Unser täglich Brot: Das gelangweilte Überfliegen irgendwelcher Texte im Internet, ob wir nun politisch auf den neuesten Stand gebracht werden wollen oder meinen, wir müssten uns informieren, was in der „Blogosphäre“ gerade so los ist. Und wenn wir Blogger selbst einmal wieder einen neuen Text ins www abschicken, quält uns nicht selten die Frage, ob das wirklich etwas ist, worauf die Welt noch gewartet hat.
Das behaupte ich jetzt einfach mal so.

Mir jedenfalls klappen sich regelmäßig die Fußnägel hoch bei dem, was ich da selber fabriziere, insbesondere, wenn ich nach einer Weile und mit entsprechendem Abstand meine eigenen Texte lese. Aber wie werde ich besser? Und was bedeutet das in diesem Zusammenhang? Was ist ein „guter Text“ im Internet? Was ist ein guter Text im Blog – gut für den Menschen, nicht für die Suchmaschine google,  auch wenn das mittlerweile ein nicht mehr ganz so ein großer Unterschied ist wie noch vor wenigen Jahren, weil google durch sein Spionageverhalten die menschlichen Reaktionen auf einen Text im Internet (Verweildauer, Absprungrate) stärker in die Bewertung mit einrechnet.

Als Johannes Klaus, Erfinder der Reisedepeschen, kürzlich erzählte, er sei in der Jury, die den Columbus Autorenpreis der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten vergebe, war meine Reaktion, etwas ironisch zu denken, das sei wohl der ‚Untergang des Abendlandes‘, wenn ein Blogger den renommierten Journalistenpreis gar gewinnen würde.
Dieser Gedanke brachte mich aber einmal wieder zu der Frage, ob ich bessere Texte schreiben würde, hätte ich Journalismus studiert. Das Handwerk könnte ich dann beherrschen, Schema F genauso bedienen wie mich bewusst gegen journalistische Regeln entscheiden. Ja, ich denke schon. Zu einem guten Text gehört doch irgendwie auch gutes Handwerk und bewusstes Schreiben.

Ein guter Text muss natürlich kein journalistischer sein. Eine gute Geschichte hat mir schon so manchen Morgen das Prokrastinieren erleichtert, ein nettes Tagebuchblog, eine persönliche Reisegeschichte oder gar ein Tutorial die Motivation gegeben, bestimmte Dinge anzugehen, und damit fühle ich mich verdammt gut. Doch warum? Und ist das dann ein guter Text? 
Gibt es jenseits vom Clickbait in diesem textüberfluteten Internet noch Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit eines Lesers zu erhalten? Wann fesselt ein Text?

Ich schreibe blickgewinkelt nun seit fast fünf Jahren. Textlich gibt es Höhen und Tiefen. Was mir jedoch – trotz all der vielen Schreiberei auch für andere Medien – noch nicht gelungen ist: Ein Thema zuverlässig interessant zu beschreiben. Ich fühle mich immer noch so, als sei es ein bisschen Glückssache, ob mein Hirn heute mal wieder flexibel genug ist, einen intelligenten Text zu produzieren. Jede neue Geschichte ist wie das erste Mal. Ob der Text dann auch spannend ist und gerne gelesen wird, sei auch noch einmal dahingestellt.
Das liegt insbesondere daran, dass ich schlicht nicht weiß, was ein guter Text ist. Bücher zum Thema haben mich nur mittelmäßig weitergebracht, Workshops richten sich entweder an den esoterischen Romanschreiberling oder widmen sich der Frage, „Wie Du 10k Leser für Dein Blog bekommst“.

Was liegt also näher, als einen Experten zu fragen, einen, der mir eben neulich wieder beim Nachdenken über Journalismus, Bloggerei und gute Texte begegnete, einen, der es wissen muss, denn er sitzt in verschiedenen Jurys, um Texte zu beurteilen, ist Grimmepreisträger, erfolgreicher Herausgeber der Travel Episodes, die auch schon in zwei Bänden als Buch erschienen sind und betreibt den beliebten Blog Reisedepeschen: Johannes Klaus.

Interview mit Johannes Klaus

blickgewinkelt: Die LeserInnen informieren, motivieren, unterhalten oder aufklären – das sind Zielsetzungen von Texten. Sind Timing und Verständnis für den Bedarf des/der LeserIn eventuell alles, was es zu einem guten Text braucht?


Johannes: Wenn man nur auf die Reichweite schaut, ja, dann sind das Thema und die richtige Platzierung sicherlich ein sehr wichtiger Punkt, um viele Menschen zu erreichen. Ein guter Text wird für mich jedoch durch etwas anderes bestimmt, und es ist in gewisser Weise das Gegenteil: Am besten ist ein Text gelungen, wenn man damit Leser erreicht, die sich für das Thema nicht interessieren. Es ist selten, dass ich einen Beitrag zu Ende lese, der das erreicht, der so unterhaltsam und spannend ist. Beim Schweizer Magazin Reportagen geht mir das oft so.

blickgewinkelt: Gibt es einen Qualitätsunterschied zwischen Journalismus und Bloggerei oder besteht der Unterschied lediglich in Dingen wie Herangehensweise, Medium, Arbeitsweise – oder gibt es eventuell gar keinen Unterschied?

