So lange wollte ich schon in die Altmark fahren und nun stehe ich am Bahnhof Stendal und stelle beschämt fest, dass es von Berlin-Spandau gerade mal einen Katzensprung entfernt liegt – ganz 40 Minuten habe ich gebraucht. An diesem verlängerten Wochenende werde ich mich jedoch nicht nur in der rund 1000 Jahre alten Stadt Stendal aufhalten, sondern mich noch weiter in der Altmark umsehen, nach Tangermünde fahren, ein bisschen Geschichte schnuppern und Überbleibsel des Mittelalters suchen.
Und weil das Wochenende ereignisreich war und mein Artikel viel zu lang geworden ist, gibt es zwei Teile: Heute geht es um Stendal, die Altmark und das Mittelalter. Im nächsten Artikel erzähle ich Euch über das hübsche Tangermünde.

Einige von Euch haben es mitbekommen: Im Zuge der Aktion #Altmarkblogger haben Janett von Teilzeitreisender und ich ein paar Tage die Altmark in Sachsen-Anhalt besucht. Doch die „Altmark“, was ist das eigentlich?

Die Altmark – zurück ins Mittelalter

Eine Schande, dass ich so lange gebraucht habe, mich endlich mal in der Altmark umzuschauen und Stendal und das hübsche Örtchen Tangermünde kennen zu lernen. Denn geboren bin ich in Wolfsburg in Niedersachsen, fast schon in Kirschkernspuckweite zur Altmark, die dort etwa an der Sachsen-Anhaltischen Grenze anfängt und sich bis rüber zur Elbe zieht. Die Elbe begrenzt die Altmark dann im Norden und Osten, im Süden zieht sie sich bis zur Magdeburger Börde.

Der Begriff Antiqua Marchia, die „Alte Mark“, tauchte um 1300 auf. Da das Gebiet damals zur Mark Brandenburg gehörte, einem wichtigen Territorium des Mittelalters, gilt die Altmark bis heute als die „Wiege Brandenburgs“ und damit gleichzeitig auch als die „Wiege Preußens“. Die Mark teilte sich in Altmark, Neumark und Mittelmark. Die Mittelmark entsprach von der Ost-West-Ausdehnung in weiten Teilen dem heutigen Brandenburg.

Karte der Mark Brandenburg

Ausdehnung der Mark Brandenburg im Mittelalter. Quelle

Es ist die Zeit, in der die Kurfürsten Brandenburgs den König wählten und die Deutsche Hanse ihre politische und wirtschaftliche Macht ausbaute.
Es ist die Zeit des Heiligen Römischen Reiches, das sich von Schleswig-Holstein bis zum heutigen Norditalien, von Wien und Prag bis in den Osten Frankreichs erstreckte, und das in mehr oder weniger ähnlichen Ausprägungen bis 1806 bestand.
Das politische Verständnis der Bürger:innen bestand damals nicht aus einem Nationalstaat, denn das war das Heilige Römische Reich nie, sondern eher aus einem losen Verbund von Herzogtümern, die dem König zwar unterstanden, jedoch in ihren Interessen sehr divers waren. Entsprechend wild und instabil waren die Herrschafts- und Machtverhältnisse. Um sich das bildlich vorzustellen, zoomt doch mal in diese Karte rein. In Blau seht Ihr die Mark Brandenburg. Der westliche Teil, die Altmark, wird durch das Bistum Havelberg (lila) getrennt. Will sagen: Da war ordentlich was los.

Und es ist die Zeit noch vor der Pest, Städte entwickelten sich prächtig, oder genauer: Der Reichtum häufte sich auf der einen Seite an und bescherte der anderen Seite Armut. Städte wuchsen auf ehemals slawischen Siedlungen, deren Verwaltungsgrundlage das Magdeburger Stadtrecht war, aus dem später das Brandenburgische Stadtrecht entsprang.

Miniatur Stendal

Stendal im Mittelalter – Miniatur

Strategisch war die Mark Brandenburg mit Elbe und Oder gut gelegen. Städte wuchsen und erlebten wirtschaftliche Aufschwünge, zudem festigten sie politischen Einfluss vor den Landesherrschaften. Das wiederum zeigte sich in prächtigen Befestigungsanlagen, Kirchen und Rathäusern.

