Über die Monate habe ich einige kurze Gedanken zur Antarktis-Reise gesammelt, schnell irgendwohin notiert, ohne Anspruch, ohne Zusammenhang, ohne Erkenntnis, ohne Auftrag.
Aus irgendeinem Grund fand ich es wichtig, sie zu sammeln. Mich später zu erinnern, wie es mir vor der Reise ging. Vielleicht zur Überprüfung der Erkenntnisse, die ich in den folgenden Wochen machen werde, vielleicht einfach nur, um Momente festzuhalten. Ich bin eine Momentesammlerin.

In meinen Reisen, die länger als zwei Tage dauern, suche ich etwas. Diese Erkenntnis überrascht, hatte ich doch immer angenommen, dass ich gar nicht auf der Suche nach etwas bin. Ich suche die Melancholie in mir, die mir so oft im Alltag verloren geht. Vielleicht reise ich auch deshalb so gerne alleine. Zur Melancholie gehört alleine sein.
Melancholie gibt mir Kraft und Kreativität. Glücksgefühle, Tiefe. Vereinigung von Dankbarkeit, Erkenntnis, Stille und gleichzeitig die Unruhe, so viel erzählen zu wollen. T-64

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Die Entdeckung der Langsamkeit, ich wippe in Zeitlupe vor mich hin, in Gedanken im Eis und den Moment genießend und ich wünschte, der Rythmus wäre auch morgen noch in mir. Ich weiß nicht, was mir mehr Schwierigkeiten macht, die Oberflächlichkeit der Welt oder deren Hektik. Die Kombination jedenfalls ist fatal für den Moment, der entweder aus lauter Banalität oder Schnelligkeit schon weg ist, bevor ich ihn wahrgenommen habe. T-58

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Ich bin aufgeregt. Aufgeregt wie ein Kind, schön aufgeregt und auch besorgt: Was wird der Mann von mir denken, wenn er mich so kennenlernt?
Ich mag es nicht, wenn mich Menschen heulen sehen, weder aus Trauer noch aus Empathie, denn Tränen sind etwas unheimlich Intimes. Ich gebe nur sehr zögerlich wirklich Intimes von mir preis. Den Mann liebe ich auch deshalb, weil er damit so gut umgehen kann. Wie wird er mich sehen, wenn ich stehe, da, an der Reling vor den großen Eisbergen, ein bisschen frierend und heulend vor lauter Glücksgefühl? T-45

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Oh Gott, ich schaffe das alles nicht. Ich werde nicht schlau genug sein, werde nicht all die Bücher gelesen haben, die ich mir gekauft habe, werde nicht alle Tierarten auswendig wissen, und muss noch dringend die Englischen Bezeichnungen für alle Pinguinarten lernen. Wird an Bord auch Deutsch gesprochen? Darauf bin ich noch gar nicht gekommen, immerhin ist Hapag Lloyd Kreuzfahrten ein Deutsches Unternehmen. Soll ich meine Bücher mitnehmen? Ich muss noch über Shackleton lesen… Oh Gott, ich schaffe das alles nicht. Dieser scheiß Perfektionismus. T-42

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„Planen Sie die Errichtung von Feldlagern?“
Öh… nein? Als Bloggerin mit journalistischem Auftrag muss ich für eine Reise in die Antarktis einen Antrag beim Umweltbundesamt ausfüllen für eine Genehmigung „zur Durchführung einer individualtouristischen und/oder sonstigen Tätigkeit in antarktischen Gebieten südlich des 60. Breitengrades Süd“.
Boah. T-40

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Was ja irgendwie total doof wäre: Irgendwo zwischen Südamerika und der Antarktis Zahnprobleme zu bekommen. So passierte es mal einem Freund von mir, der dann in Südgeorgien (das Südgeorgien, wo Shackleton Hilfe für seine gestrandete Crew holen konnte und das noch heute wenig bewohnt ist) von einem Menschen in den Zahn gebohrt bekam, welcher ein paar „Workshops“ zur Zahntechnik gemacht hatte. Gut also, dass mir mein Zahn jetzt gebrochen ist und nicht 4 Wochen später.
Es folgen sieben Tage Kieferschmerzen, die einer Kehlkopfentzündung Platz machen. Am neunten Tag knicke ich mit dem Knöchel um. Paranoia! Was, wenn jetzt noch irgendetwas total Blödes dazwischenkommt? Eine Grippe, weitere morbide Zähne, ein Unfall, die Wohnung steht unter Wasser, weil sich die Heizungsrohre verselbständigt haben, oder ich vergesse irgendwas zu bezahlen (passiert, ich bin sehr vergesslich) und werde festgenommenen? T-35

