Auf einem stillgelegten Bahnhof im Schlafwagen übernachten – klingt spannend? Ist es auch. Seit einiger Zeit gibt es im Fläming in Brandenburg, gar nicht weit von Berlin, ein Schlafwagen-Hotel auf stillgelegten Gleisen. Dazu perfekt passend: das großartige französisch-deutsche Restaurant im alten renovierten Bahnhof.
Update 2023: Leider hat mittlerweile nicht nur das Restaurant, sondern auch das komplette Hotel seien Betrieb eingestellt. Die Schlafwagen können noch von außen begutachtet werden, das Gelände ist nicht eingezäunt. Soweit mir bekannt, wird ein neuer Betreiber gesucht.
Der Bahnhof Rehagen in Brandenburg
Ein bisschen verrückt muss man wohl sein, um dieses Mammutprojekt zu verwirklichen.
Die alten Waggons, die heute das Schlafwagenhotel Rehagen beherbergen, standen ursprünglich nicht hier, Herr Boyer hat sie gekauft und in einer Riesenaktion mit Spezialkran vor Ort bringen lassen. Anschließend erfolgte der Aus- und Umbau, denn ursprünglich waren es reine Sitzwaggons. DDR-Retroschick lässt grüßen.
Mit dem Kauf des alten Bahnhofes Rehagen im brandenburgischen Fläming, der Eröffnung eines Restaurants mit gehobener Küche und der Realisierung eines Schlafwagenhotels an einem verlassenen Gleis mitten im Wald verwirklichten die Boyers einen Lebenstraum. Als ich dem sympathisch lächelnden Franzosen zur Begrüßung die Hand schüttele, versuche ich zu ergründen, ob der Erfolg Resultat eines guten Geschäftsmannes oder verrückten Spinners ist. Wie üblich liegt die Wahrheit wohl in der Mitte: Fünf Portionen Kreativität und Leidenschaft gehören zu diesem Projekt genauso dazu wie gutes Durchkalkulieren und jahrelanges Durchhalten.
Das Restaurant im Bahnhof
Die Backsteine des Bahnhofsgebäudes sind gut erhaltenen, mehrere Giebel verzieren das riesige Haus. Das Interieur ist liebevoll zusammengestellt, einige alte Originalstücke ergänzen die Einrichtung. Im Restaurant bringen Tapeten und eine türkise Wand Frische ins Bild. Die Atmosphäre ist gemütlich und familiär, die kleine Tochter der beiden begrüßt die Gäste gerne persönlich, zur Erheiterung der Gäste.
Gar nicht so einfach war es, die Leute hier von der guten Küche zu überzeugen, erzählt die aus Deutschland stammende Gattin. In Brandenburg hat man es eben immer noch gerne „günstig“, und das passt nicht immer zur Bio-Küche, die im Restaurant vorwiegend serviert wird. Doch als wir ins Restaurant gucken, ist dieses trotz des Regenwetters gut besetzt. So langsam hat sich herumgesprochen, dass sich hier ein außerordentlich gutes Restaurant angesiedelt hat. Der Einzugskreis der Gäste reicht mittlerweile bis nach Berlin.
Lesetipp!
Im Artikel Einfach Brandenburg: 111+ Ausflugsziele und Tipps für den Kurzurlaub habe ich alle (na gut, fast alle) meiner Lieblingstipps für Brandenburg aufgeschrieben. Hier findest Du garantiert Inspiration.
Stillgelegte Gleise und ein Schlafwagen-Hotel
Auch der Außenbereich wurde noch einmal neu gestaltet. Hinten geht es hinaus auf den „Bahnsteig“ und die stillgelegten Gleise, bei schönem Wetter sitzen die Gäste vom Restaurant draußen, manchmal ist der halbe Bahnsteig besetzt, dann findet hier vermutlich wieder eine Hochzeit statt. Im Bahnhof Rehhagen kann geheiratet werden, das Angebot wird derzeit von so vielen Brandenburger:innen angenommen, dass man länger auf einen freien Termin warten muss. An das Ausrichten von Hochzeiten habe man gar nicht gedacht, erzählt Herr Boyer, bis die Brandenburger selbst nachgefragt hätten. Seit dem steht das Gesamt-Konzept auf festen Füßen, freut sich der Besitzer.
Erst einmal muss ich die Kulisse bestaunen, die aussieht wie aus einer anderen Zeit. Sicher auch deshalb wurde hier eine Filmszene aus Monuments Men gedreht, bei dem ein Bahnhof des Pariser Vorortes „Le Bourget“ nachgestellt wurde. Der Schriftzug prangt immer noch auf der alten Brücke über den Gleisen. Sogar George Clooney ist also hier schon auf den Gleisen gewandet und spielte im Film einen Kunstbewahrer aus dem zweiten Weltkrieg.
Passend übrigens: Hier wird regelmäßig Draußen-Kino veranstaltet. Infos & Termine findet man auf der Webseite.
Ich spaziere jedenfalls gleich einmal die Gleise entlang und fühle mich in der Zeit zurückversetzt. Das könnte auch eine Szene aus „Stand By Me“ sein, denke ich, und summe die Melodie vor ich hin.
