Heute beginnt etwas Neues. Ich rufe nämlich ab sofort mein Couch-Jahr aus, und das fühlt sich so gut an, dass ich fast ein bisschen aufgeregt bin. Ich habe sozusagen Schmetterlinge im Bauch, wenn ich an meine Couch denke.

In den letzten zwei bis drei Jahren hat mein Leben aus sehr viel Arbeit und einer Menge Quatsch bestanden. Das ist völlig ok so, aber jetzt ist eben auch Zeit, etwas zu ändern, denn ich habe mich seit längerem schon gefragt, was ich mir wirklich wünsche und wie ich mir mein Leben in der Zukunft vorstelle. An was ich denken würde, wenn ich alle Freiheiten der Welt hätte, denn seit ziemlich langer Zeit habe ich sieben Tage die Woche keine Ruhe gehabt, sondern Pläne und ToDo-Listen abgearbeitet und war immer „im Stress“, sehr viel positiver, mit schönen Plänen und spannenden ToDos, aber eben auch sieben Tage die Woche keine Langeweile, kein Ich-muss-jetzt-mal-gar-nichts, kein Schlafen ohne schlechtes Gewissen.

Große Vermissung: Wo ist die Langeweile hin?

Ich habe das Gefühl, nie fertig zu sein, meinen wichtigen Aufgaben immer hinterher zu hinken. Mein Bulletjournal wird voller und voller und ich vermisse etwas. Was, das kann ich nicht genau sagen. Freizeit? Langeweile? Übrigens ein absolut wunderbarer Begriff, die „lange Weile“!

Und dann muss man ja noch Zeit haben dazusitzen und vor sich hinzustarren

Doch wo will ich vor mich hinstarren?
Erst wollte ich im Dezember länger verreisen, habe aber gemerkt, dass ich mich nicht entscheiden kann. Was wünsche ich mir denn? Das konnte ich nicht beantworten. 1000 Möglichkeiten und auf einmal ist da kein Gedanke, bei dem meine Euphorie durch die Decke geht. Ich würde gerne Hawaii besuchen und noch einmal Grönland, und würde mir diese Flüge trotz der aktuellen Klimadebatte auch leisten, denn ich fliege mittlerweile mit sehr viel Bedacht, seit drei Jahren kaum mehr, möchte mir aber nicht für alle Zeiten jeden Fernreisewunsch verbieten. Aber irgendwie fehlte der innere euphorisch hüpfende Kiwi. (Noch keinen euphorisch hüpfenden Kiwi gesehen? Dann schaut mal hier.) Also bleibe ich zu Hause.

Couch im Wohnzimmer

Und jetzt? Und morgen?

Wie möchte ich in der Zukunft leben?
Ich möchte ein kleines Grundstück auf dem Land kaufen, wo ich in der Erde buddeln kann, am liebsten mit einem sehr einfachen, kleinen Haus darauf. Wer träumt da nicht von. Aber habe ich wirklich Lust auf endlose Renoviererei, Kredite und ein Leben ohne die Möglichkeiten der vielfältigen Großstadt? Und mit den Nachbarn muss man ja auch noch klarkommen.

Landhäuser mit Fachwerk

Ab auf’s Land?

Ich möchte gerne Führerschein machen und mir einen Bulli kaufen, weil es total nervt, immer auf andere angewiesen zu sein, wenn es darum geht, irgendwohin zu fahren, zum Beispiel nach Neufundland oder Brandenburg, weil, so auf Dauer sind auch hier die Öffis echt nervig. Aber ich sterbe auch nicht, wenn ich das mit dem Bulli nicht hinbekomme, zum Beispiel, weil mich nochmal so ein totales Arsch beklaut und mein nächstes Bankkonto leerräumt, aber das ist ein leidiges anderes Thema.

Brandenbulli

Auf „Brandenbulli“-Tour.

Das sind alles große Träume, aber mit wenig Verwirklichungsgeist. Gut, bis auf den Führerschein, den habe ich mir tatsächlich vorgenommen, wenn ich ENDLICH MAL mehr Zeit habe. Jetzt zum Beispiel, denn ich habe die Manuskripte für kommende Bücher abgegeben und meine Projekte fast abgearbeitet. Das erste Mal Zeit.

