Im Jahr 2020 wurde das 30jährige Jubiläum der Wiedervereinigung begangen. Dass Berlin ebenfalls in diesem Jahr genau 100 Jahre alt geworden ist, wissen allerdings die Wenigsten.
Wie, 100 Jahre, Berlin ist doch schon älter? Natürlich existiert Berlin bereits seit Jahrhunderten. Doch Groß-Berlin, wie wir es heute kennen, existiert erst seit der Zusammenlegung mehrerer Orte und Gemeinden im Jahr 1920.
Heute entführe ich Euch ein bisschen in die Berliner Geschichte.
Ein kurzer Blick zurück: Berlin in der Kaiserzeit
Berlin war vor 150 Jahren natürlich viel kleiner und bestand aus den Städten Berlin und Cölln. Ja, richtig gehört, genau deshalb gibt es noch heute den Bezirk Neukölln. Rundherum: vereinzelte Dörfer und Ortschaften.
1861 wurde das Stadtgebiet Berlins durch die Eingemeindung von Wedding und Moabit sowie Tempelhofer und Schöneberger Vorstadt erweitert. Cölln bestand allerdings weiterhin.
RixdorfEines der Dörfer bei Berlin ist Rixdorf, in dem mein Großvater als kleiner Junge seinen alten Ball aus Lederresten über das Kopfsteinpflaster die schmale Gasse in Rixdorf hinunterkickt. Kutschen klappern über den Richardplatz, der Schmied hämmert nebenan die Wochenaufträge ab, bevor er wieder über das Land in die Dörfer ziehen wird. Im Jahr 1737 lässt Friedrich-Wilhelm I. den Ort Rixdorf um „Böhmisch-Rixdorf“ für die verfolgten protestantischen Böhmen erweitern. Der Dorfcharakter ist noch heute erhalten, viele kleine, zweistöckige Häuser finden sich hier, sogar die alte Schmiede ist ab und an in Betrieb, der ehemalige Kutschbetrieb macht heute immer noch in Fahrdienstleistungen und hat einige alte Fotos ausgestellt und in einer kleinen Nebenstraße stehen zwei alte, ausgebaute Scheunen. Eines der ältesten Gebäude ist der Saalbau Neukölln, besser bekannt als „Heimathafen“, erbaut 1876. Und da Rixdorf ein Dorf in der Stadt ist, findet hier normalerweise – jenseits Corona – ein wunderbarer Weihnachtsmarkt statt, es soll einer der schönsten in Berlin sein. Eine Tour durch Neukölln-Rixdorf findet Ihr in meinem Buch „52 Eskapaden in und um Berlin“, das Ihr am Ende dieses Beitrages gewinnen könnt. In meinem Buch zeige ich Dir 52 Eskapaden in und um Berlin, Mikroabenteuer für jeden: |
Berlin wuchs in dieser Zeit rasant, insbesondere durch Industrialisierung und viele Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung. 1871, im Jahr der Reichsgründung, zählte Berlin mit den Gemeinden knapp über 820.000 Einwohner:innen, im Jahr 1875 überschritt es die Millionengrenze und um 1900 waren es bereits 1,9 Millionen – ein Zuwachs, der die Infrastrukturen ziemlich überforderte.
Es war die am schnellsten wachsende Metropole Europas und eines der größten Industriezentren: Borsig, Adfa, Siemens, AEG hatten sich hier unter anderem angesiedelt, und so wurde Berlin nicht nur eine Millionenstadt, sondern auch die Stadt der Arbeiterinnen und Arbeiter – und die Stadt der Gewerkschaften.
Das rapide Bevölkerungswachstum führte in dieser Zeit zu großen Problemen. Viele der kleinen Bürgerhäuser wurden abgerissen und durch fünfstöckige Bauten ersetzt. Wenn Ihr also in Berlin kleine, 1-2 stöckige Häuser entdeckt: Diese sind mit ziemlicher Sicherheit weit über 100 Jahre alt.
Das Verkehrswesen musste erneuert und 1902 bereits der Verkehr Unter den Linden geregelt werden, so viele Autos fuhren in der Stadt. FunFact: 1920 waren in Berlin angeblich 50% der Automobile E-Autos. In die kleinen „Slaby-Beringer“ passte gerade so eine Person hinein, sie fuhren mit 24-Volt-Batterie und erstaunliche 60 Kilometer weit.