Von diesen Zeugnissen findet sich in der Altmark noch erstaunlich viel, und wir sind gekommen, um während eines kurzen Streifzuges diese Zeugnisse vergangener Zeit zu finden.

Von Klöstern und Reichtum: Das ehemalige Katharinenkloster

Der erste Stopp der kleinen Mittelalter-Reise ist Stendal, einst größte Stadt der Mark Brandenburg, die 2022 beeindruckende 1000 Jahre geworden ist. Offiziell wird jedenfalls immer mal wieder damit geworben, obwohl diese erste urkundliche Erwähnung „Steinedals“ eine Fälschung sein soll. Gesichert ist allerdings, dass Albrecht der Bär um 1160 der Stadt das Magdeburger Stadtrecht verlieh. Falls Euch also jemand zufällig mal nach dem Alter Stendals fragt: Mit „rund 1000 Jahre“ liegt Ihr nicht falsch.

Das imposante ehemalige Katharinenkloster aus dem 15. Jahrhundert ist ein in der typischen Backsteingotik gebautes Ensemble.

Altmärkisches Museum in Stendal

Im ehemaligen Katharinenkloster befindet sich heute auch das Altmärkische Museum

Die heute entweihte Kirche beherbergt ein Musikforum, ein Museum und einen wunderbaren Klostergarten mit vielen alten Obstsorten, in dem ich als erstes ein bisschen Mundraub begehe – das ist ausdrücklich erlaubt.

Klostergarten Stendal

Durch das Kreuzgewölbe geht es in den Klostergarten.

Klostergarten Katharinenkloster Stendal

Hier gibt es alte Apfel- und Birnensorten – lecker! Der Klostergarten ist allerdings nicht historisch, sondern wurde in den 90er Jahren angelegt.

Vom Kurfürst Friedrich II. von Brandenburg als Benediktinerinnenkloster gegründet, blieb es auch nach der Reformation ein Damenstift. Der Bau sowie Museum lohnt einen Besuch, am besten mit einer kleinen Führung (nach Anmeldung).

Katharinenkloster Stendal

Katharinenkloster Stendal – eine Führung gibt es auf Anfrage.

Klöster spielten im Mittelalter eine wichtige Rolle: Die Stadtbevölkerung wuchs ebenso wie die Schere zwischen arm und reich. Für die reichen Bürger (Frauen hatten in der Regel kein Besitzrecht) war es eine Frage von Glauben und Prestige, Klöster finanziell zu unterstützen. Die arme Bevölkerung profitierte davon, erhielt Armenspeisungen und meist war ein Krankenhaus angegliedert, das ebenso die mittellose Bevölkerung versorgte.
Für Frauen war das Leben im Kloster häufig – neben der Prostitution – die einzige Möglichkeit, sich selbst ein Leben zu ermöglichen.

In Städten, die durch die Hanse reich geworden waren, finden sich häufig größere Kirchen und Klöster, manchmal wirken sie geradezu überdimensioniert. Falls Ihr mal nach Havelberg fahrt, das streng genommen nicht mehr zur Altmark gehört, da es östlich der Elbe liegt: Dort gibt es den unglaublich riesigen Havelberger Dom – wahnsinnig beeindruckend.

In der Klosterkirche befinden sich die Überreste des Rolands von Stendal, dessen Kopie heute neben dem Rathaus steht.

Was ist ein Roland?
Der Roland ist eine Ritterstatue mit Schwert und symbolisierte einst die Rechte einer freien Stadt mit Marktrecht und Gerichtswesen. Heute findet man in einigen Städten noch Reste oder Kopien der originalen Statuen, manchmal in erstaunlich kleinen Dörfern wie zum Beispiel im kleinen Örtchen Buch bei Tangermünde, das für kurze Zeit das Stadtrecht besaß.
Rolandstatue in Buch

Selbst im kleinen Buch bei Tangermünde gibt es eine stattliche Rolandstatue

Die Hanse

Eben habe ich sie erwähnt: die Hanse. Doch was war die Hanse eigentlich?

