzäunten Platz.
An dem sich bis zum Abend ca. 12 Zelte einfinden sollten: die sehr unterhaltsame Gruppe der sechs Amerikaner, mit denen ich an den meisten der folgenden Abende zusammensitzen und darüber lamentieren sollte, dass es hier richtige Campingplätze mit warmen Duschen gab und sowieso alles Weicheier außer uns und so. Bruno, mein Hostelzimmergenosse aus Puerto Natales, der sich spontan und ohne Trekkingerfahrung zum großen Trek entschlossen hatte. Ein Schweizer Pärchen. Eine alleinreisende Israelin (Seltenheitswert! Israelis treten hier sonst nur in Gruppen auf). Und irgendein angeblich berühmter Argentinien-Guru mit seinen zwei männlichen Groupies, der mit irgendwelchen Über-Kopf-Yoga-Bewegungen versucht, bei alleinreisenden Frauen Eindruck zu schinden und mich andauernd fragt, ob ich Hilfe brauche. Worauf ich natürlich unheimlich abfahre. (Bei seiner x-ten Frage am 5. Abend, ob er mir beim Zeltaufbauen oder sonstigen Widrigkeiten helfen soll, jage ich ihn zum Teufel. Er findet das sehr unhöflich. Depp.)
Ich zieh mal meine Jacke aus, bin jetzt warmgelaufen. Mein langärmeliges Funktionshemd hat sich zwar bewährt, sieht aber ziemlich scheiße aus, stinkt super schnell und ist das Gegenteil von schnelltrocknend. War aber auch ne echt bescheuerte Idee, gerade am kältesten Abend einen Sauberkeitsfimmel zu kriegen.
Mein Hemd, was am Ofen so seltsam vor sich hinqualmte, gab aber immerhin Anlass zu einer weiteren wohligen Konversation. Ist das Leben nicht schön, wenn man sich nur noch Gedanken über trockene Klamotten, die eigene und fremde Verdauung, welches das beste Zelt ist (natürlich das eigene!) und die nächsten Höhenmeter machen muss?
A propos Verdauung
Uuh, a propos Verdauung: Leider haben sie hier das Konzept vom anständigen Plumpsklo nicht übernommen, sondern versuchen, mitten in der Wildness-to-be ein Klo der ach-so-zivilisierten-Welt aufzubauen.
Was definitiv keine gute Idee ist. Aber immerhin fühlt es sich so ein bisschen mehr an wie im „wilden Patagonien“. Ich fühle mich wild, weil ich dieses Klo tatsächlich benutzt habe, es war nämlich geschützt vor dem im wahrsten Sinne des Wortes arschkalten Wind.
Wildnis und skurrile Schönheiten
Von wegen patagonische Wildnis: Das Refugio am Lago Dickson am 2. Tag war eindeutig beim allerersten Anblick ein Highlight.
A propos Highlight: Ich bin gespannt, ob meine Fotos vom Grey-Gletscher was geworden sind. Der Anblick am Morgen war atemberaubend, und erst da wurde mir bewusst, dass ich gerade einen Teil der drittgrößten Eismasse der Welt sehe – nach dem arktischen und antarktischen Eis. Pacha Mama dachte wohl, sie sei mir etwas schuldig nach der furchtbaren Pass-Überquerung.
Ich bin jetzt fast alleine, meine Rechnung ist aufgegangen: Viele sind schon vor mir weg, die Masse kommt mir noch nicht entgegen. Leider wird es den Touristen überlassen, ob sie das „W“ von Osten nach Westen oder umgekehrt gehen, so dass es ständigen Gegenverkehr gibt.
Ab hier beginnt der Teil des Parks, in dem vor etwa einem Jahr ein großes Feuer gewütet und die meisten Bäume zerstört hat.
Die Zeit vergeht, ich muss ständig Fotos machen, denn obwohl ich weiß, dass es makaber ist, hat mich diese skurrile Schönheit der verbrannten Bäume vor dem jetzt blauen Himmel und dem Gletscher unter mir gepackt.
Der Wind muss stark gewesen sein, denn die meisten Bäume stehen noch vollständig da, sie sind eben nur schwarz oder die Rinde ist komplett abgepellt. Der Boden beginnt sich jetzt wieder zu regenerieren, das Grün schaut überall heraus.
Ab und an muss ich nun warten, wenn mir mal wieder eine Gruppe trittunsicherer dickhäutiger Tagestouristen entgegenkommt, Rucksack vorne und hinten, keuchend, und mich fragt, wie lange es denn noch dauere.
„What? Oh, the hike, well, about six more days.“ Ungläubiges Gesicht von meinem Gegenüber. Doof lächeln, weitergehen.
Ich habe keine Lust, mich zu unterhalten. Ich möchte Natur erleben, und das möglichst alleine. Nein, ich bin nicht enttäuscht, das nicht. Das draußen Laufen ohne Verkehrslärm, tagelang, mit zwitschernden Vögeln und meinem Zelt am Rucksack reicht mir ja meist schon, um zufrieden zu sein.
Wunderschöne Ausblicke, die von mir geliebten Südbuchen, neue Herausforderungen, und das alles am anderen Ende der Welt machen mich natürlich glücklich.
Aber ich habe die Torres bisher nicht ein einziges Mal gesehen, immer versperrten Wolken die Sicht. Tatsächlich habe ich irgendwann kaum mehr fotografiert. Mit den grandiosen Ausblicken, die ich in diversen Magazinen gesehen habe, hatte diese Wanderung bisher nicht sehr viel gemein. Und es ist hier auch nicht das wilde Patagonien, mit dem der Nationalpark für sich Werbung macht. Es ist auch nicht das „mit der Natur sein“, dass ich sogar beim Schwarzcampen in Brandenburgs Wäldern spüre. Hier ist alles reglementiert, und wenn man sich doof anstellt oder Pech hat oder nur das „W“ geht, muss man den Weg mit 100 anderen Leuten teilen und den Campingplatz sowieso.
