Am Wochenende durfte ich einer feinen kleinen Gruppe mein Berlin zeigen. Sowas nehme ich gerne zum Anlass, mir selbst mal wieder in den Hintern zu treten und wichtige und interessante Orte zu fotografieren, die ich sonst auslasse, weil man eben in der eigenen Stadt die typischen Sachen gerne mal den Touristen überlässt.
Am Holocaust Mahnmal, oder korrekter Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist mir wieder aufgefallen, wie großartig gelungen ich dieses Werk finde.

Holocaust Mahnmal voller Betonstelen

Ein Feld voller Betonstelen

Das knapp 20.000 m² große Feld mit Betonstelen direkt in Berlin-Mitte hat mich vom ersten Augenblick gehabt. Ich habe es damals recht zügig nach der Einweihung 2005 besucht, als die überschäumende Kritik daran noch längst nicht abgeebbt war, und ich kann nur sagen: Ich habe die Kritik nie verstanden.

Holocaust-Denkmal

Das, was ich beim Betreten des Stelenfeldes empfinde, habe ich versucht, anhand einer Langzeitbelichtung aus der Hand darzustellen.
Ein Stück Himmel, unerreichbar durch scheinbar näher rückende, riesige und trostlos graue Betonwände. Schon fast vom Massengrab verschluckt, verschwimmen Konturen, nichts ist greifbar, kein Ausgang; die Menschen um mich herum verschwinden im Dickicht der Tristesse. Kein Weg ist mehr eindeutig in diesem riesigen Ort, der nicht zu enden scheint.

Holocaust-Denkmal, Mahnmal in Berlin

Was man nicht sieht auf den Bildern: Immer spielen hier Kinder verstecken, immer werden Namen gerufen. Kaum habe ich das dem Mann erzählt, hören wir sie auch schon.

Das Rufen, der Versuch der akustischen Orientierung, der doch nichts nützt, weil sich die Rufe an den Stelen brechen und die Verortung unmöglich scheint, finde ich absolut faszinierend in diesem transportierten Sinnbild. Der Mann fragt zweifelnd, ob das nicht Zufall sei und vom Architekten unbeabsichtigt. Ich glaube aber schon, dass diese Idee im Konzept enthalten war beziehungsweise kann mir das einfach nicht vorstellen, dass ein Architekt sich nicht überlegt, wie sein Werk im Alltag von verschiedenen Menschen angeschaut und „benutzt“ wird.

Holocaust-Mahnmal-Berlin

Wir hören außerdem: Kinderlachen.
Das mag befremdlich wirken. Ich habe mich mal vor Jahren mit einem älteren Herren aus Süddeutschland unterhalten, der sagte, er würde Berlin nicht besuchen, weil er immer die Bilder der Nazimassen im Kopf habe, wie sie durchs Brandenburger Tor marschierten. Ich sagte damals, mich erinnere das Brandenburger Tor an die jubelnden Menschen auf der Berliner Mauer am 9. November 1989. Daraufhin erwiderte er: „Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen Jung und Alt, und das ist ja auch sehr gut so.“

Das sehe ich auch so. Nicht, dass Geschichte vergessen werden soll, da verstehe mich bitte niemand falsch. Es gilt auch wahrlich nicht, einen Schlussstrich zu ziehen. Wir, die wir dieses Denkmal von außen betrachten, sind für die Bewahrung der Erinnerung in der Zukunft verantwortlich. Gerade dieses Denkmal, das als Mahnmal eine unglaublich wichtige Bedeutung für die deutsche Geschichte und Zukunft hat, versöhnt sich für mich mit der heutigen Zeit in diesem stets dort zu hörenden Kinderlachen.

Holocaust-Mahnmal-Berlin

Nachtrag:
Was ich nicht erwähnt habe, weil ich ursprünglich dachte, das führe hier zu weit, sind die (jungen) Erwachsenen, die sich anscheinend nicht der Bedeutung dieses Ortes bewusst sind und leider auf den Stelen herumrennen und blöde Faxen machen. Dieser Umstand wurde jetzt von Shahak Shapira im Projekt „Yolocaust“ thematisiert. Ein gutes, kurzes Interview dazu gibt es bei Jetzt (Triggerwarnung: Es werden Fotos aus KZs mit Leichen gezeigt!).

TTT – TierischeTouriTipps

  • Das Stelenfeld ist jederzeit zugänglich, am Wochenende finden außerdem kostenlose Führungen mit Hintergrundinformationen statt:
    Jeden Sonntag um 15 Uhr auf Deutsch, jeden Samstag um 15 Uhr auf Englisch, je 45 Minuten.
  • Die unterirdische Ausstellung im „Ort der Information“ ist ebenfalls kostenlos, daher muss auch mit etwas Wartezeit gerechnet werden. Öffnungszeiten: April – September 10-20 Uhr, Oktober – März 10-19 Uhr, jeweils Dienstag – Sonntag.
  • Informationen in Wikipedia über das Denkmal
  • Webseite der Stiftung