Heutige Hörempfehlung: Comedian Harmonists, Eine kleine Frühlingsweise

In Zeiten, in denen bevorzugt homosexuelle Pärchen im Park nach Ausweisen befragt und ein Abstand von 1,50 Metern zum Nebenmenschen geboten ist, in denen Menschen nicht im Park grillen oder in Gruppen herumlaufen dürfen und es den Kindern verboten ist, zu Besuch zu kommen (sie wohnen in Berlin, wir in Brandenburg, und über Berliner Stadtgrenzen sind keine Familienbesuche in anderen Bundesländern erlaubt), wird dringend benötigt: Vertrauen.
Vertrauen in eine Bundesregierung, die, wie es Kanzlerin Merkel heute auf der Pressekonferenz sagte, die Notfallgesetze alsbald möglich, spätestens aber nach dieser Coronakrise zurücknehmen wird.

Deutschland

Vertrauen, das ich habe, weil unser Land von einer großen Koalition gelenkt wird. Wäre das anders, würde die AFD zum Beispiel derzeit in einer Regierungskoalition sitzen – und nein, das ist durchaus nicht komplett unrealistisch für die Zukunft -, würde ich wohl derzeit Panik empfinden.
Die Erfahrung, wie fragil nicht nur unsere Gesundheit ist, unser Alltag, unsere Ökonomie ist, welche durch einen Virus derart durchgeschüttelt werden kann, und wie schnell Grundrechte weichen und durch demokratisch gewählte Kräfte ausgehebelt werden können, macht mir derzeit ziemlich zu schaffen.

Auf der anderen Seite finde ich es faszinierend, mit welchem Grundvertrauen ich der Mutter der Nation zuhöre und, was Deutschland betrifft, auch immer noch in die Zukunft schaue – trotzdem ich mit einzelnen Regeln der Kontaktsperre nicht einverstanden bin. Und das, obwohl ich neulich auf die Mülleimer-Theorie stieß, die im Grunde genommen besagt, dass Entscheidungsprozesse von den meisten Organisationen chaotisch und vom Zufall abhängen (sehr vereinfacht), weil alle – zufälligen – TeilnehmerInnen unterschiedliche Probleme und Lösungen sehen und verschiedene Schwerpunkte setzen.
Dennoch, ich habe das Gefühl: Die interdisziplinären Beratungen im Corona-Kabinett tun derzeit gute, überlegte Arbeit.
Oder vielleicht bin ich auch nur ein Schaf.

Die schnellen unbürokratischen Hilfen von mehreren tausend Euro für Selbständige und Kleinunternehmen, die Nicht-Kündigungsmöglichkeit aufgrund von Mietzahlungsunfähigkeit, die Überlegungen zu weiteren Unterstützungen für Kurzarbeit, Bürgschaften der EIB und Krediten der ESM fördern zudem sicher nicht nur mein Vertrauen: Hier geht es um die Zukunft, und die Zukunft machen Menschen und Individuen. Ich habe darüber in den letzten Tagen viele sehr begeisterte Kommentare in den sozialen Medien gelesen.

Weniger ist das wohl der Fall bei den Hartz4-Familien und Aufstockern im Angestelltenverhältnis, die alle nichts bekommen. Mir ist das absolut schleierhaft. Während der größte Rettungsfonds aller Zeiten aufgespannt wird und mal eben 5000 Euro über den Tisch gehen für Selbständige, von denen ich weiß, dass sie solche Summen teils nur in mehreren Monaten verdienen oder Rücklagen haben, wird ausgerechnet denjenigen, die absolut gar nichts haben und nun höhere Lebenshaltungskosten haben durch verteuerte Lebensmittel sowie zusätzlichen Aufwendungen für die Kinder nichts gegeben, nicht einmal 100 Euro.
Das verstehe ich einfach nicht.

Auf unserem Mittagsspaziergang haben wir eine Bibel gefunden, sorgfältig in Plastikfolie eingeschlagen und für jemanden hinterlassen, der es benötigt. Was ist eigentlich stärker: Glaube oder Vertrauen?