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OHMEINGOTT! NUR NOCH EINEN MONAT! T-30

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Das Blog ist nicht fertig aber ich gucke mir schonmal meine Packliste an. Typisch, irgendwie. Ich liebe meine Packlisten. Und fiebere im doppelten Sinn vor mich hin und habe deshalb keinen Nerv zu lesen oder zu schreiben. Aber mir Fotos aus dem Eis angucken, eine Mindmap über alle Pinguinarten malen oder Sachen packen, das kann ich. Wann geht es endlich los? T-25

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Ich bestelle hoffentlich letzte Sachen über das Internet. Ich bin so panisch, fototechnisch nicht gut genug ausgerüstet zu sein, dass ich es vermutlich völlig übertreibe. Sollte ich vielleicht doch noch einen Akku…? Ich verzeihe mir. Schließlich habe ich beim letzten Mal Antarktis eine absolut traumatische Erfahrung gemacht: FAHRE.NIE.OHNE.ERSATZKAMERA.IN.DIE.ANTARKTIS! T-24

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Ich lese über eine Antarktisreise eines deutschen Pärchens in einem Privatblog. Die beiden beschweren sich über das Wetter. Mich gruselt, dass ich eventuell mit solchen Leuten in die Antarktis reisen muss. T-22

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Das Blog ist online! Ich stoße mit einer Tasse Glühwein an, den trinke ich dieses Jahr vor, schließlich entgeht mir die komplette Vorweihnachtszeit (und einzig schade daran finde ich den verpassten Glühwein). So richtig berauschend sind die Zugriffe nicht, es scheint, dass das Thema außer mir nur ein paar Eisnerds interessiert. Wie kann das denn sein? Das ist die Antarktis, Mann! Das f****** Ende der Welt! Das ist… einfach völlig genial oder was! Nee? Na egal, Hauptsache, mir gefällts. T-21

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Ich bestelle noch einmal letzte Sachen für die Reise und werfe meinen Minimalismus für dieses Jahr irgendwie über Bord. Unter den Bestellungen: Ein Einbeinstativ, weil das auf einem schwankenden Schiff mehr Sinn macht und ggf. auch leichter im Zodiac zu transportieren ist. In den Amazon-Bewertungen beschwert sich ein Kunde, dass man das Ding immer festhalten muss, weil es gar nicht von alleine stehe. *facepalm* T-19

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Vor den Falklandinseln gerät das Kreuzfahrtschiff einer Antarktis-Expeditionsfahrt derart in Seenot, dass die Gäste in Rettungsinseln und -boote ins Meer gesetzt werden. Das. ist. doch. nicht. ernsthaft. wahr. Doch! Auf dem Schiff der französischen Reederei war ein Feuer ausgebrochen. Das auf den Falklandinseln stationierte Militär startete eine höchst prekäre und mehrere Stunden dauernde Rettungsaktion. Also gut: Statistisch gesehen werden wir nun die absolut sicherste Antarktis-Expeditionsweise überhaupt haben. Dennoch… T-13

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Ich bin erstaunlich ruhig. Davon abgesehen, dass ich noch etwas Angst habe, dass die Billigairline uns irgendwie dazwischenpfutscht, habe ich das Blog irgendwie gewuppt, die meisten Artikel sogar geschafft und in fast alle Bücher wenigstens einmal hineingeschaut. Was jetzt nicht mehr klappt, ist mir irgendwie auch egal. Irgendwie ist ja alles egal: Ich fahre in die Antarktis verdammte Hacke! T-11

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NOCH SO VIEL ZU TUN! T-5

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Wieso sind meine Notizen so oberflächlich geworden? Wo ist die Tiefe? Hinter der Topophilie steckt doch hoffentlich mehr als nur die langweilige Beschreibung des Äußeren? Und wie so häufig die Antwort: Die Zeit. Sie ist mir entglitten. Ich habe nicht durchgeatmet, mir keinen Moment genommen. Aus der Oberfläche kommt bei mir nur süßliches Gelaber, für Tiefe braucht es den Moment der Stille. Werde ich ihn finden, in der Antarktis? T-1/2

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Wer mir folgen möchte: Ich werde tatsächlich Internet haben und hier auf diesem Blog posten, wenn ich dazu komme. Tagesaktuell wird es auf meiner Facebook-Seite und Instagram Postings geben.
Außerdem erscheint eine kleine Kolumne auf dem schönen Passagen Blog von Hapag Lloyd Kreuzfahrten. Ohmensch, Kinners, gleich geht’s los…