Der Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung vs. Selbstoptimierungswahn

Was mir beim Nachdenken über meine Ziele auffiel: Ich habe in letzter Zeit relativ viele Bücher gekauft. Ich schaue seit einiger Zeit eher Dokus statt Filme. Dann las ich ein Interview mit Peter Handke und sah diese Netflix-Doku über Bill Gates und kam mir unendlich dumm vor. Und da wurde mir klar: Ich habe mich in den letzten Jahren einfach nicht weiterentwickelt. Ich habe mehr geschrieben, statt gelesen. Was ich schrieb kam mir immer inhaltsloser vor.

Bücher und Magazine

Lesefutter

Ich möchte besser werden, aber worin?
Irgendjemand sagte neulich mal, dass das Leben darin bestünde zu verstehen, wie man ein besserer Mensch werde. Da ist schon etwas dran.

Zum besseren Menschen gehört sicherlich auch, alten Ballast abzuwerfen. Ich dachte daran, ein Coaching zu machen, doch Coachings klingen für mich viel zu sehr nach Selbstoptimiererei. Ich mag aber diesen Optimierungswahn von heute nicht. Wir sollen schöner und besser in allem sein, alle „Fehler“ möglichst so glattgebügelt, dass wir wie Barbiepuppen aussehen und unsere Instagram-Accounts zum Verwechseln ähnlich. Das ist nicht meins.
Dann dachte ich an eine Psychotherapie. Ich fragte mich, was ich mich genau frage, ob der Ursprung des Wunsches zur Veränderung nur die fehlende Auszeit ist oder ob ich unzufrieden bin mit meinem Leben. Doch ich kann das nur stirnrunzelnd verneinen und deshalb auch nicht konkret formulieren, was wirklich meine Träume sind.

Ich bin glücklich. Tatsächlich wirklich glücklich. Ich habe bisher alle Ziele in meinem Leben erreicht, die ich wirklich erreichen wollte. Und vielleicht ist genau das der Punkt, weshalb ich jetzt denke: Daraus musst Du doch etwas machen. Das Glück hast Du erreicht, jetzt heißt es, noch Sinn dazu zu tun, etwas, was vermutlich über meine eigene Person hinausgeht.
Ich möchte Dinge anders machen. Offensichtlich habe ich auf diese schnelle Reiserei keine Lust mehr. Die vielen langsamen Reisen durch Brandenburg waren zwar häufig „Arbeit“ (im Frühjahr kommen meine beiden nächsten Brandenburg-Reiseführer raus, yei!), aber es hat mir gefallen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, häufiger an die gleichen Orte zurückzukehren, Veränderungen wahrzunehmen.

Es ist daher gerade nicht so, dass ich nichts erlebt hätte, im Gegenteil. Ich bin viel unterwegs gewesen, und die sinnigsten Reisen habe ich wohl in Brandenburg gemacht, weil sie intensiv waren und ich an mehr kratzen konnte als an der Oberfläche. Irgendwann war ich fast jedes Wochenende unterwegs und ich glaube, neben anderen Auslösern war das der Versuch, in mir eine Leere zu stopfen, die größer wurde. Ob es so etwas wie ein Glücksloch gibt?

Reisen erweitert den Horizont? Naja.

Wer reist, erweitert seinen Horizont, wird immer gesagt. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Die weisesten Leute wohnen vermutlich in irgendwelchen winzigen Dörfern in Portugal, die sie nie verlassen haben. Auf meinen Reisen habe ich Leute getroffen, die seit zwei Jahren um die Welt ziehen und eine Weltanschauung wie ein 300er Teleobjektiv haben – keine breite Perspektive.

Und ich habe jetzt wohl gerade nicht Fomo, die „Fear of Missing out“, sondern FoT: Fear of Tunnelblick.

Lesen mit Kaffee - Couching

Ab auf die Couch!

Neue Perspektive: Ab auf die Couch!

Als ich über all das nachdachte und mir das erste Mal wirklich die Frage stellte, wo ich also den Sinn herbekomme und die neuen Perspektiven, war die Antwort sofort klar: Auf der Couch, mit schlauen Leuten im Gespräch oder mit einem guten Buch.