Und a propos Vertrauen in die Technik und den Datenschutz, hier noch ein kleiner Servicetweet:

Europa

Merkel sagte am Anfang ihrer Pressekonferenz, diese Zeit sei die bisher größte Herausforderung für die EU seit Bestehen. Sie betont, dass es auch Deutschland nur gut gehe mit einer starken EU und plädiert damit für gegenseitige Hilfe.
Mir stellt sich die Frage, warum ihre Partei dann bisher Eurobonds abzulehnen scheint. Und ja, es ist Zeit für ein gegenseitiges, EU-weites Grundvertrauen in die Gemeinschaft und gegenseitige Hilfe. Die Unterstützung in der Notfallmedizin mit den ausgeflogenen Covid-19-Erkrankten aus Frankreich und Italien war ein Anfang.
Dennoch bin ich ehrlich gesagt skeptisch. Wie soll das funktionieren mit den ganzen Nationalisten, die überall in Trump-Manier „wir zuerst“ herumkrakeelen und nicht einmal ein paar tausend Flüchtlinge retten können? Wie soll das gehen mit einem Orban in Ungarn?

In den Niederlanden gibt es übrigens die zweite Tulpenkrise in der Geschichte des Tulpenhandels und man fragt sich, ob sie noch ein Mal auf ihre Tulpen setzen werden. Derzeit werden Millionen Tulpen vernichtet, weil der Handel aufgrund von Grenzkontrollen eingebrochen ist, und die Niederlande trenden mit #buyflowersnottoiletpaper.
Aber bitte nicht vergessen, besser nachhaltige Blumen zu kaufen, die Klimakrise ist nämlich auch noch da. Bleibt die Frage, ob die Niederlande noch einmal auf ihre Tulpen setzen wird.

Die Welt

Und ist nicht jede Regierung implizit sich selbst die nächste? Irgendwelche Schutzmasken sollen von den USA abgefangen worden sein, die eigentlich für Deutschland bestimmt waren. RTL kreischte 2,5 Millionen Stück, im Tagesspiegel las ich von 400.000, nun ist die Anzahl auf 200.000 geschrumpft. Einmal hieß es „Piraterie“ (Berlins Innensenator Geisel), dann hieß es wieder, die Lieferung sei lediglich verzögert, weil sich die USA einfach die erste Charge geschnappt hätten (irgendwo auf Twitter). Herstellungsland war entweder Bangkok oder China.
Die Lage ist also unklar, sicher ist, es gab einen Maskenskandal und einen Bruch des – nunja, eher ohnehin nicht vorhandenen – Vertrauensverhältnisses zwischen den USA und Deutschland.
Mir würde es selbst bei einer Konfiszierung durch die USA schwerfallen, dieses Verhalten zu verurteilen. In New York ist die Lage einfach so dermaßen schlimm… Doch natürlich lehrt uns der Vorfall: In Coronazeiten ist sich jede Regierung selbst die Nächste.

Heutige Zahlen und Daten zu Covid-19:

  • 95.391 Infizierte zählt das Robert-Koch-Institut in Deutschland, das sind nur noch 3677 mehr als gestern, allerdings war Wochenende und da werden manche Daten erst später übermittelt.
  • Weltweit sind es laut Johns Hopkins 1.331.032.
  • Die Verdopplungsrate, die derzeit so wichtig erscheint, um über Lockerungen der Beschränkungen nachzudenken, liegt in Deutschland derzeit bei ca. 11. Ursprünglich hatte man eine 10 anvisiert, diese Zahl hat sich nun nach hinten geschoben, unter anderem, da man festgestellt hat, dass mehr Patienten intensivmedizinisch betreut werden müssen und die Beatmungszeit länger dauert als angenommen. Das überlastet das Gesundheitssystem natürlich entsprechend stärker, wenn ein Bett drei Wochen statt zwei belegt ist.
    Die Zahl ist dennoch sehr positiv zu sehen, wir waren vor 10 Tagen bei 4,8, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.

 

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