Schon um die Jahrhundertwende fuhr bereits die Berliner Ringbahn. Neben Pferdeomnibussen wurden die ersten benzingetriebenen Busse eingesetzt, bereits 1881 startete die erste elektrische Straßenbahn der Welt in Lichterfelde, der Bau des U-Bahn-Netzes war im vollen Gang und die Stadtbahn Europas erste Hochbahn.
Tatsächlich entstand bereits im Jahr 1838 bereits die erste preußische Eisenbahnstrecke, die Potsdam über Zehlendorf mit Berlin verband. Die so genannte Stammbahn liegt heute still und man kann ab und an auf Ihr herumtanzen, wenn die Bahn sie mal wieder freigeschnitten hat.
Das passiert übrigens regelmäßig, weil die alte Stammbahn wieder aktiviert werden soll. Das wird allerdings noch viele Jahre dauern.
In dieser Zeit hatte Berlin natürlich außerordentlichen Bedarf an Tonziegeln für den Bau von Häusern, repräsentativen Gebäuden und Fabriken. Da war es günstig, dass im Brandenburger Land viele Tonvorkommen gefunden wurden und viele Ziegeleien entstanden. Noch heute kann man eine dieser Ziegeleien besichtigen: Der Ziegeleipark Mildenberg nördlich von Berlin nahe Zehdenick ist heute ein fantastisches Museum und bietet nicht nur viele Einblicke in die Ziegelbrennerei, sondern auch Ausflüge zu den ehemaligen Tongruben – in kleiner Bahn natürlich. Auch für Kinder sehr geeignet.
Stadt der Gegensätze: Übergang zur Weimarer Republik
In luxuriösen Geschäftsstraßen wie Unter den Linden und der Kurfürstendamm mit dem KaDeWe feierte man das Leben und die Mode, wohlhabende Kaufmannsfamilien siedelten sich in den Villenvierteln in Lichterfelde und dem Grunewald an.
Auf der anderen Seite: Der „Wilhelminische Ring“ mit billigen Mietskasernen und vollgestopften, zugigen Arbeiterwohnungen zwischen dreckigen und lauten Industriebetrieben.
„Kaum irgendwo in der Welt wohnt man so dicht; es ist, als ob nicht für Menschen Unterkunft geschaffen werden sollte, sondern für Maulwürfe“, ist in der Zeitschrift „Die Zukunft“ zu lesen.
Um 1895 leben in Berlin über 40% der Menschen in Wohnungen mit nur einem beheizbaren Zimmer und Gemeinschaftstoiletten für bis zu 40 Personen, es gibt viele Obdachlose in der Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts war Berlin größte Mietskasernenstadt der Welt.
Gründung Groß-Berlins 1920
Insbesondere in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg hungerten viele Menschen in der Arbeiterstadt.
Wilhelm II. hatte abgedankt, die Novemberrevolution etablierte die Republik. Es war die Zeit der Gewerkschaften, das neue Betriebsrätegesetz stärkte die Arbeiterschaft, Streiks und Straßenkämpfe waren an der Tagesordnung, denn die Arbeitslosigkeit war hoch und rechte und linke Kräfte kämpften um die politische Vorherrschaft.
Gleichzeitig tanzten sich Berliner:innen durch die „Goldenen Zwanziger“, Josephine Baker besuchte „die horizontale Schule der Welt“, wie Berlin augenzwinkernd genannt wurde, und die Stadt war voll mit Kreativen, Dichtenden, Malenden und anderweitig künstlerischen Menschen. Schauspieler:innen wie Marlene Dietrich machten Berlin in der ganzen Welt berühmt.
Es ist die Zeit, in der die Suffragetten für das Wahlrecht kämpften (das Frauenwahlrecht wurde 1918 eingeführt) und Frauen nur wenige Verdienstmöglichkeiten zur Verfügung standen. Dienstmädchen bildeten um die Wende zum 20. Jahrhundert die größte weibliche Berufsgruppe, ca. 70% der Familien aus dem Bürgertum leisteten sich ein Dienstmädchen. Die zweitgrößte Gruppe der arbeitenden Frauen war wohl im horizontalen Gewerbe tätig, man schätzt, dass es in Berlin um 1900 um die 20.000 Prostituierte gab.
Um Ressourcen und Verwaltung sinnvoll zu verteilen, hatte sich bereits 1910 die Initiative für die Gründung Groß-Berlins gegründet. Am 1. Oktober 1920 war es dann soweit: Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf, sowie viele Landgemeinden und Gutsbezirke wurden eingemeindet. Die Anzahl der Einwohner:innen Berlins stieg dabei schlagartig auf 3,8 Millionen.
Berlin wurde damit schlagartig zu einer der größten Städte der Welt.