Die Hanse, auch Deutsche Hanse genannt, war ein Handelsverbund deutscher Kaufleute, die wirtschaftliche und politische Interessen durchsetzten. Man könnte auch sagen: Lobbyismus.
Den größten Einfluss hatte die Hanse im Hochmittelalter. Naturgemäß schlossen sich vor allem wichtige Handelsstädte an, die strategisch gut und meist am Wasser lagen. Die Koggen, bauchige Segelschiffe mit viel Transportvolumen, waren daher auch das Symbol der Hanse.
Die Mitglieder vernetzten sich sowohl in Handelsmöglichkeiten und Bedingungen, sowie im Transportwesen und Sicherheit.
In späterer Zeit ließ der Einfluss der Kaufmannshanse wohl auch durch neue Wirtschaftswege nach.
Das Konzept war fließend, nicht zuletzt durch die sich stetig verändernden politischen Verhältnisse. Der Kaiserliche Schutz ging verloren, Städtebünde wurden umso wichtiger.

Wie bereits erwähnt gehörte Stendal einst zu den wenigen Großstädten der größeren Region, es besaß u.a. sieben Klöster und Hospitäler. An der Bevölkerungsentwicklung Stendals wird deutlich, wie viele Geschichten so eine Stadt mitgemacht hat:
Während des Mittelalters zu Zeiten der Hanse blühte die Stadt. Der 30jährige Krieg und die Pest dezimierten die Zahl der Einwohner drastisch, manche Quellen sprechen von 2500 Menschen, andere von nur noch 300! Bis zum 19. Jahrhundert wuchs die Bevölkerungszahl nur langsam, durch die Industrialisierung explodierte sie auf über 50.000 kurz vor dem 2. Weltkrieg. Direkt nach dem Krieg platzte die Stadt aufgrund der vielen Flüchtlinge aus allen Nähten. Derzeit umfasst Stendal rund 40.000 Einwohner:innen.

Innenstadt Stendal

Die Innenstadt kann sich sehen lassen, derzeit wird gebaut und immer noch restauriert. Viele ältere Häuser erstrahlen mittlerweile in neuem Glanz.

Ein besonderer Marktplatz

Weiter geht es zum Marktplatz mit prächtigem Rathaus und der Pfarrkirche St. Marien. Wer einmal die Gelegenheit hat, sollte das restaurierte Ensemble nicht nur von außen bewundern, sondern auch eine Führung durch die Gemäuer machen.

Rathausplatz in Stendal

Rathausplatz in Stendal mit Rathaus in strahlendem Weiß und der Marienkirche dahinter

Das Stendaler Rathaus stammt zu großen Teilen aus dem 15. Jahrhundert, die Ursprünge liegen allerdings weit früher. Typisch aus Backstein erbaut, ist besonders die alte Ratsstube im Obergeschoss sehr sehenswert. Sie ist mit einer kunstvoll verzierten, spätgotischen Holzvertäfelung ausgestattet und stammt ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert.

Ratssaal im Rathaus Stendal

Die beeindruckend verzierte Holzvertäfelung in der Ratsstube stammt aus dem 15. Jahrhundert.

Ein weiterer Vorteil, wenn man das Obergeschoss besucht: Man darf den langsamsten Fahrstuhl der Welt befahren.

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Vielleicht. Wenn jemand Lust hat, Euch zu begleiten, haha.
Hatte ich vergessen zu erwähnen, dass es hier in der Altmark um Entschleunigung geht?

A propos Entschleunigung: Im Erdgeschoss befindet sich die Gaststätte Ratskeller, in der man gemütlich auf Sofas zwischen den alten Kreuzgewölben sitzt und herrlich Kuchen essen und Pralinen verkosten kann.

Ratskeller Stendal

Im Ratskeller sitzt man gemütlich zwischen Büchern im Kreuzgewölbe

Wer über den Marktplatz läuft, sollte ebenfalls kurz innehalten: Bei Ausgrabungen fand man Überreste eines alten Kaufhauses. Nach Altersbestimmung handelt es sich um das „älteste Kaufhaus nördlich der Alpen“ aus dem 11. Jahrhundert. Und jetzt noch einmal kurz innehalten, denn wir sprechen hier von einer Zeit, die bald schon 1000 Jahre her ist! Meine Begeisterung für alte Dinge wächst zugegebenermaßen immer exponentiell mit der Zeit, die sie überdauert haben. Ein bisschen schade ist, dass man heute von diesen Überresten nichts mehr sehen kann.

Altes Viertel & Uenglinger Tor

Nun lohnt ein kleiner Spaziergang, bei dem man die alten Bauwerke, einige Fachwerkhäuser und so manches Kleinod entdecken kann.