Kleiner Videodreh
Witzigerweise trage ich heute eine Mütze, die fast als Baskenmütze durchgehen könnte, und der Mann hat die Drohne dabei. Also dann, Film ab Rehagen. Sorry für die Qualität. Das Equipment lässt hier leider etwas zu wünschen übrig.
Die vielen Gleise überraschen, tatsächlich gibt es hier sogar ein Abstellgleis, das zu einer uralten, halb verfallenen Scheune etwas abseits im Wald führt – eine Bahnwerkstatt. Die alte Scheune möchte er gerne ebenfalls herrichten, erzählt Herr Boyer, man merkt ihm die Begeisterung für diesen Ort an.
Am Abend schlemmen und dann ab in den Schlafwagen
Am Abend speisen wir sehr fürstlich im Bahnhof, ich bin vom Essen mehr als begeistert, eine Mischung aus lokaler und französischer Küche, alles in bio natürlich. Das Restaurant hat derzeit leider geschlossen. Ich bin nicht sicher, ob das der Pandemie geschuldet ist, sich der Betrieb des Restaurants nicht gelohnt hat oder das Problem des Personalmangels hier zugeschlagen hat.
Später machen wir es uns im Oversize-Bett gemütlich, während gegenüber der alte Bahnhof in hübschen Lichtern erstrahlt.
Für April ist es ungewöhnlich kalt, doch die Heizung tut netterweise ihre Dienste, außerdem gibt es warme Federbetten. Das Badezimmer ist winzig, aber sogar eine Dusche ist vorhanden.
Nachdem wir uns das Rattern der Gleise vorgestellt haben und überlegen, ob eine App mit entsprechendem Sound zusätzlichen Charme versprühen würde, schlummern wir ein – leider ohne Sonnenuntergang, das Wetter ist etwas bescheiden.
Ausgeruht freue wir uns am nächsten Morgen über ein deftiges Frühstück mit allerlei Köstlichkeiten aus Frankreich und der Region, besonders angetan hat es mir der Käse und die selbstgemachten Marmeladen. Frau Boyer bedient persönlich und ist überrascht, als die anderen Nachtgäste Ihr ein SZ-Magazin unter die Nase halten, in der das Schlafwagenhotel als besondere Übernachtungsmöglichkeit erwähnt wird. Sie freut sich sichtlich.
Wir laufen noch ein bisschen an den Gleisen entlang und beschließen dann, uns noch ein wenig die Gegend anzuschauen, der Mellesee liegt direkt nebenan und lädt zu einem Spaziergang ein.
Als wir unsere Sachen zusammenpacken, kommt eine Fahrraddraisine vorbei. Die drei Insassen gucken neugierig auf unseren Schlafwagen, wir gucken neugierig auf die Draisine, kurzes Zuwinken und fix wird ein kurzer Tausch angeboten: Ich mal kurz auf der Draisine, dafür dürfen die drei sich den Schlafwaggon ansehen. Gegenseitige Begeisterung, lachen, Zuwinken, tschüss, bis zum nächsten Mal. So ist Brandenburg.
Beim nächsten Mal erzähle ich Euch von unserer Draisinenfahrt, das ist nämlich wirklich ein echtes Erlebnis und ich finde es wunderbar, dass auf diese Weise stillgelegten Gleisen und Bahnhöfen wieder neues Leben eingehaucht wird.
TTT – TierischeTouriTipps
Update 2022: Derzeit hat der Restaurantbetrieb geschlossen. Inwiefern zur Übernachtung Mahlzeiten angeboten werden bitte erfragen. Auch sind, soweit ich gehört habe, die Boyers leider wieder nach Frankreich gezogen und leiten den Betrieb teilweise von der Ferne. Das ist ein bisschen betrüblich, nichts desto Trotz bekommt der Bahnhof überall (Tripadvisor, Facebook) immer noch sehr gute Bewertungen, hat also hoffentlich nichts von seinem Charme verloren.
- Reservierung & Preise: Sowohl für eine Übernachtung als auch für einen Restaurantbesuch vorreservieren, Infos zu Preisen, Öffnungszeiten, Telefonnummer und Email finden sich auf der Webseite vom Bahnhof Rehagen. Das tolle Frühstück ist übrigens im Preis inbegriffen. Das Restaurant hat von Donnerstag bis Sonntag geöffnet.
- Anfahrt: Wer nicht mit dem Auto kommt, fährt am besten über Zossen und dann mit dem Fahrrad weiter. Oder man kombiniert die Anfahrt mit einer Draisinentour, dann bitte mit der Erlebnisbahn Zossen absprechen, wie das am besten vonstatten geht, da ja jemand die Draisine dann von Rehagen abholen muss.
- Unternehmen: Die erwähnte Draisinentour von Zossen sollte man unbedingt machen. Außerdem in der Nähe: Der Mellesee, der nicht irre hübsch ist aber eine kleine Strandpromenade besitzt.
Etwas weiter entfernt bietet sich ein Besuch im Museumsdorf Baruther Glashütte an – unbedingt sehenswert! Auch die verbotene Stadt Wünsdorf ist in der Nähe. Außerdem natürlich der Fläming-Skate und so hübsche Städtchen wie Jüterbog und Bad Belzig.
Disclaimer: Die Übernachtung erfolgte mit freundlicher Unterstützung von den Boyers, ganz herzlichen Dank dafür.