Und weil ich mir fest vorgenommen habe, im neuen Jahr etwas zu verändern, und ich nun schon früher fertig mit meinen ganzen Projekten bin, startet es genau heute:

Mein Couch-Jahr

Mein Couch-Jahr wird sowas Ähnliches wie ein Sabbatjahr, nur, dass ich natürlich arbeiten gehen muss. Ich habe in den letzten drei Jahren sehr viel gearbeitet und werde mich jetzt ein bisschen ausruhen, „nur noch“ meinen Halbtags-Angestellten-Job machen und mal ein Jahr keine weiteren Projekte nebenbei. Ich werde sinnieren, was ich möchte, und mir dünkt, es wird nach sehr langer Zeit mal wieder eine Fernreise geben, vielleicht eine längere, in der ich meinen Ferndurst ein wenig stillen kann, aber eine, die etwas intensiver und langsamer vonstatten geht. Vielleicht fahre ich aber auch nirgendwohin.

Couch im WohnzimmerAuf jeden Fall werde ich viel Zeit auf der Couch verbringen, vielleicht auf verschiedenen Couches, in einer Kneipe, bei Freunden, vielleicht auch mal in einem schönen Hotel, ganz sicher bei mir und mit sehr, sehr vielen guten Büchern. Viel Zeit also für gute Gespräche und zum Nachdenken.

JOMO, the Joy of missing out, werde ich so richtig zelebrieren.

Ich möchte mich fragen, wofür ich mehr Zeit auch in Zukunft haben möchte, wo und wie ich mich auf der Arbeit verbessern kann und was mich sonst außerdem erfüllen würde. Ich möchte darüber nachdenken, welche Angewohnheiten mich an mir stören und wie ich diese ablegen kann, und was ich mir vielleicht stattdessen angewöhnen möchte. Ich möchte wissen, was mich außer rechtem Gedankengut, Nixtun gegen die Klimakrise und Greenwashing noch alles nervt und wie ich das Genervtsein in produktivem Handeln kanalysieren kann. Ich möchte mich fragen, inwiefern und wie ich der Gesellschaft etwas zurückgeben kann.

Ich möchte dabei nicht zu selbstoptimiererisch vorgehen. Wir sollen/wollen schöner, gesünder, schlanker, erfolgreicher sein als früher, und es geht immer, immer darum, „besser“ zu werden. Das finde ich ein extrem ungesundes Weltbild. Frei nach Astrid Lindgren und dem so abgelutschten wie wahren Spruch soll es jetzt wirklich auch mal darum gehen, einfach nur dazusitzen und vor mich hinzustarren. Und verdammt nochmal nicht immer ToDo-Listen zu schreiben. Natürlich, einige Dinge müssen erledigt werden, ich möchte auch schon lange Verschobenes endlich mal anpacken (den Keller ausräumen zum Beispiel – gru-se-lig!), und der Alltag kommt einem ja auch noch dazwischen. Aber ich möchte die Wochenenden auch mal wirklich frei halten, und dann einfach mal nix tun. Oder doch was tun. Und denken und lesen.
Vielleicht finde ich dabei gar keine Antworten auf obige Fragen, vielleicht stelle ich fest, dass die Antworten mich gar nicht interessieren und die Fragen nur da sind, weil ich denke, ich müsste sie stellen.

Und am Ende dieses Jahres möchte ich, wenn mich jemand fragt, was ich so gemacht habe, antworten: Nichts besonderes. Und zufrieden lächeln.

Ich überlege, ob ich Euch daran teilhaben lassen soll, an den Gedanken und Erkenntnissen und Ereignissen, die daraus resultieren, aber ich bin noch nicht sicher. Erstens, weil ich keine großartigen Pläne für dieses Jahr aufstellen möchte, und zweitens, weil ich nicht weiß, ob das dann nicht leider etwas selbstgefällig daherkommt. Mir ist durchaus sehr bewusst, dass ich ohne eigene Kinder und mit einem recht erfüllenden Halbtagsjob plus noch erfüllenderer Teilselbständigkeit (die ich also eine Weile auf Eis lege) mit genug Geld auf dem Konto zu 99% zu keinem Vorbild tauge. Andererseits würde so ein Monatsrückblick mich immer wieder an mein nichtgeplantes Jahr erinnern, so dass ich hier nicht die Couch aus den Augen verliere. Ich würde glatt sagen: Schauen wir mal.

Euch wünsche ich nun jedenfalls eine entspannte Adventszeit (ich persönlich finde die ja immer viel schöner als die eher stressigen Weihnachtstage), wunderbare Wünsche für das kommende Jahr und ganz hyggelige Momente.

Eure Inka