Außerdem stoßen hier die zwei grundsätzlich zu unterscheidenden Trekkerwesen aufeinander: Der Kurztrekker würde niemals im Zelt übernachten, ist erpicht auf die „Highlights“ und sieht den Weg dahin als nerviges in Kauf zu nehmendes Mühsal an, was er durch lautes Tratschen mit den Mitleidenden auszugleichen sucht, während der Langstreckentrekker den Weg als das Ziel sieht, das Laufen eher still genießt und sich generell an der Natur erfreut. Wenn diese beiden Charaktere aufeinanderstoßen, verträgt sich das meist nicht so gut. Klinge ich parteiisch? Ein bisschen? Aber nicht doch!
Wildes Patagonien, ich warte noch auf Dich. Und auf dem berühmten Wind. Und auf das nächste Guanako sowieso.
Und jetzt bin ich da, im nächsten Camp. Morgen geht es weiter. Und ich weiß gar nicht, worüber ich so nachgedacht habe beim Laufen. Vermutlich mal wieder – über gar nichts.
TTT – TierischeTouriTipps
Die Tierischen Touri Tipps verwende ich heute spärlich, denn viel zu viel ändert sich in kurzer Zeit. Das solltet Ihr aber vielleicht wissen, wenn Ihr vorhabt, den berühmten Torres del Paine-Trek zu gehen:
- Optimal fand ich den Startpunkt von Puerto Natales. Das Städtchen ist einfach total nett und man trifft genügend Backpacker mit dem gleichen Ziel bzw. diejenigen, die den Trek bereits hinter sich haben.
- In Puerto Natales gibt es einen Pub, in dem täglich Leute vom Nationalpark eine nette Gesprächsrunde halten mit Aufklärung und Vorbereitung für den Park. Dringend empfehlenswert für aktuelle Infos zu den Campingplätzen, außerdem kann man Kontakte knüpfen und sich eventuell besser entscheiden, ob der W-Trek oder der Cirquito geeignet ist. Außerdem beäugt man schon mal seine Mitstreiter, ich fand das sehr nett, schon einige Leute vom Trek zu kennen, man trifft sich ja ohnehin wieder.
- Karten sind wirklich keine nötig, man bekommt eine völlig ausreichende Karte beim Parkeingang, bei dem man ohnehin noch eine Veranstaltung besuchen MUSS, um überhaupt reinzudürfen.
- Kein Klopapier verbrennen! Sonst: Siehe oben. Der Typ, der das veranstaltet hat, dürfte heute noch den Schaden abbezahlen – zu Recht.
- Essen mitnehmen! Definitiv. Beim Circuito für wenigstens sechs Tage, und auch das ist eher knapp, denn die Auswahl an den wenigen Shops ist nicht besonders gut und teuer.
- Eine super Zusammenfassung über den Trek hat mein Kollege Steve von Back-Packer.org geschrieben. Aber wie schon erwähnt: Vorsicht, es kann sich vieles geändert haben. Als ich da war, waren z.B. zwei Campingplätze geschlossen. Das Campamento Italiano wiederum war zu meiner Zeit so eklig, weil dreckig, verschlammt und voller biersaufender Touris, dass ich nach einem 10 Stunden Tag nochmal freiwillig drei Stunden zum nächsten Camp weitergelaufen bin.
- Auf die Vorbereitungsleute hören und den John Gardner Pass nicht alleine gehen, und auch nicht bei Sturm! Mein Problem war, dass der Sturm so spät aufkam und so plötzlich, dass ich nicht mehr umkehren konnte. Spikes wären eine absolute Rettung gewesen, war mir aber zu blöde, die die restlichen sieben Tage umsonst mit mir rumzuschleppen. Ohne Erfahrung über diesen Pass macht keinen Spaß, soviel kann ich sagen. Ich habe mehrere Stunden gebraucht und hatte tatsächlich Angst, abzustürzen, was nicht lebensgefährlich gewesen wäre, aber ich wäre ein großes Feld mit lauter fiesen Steinen und Eisstücken heruntergepoltert. Das hätte ordentlich aua und im blödesten Fall ein gebrochenes Bein bedeutet.
Schaffe ich sowas denn auch?
Ja, ich bin den ganzen Cirquito gegangen, als relativ kleine Frau, alleine, mit Zelt und allem, was da nötig ist. Für Tipps gibt es hier meine Packliste. Mein nettes Hostel in Puerto Natales hat einige Sachen für mich gelagert, so musste ich nicht alles mitschleppen und war bei ca. 15 Kilo am Anfang. Ich war zu jener Zeit einigermaßen trainiert, bin aber noch nie eine totale Sportskanone gewesen. Meine Einstellung ist: Ein Trek wird mit dem Kopf bezwungen, nicht mit dem Körper.
Zugegebenermaßen sieht das mein Knie etwas anders, was heute noch etwas herumzickt und anscheinend das viele auf- und ab nicht ganz vertragen hat. Ihr tut also gut daran, vorher ein paar Muskeln zu entwickeln, um die Gelenke zu schonen.
Mit anderen Worten: Wenn Du gehen kannst, kannst du auch den Cirquito gehen. Ich habe 8 Tage gebraucht und hatte sicherheitshalber noch zwei Puffertage, falls ich doch mal irgendwo bleiben will oder muss. Das ist mehr als genügend Zeit.
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