Fachwerkhäuser in Stendal

Fachwerkhäuser in Stendal

Ein Abstecher zum Dom sollte natürlich nicht fehlen. Im Innern sind die 22 erhaltenen Glasmalereifenster besonders sehenswert.

Stendaler Dom

Der Stendaler Dom ist bekannt für seine reich verzierten Glasmalereifenster.

Vom Rathaus geht es anschließend über die Winckelmannstraße durch die Altstadt zum Uenglinger Tor. Auf dem Weg kommt man am Winckelmann Museum vorbei. Meine Zeit reichte leider nicht, aber es wird überregional hoch gelobt und ist nach dem wohl berühmtesten Sohn der Stadt benannt, dem geistigen Gründer des Klassizismus und der wissenschaftlichen Archäologie, Johann Joachim Winckelmann. Im Hof des Museums steht ein riesiges, Trojanisches Pferd, das allein schon sehenswert ist.

Das Uenglinger Tor ist eines von zwei erhaltenen Stadttoren Stendals und ein wahrliches Prachtstück. Als eines der schönsten ganz Deutschlands diente es als Vorbild für andere Bauwerke.

Uenglinger Tor in Stendal

Das prachtvolle Uenglinger Tor in Stendal ist eines der schönsten Stadttore Deutschlands.

Der über 27 Meter hohe Turm aus dem 15. Jahrhundert ist begehbar, die Aussicht grandios. Eine Besteigung kann man im Rahmen einer Führung machen.

Aussicht Uenglinger Tor Stendal

Tolle Aussicht vom Uenglinger Tor. Wer entdeckt das Trojanische Pferd vom Winckelmann-Museum?

Zurück geht der Weg über den alten Westwall. Früher führte hier die Stadtmauer mit Graben entlang, heute kann man im Grünen flanieren.

Fachwerkhaus Stendal

Und einige Ecken warten noch auf ihre Entdeckung.

Stendal hat mir extrem gut gefallen und ganz sicher komme ich alleine für das Winckelmann-Museum noch einmal zurück.

Der Podcast über die Altmark

Bei der Altmarkblogger-Tour wurden wir von der Aktionsgruppe „Uchte-Tanger-Elbe“ begleitet und interviewt. Entstanden ist eine tolle, sehr kurzweilige Podcastfolge, hört doch mal rein. Übrigens ist der ganze Podcast sehr zu empfehlen:

Im nächsten Teil über die Altmark nehme ich Euch mit nach Tangermünde, zum wunderbaren Gutshaus Welle und an die Elbe. Meine liebe Begleiterin Janett hat natürlich ebenfalls über unseren Besuch in der Altmark gebloggt.
Die Artikel geben natürlich nur einen winzigen Ausschnitt aus der Region, die gerne auch „In the middle of nüscht“ genannt wird. Darüber hat Sibylle Sperling ein ganz wunderbares und eben genauso lautendes Buch geschrieben, das ich Euch wärmstens ans Herz legen kann:

Buchtipp!

„Es gibt einen weißen Fleck in Deutschland, der noch immer unbekannt vor sich hinschlummert. Vielleicht liegt es daran, dass seine Bewohner sich insgeheim wünschen, dass alles ganz lange so bleibt, wie es ist.“ beginnt Sibylle Sperling ihr Vorwort. Und genauso bezaubernd wie hier beschreibt sie auch die vielen Orte und Landschaften der Altmark.
Das Buch ist ein Lesebuch mit Geschichte und Geschichten über ausgewählte Orte der Altmark und eroberte die Bestsellerlisten im Sturm, so ist es derzeit bereits in der 8. Auflage zu haben.
Für mich ein absoluter Lesegenuss und Augenschmaus, denn zu den schönen Texten ist das Buch ist wunderbar aufbereitet und mit vielen tollen Fotos bestückt.

In the Middle of Nüscht
Sibylle Sperling, 2018.
Die östliche Altmark entdecken. Ein Entschleunigungsbuch.

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*Beim Kauf dieses Buches erhalte ich eine kleine Provision. Werbung aus reiner Überzeugung. :)

Offenlegung: Vielen Dank für die Einladung an die Region Uchte-Tanger-Elbe und für das außerordentlich schöne Programm. Meine Einladung beinhaltete alle Übernachtungen sowie Spesen vor Ort.