Johannes: Ich finde, es geht viel durcheinander, was die Begrifflichkeiten angeht. Ein Blog ist erst einmal nur ein Kanal, über den alles Mögliche veröffentlicht werden kann: Journalistische Texte, persönliche Notizen, Tipps und Ratgeber, literarische Geschichten, Werbung oder versteckte Werbung, neben vielem anderen. Das ist wichtig, weil es den Blogger gar nicht gibt – entscheidend ist was dieser veröffentlicht. Und da die Veröffentlichung bei einem Blog im Vergleich zu einem klassischen Medium sehr einfach geht und der Autor gleichzeitig auch Herausgeber ist, gibt es als Qualitätskontrolle im Endeffekt nur die Rückmeldung des Lesers. Einerseits ist das gut, denn diesen möchte man ja erreichen, andererseits ist eine externe Überarbeitung vor der Veröffentlichung eines Beitrags meistens zuträglich.
Ein anderer Punkt ist die reine Textqualität im Vergleich mit einem Gesamtpaket aus Text, Fotos/Videos.
Ich merke bei den Travel Episodes, dass bei den Berichten auf der Website sich die Autoren aus dem Bloggerumfeld leichter tun, ein stimmiges Paket aus Text, Foto und Video zu liefern; Bei den Texten, die im Buch erscheinen, also ohne Bilder und Filme auskommen müssen, sind die klassischen Autoren und Journalisten klar im Vorteil. Die reine Textqualität ist in der Regel deutlich besser.
Also: Ja, ich denke es gibt Qualitätsunterschiede, aber man muss genau schauen, nach welcher Qualität man sucht. Eine runde, schöne Reportage zu schreiben ist schwer, hier ist eine Ausbildung hilfreich. Einen feinen Mix aus Bildern und Texten zu kreieren, die mit der Leichtigkeit des Subjektiven und der Persönlichkeit des Autoren spielt, das ist eher ein Fall für die meisten (Reise-)Blogger.

blickgewinkelt: Gibt es ganz bestimmte Aspekte bei einem Text, die Dich davon überzeugen, dass Du einen „guten Text“ vor Dir hast? Falls ja, welche sind das? Wie hast Du zum Beispiel die Texte für die Buchausgabe der Travel Episodes ausgesucht?

Johannes: Als wir letztes Jahr den Schreibwettbewerb für das zweite Buch von The Travel Episodes* veranstaltet haben, kamen etwa 200, teils sehr umfangreiche, Einsendungen. Überwältigend!

Zuerst dachte ich – wow, wie soll ich das jemals alles lesen und beurteilen? Relativ schnell wurde mir allerdings klar, dass es sich sehr fix zeigt, ob ein Beitrag gut ist oder nicht – in der Regel schon im ersten Absatz oder sogar im ersten Satz. Wenn ein Text nicht direkt sowohl unterhaltsam ist als auch einen Spannungsbogen aufbaut, bin ich (und die meisten Leser) raus. Ist der Beginn richtig gut, passiert es selten, dass ich beim Weiterlesen enttäuscht werde.
Je länger ein Beitrag ist, desto schwieriger wird es, den Leser bei sich zu behalten.

blickgewinkelt: Sind also Qualitätsmerkmale eines Textes universell oder richten sie sich nach aktuellen Bedürfnissen der Gesellschaft? Oder anders gefragt: Wäre ein heutiger Tolstoi berühmt?

Johannes: Oh je, jetzt hast du mich erwischt… ich fürchte ich habe noch gar keine Tolstoi gelesen… :)
Natürlich ändert sich das Konsumverhalten über die Jahre und es ist schwieriger als früher, ohne Ablenkung in einer Geschichte zu versinken. Gerade im Internet, das einlädt zu springen und zu überfliegen. Als Blogger ist es deshalb noch wichtiger, die Spannung/Faszination/Empathie hochzuhalten. Der Like-Button wird sehr schnell gedrückt, aber wieviel davon lesen tatsächlich einen Beitrag? Ich tue es seltener, als ich es für richtig halte. Grundsätzlich, um die Frage zu beantworten: Ja, ich glaube viele Autoren von Klassikern wären heute auch berühmt, denn sie verstehen es, unterhaltsam wie auch gehaltvoll Geschichten zu erzählen. Und diese Kombination ist richtig schwer.

blickgewinkelt: Wie gehst du persönlich an einen Text heran: Nutzt Du einen klassischen Aufbau als Handwerk und hangelst Dich daran entlang oder machst Du Freestyle – et kütt wie et kütt – und polierst hinterher, was Dir aus dem Hirn gekommen ist?

Johannes: Ich starte meistens mit einer Überschrift, oder einem Anfangssatz, der mir im Kopf herumspukt. Wenn ich eines von beiden habe ergibt sich die Story nach und nach – je mehr Zeit und Ruhe ich habe, desto besser wird es meistens. Ich habe ja kein Schreibhandwerk gelernt, dies ist einfach der Weg, wie es bei mir funktioniert.

blickgewinkelt: Mal technisch gefragt für all die schreibenden kleinen Nerds unter uns: Überschrift, erster Satz, erster Absatz, weiterer Inhalt und Schluss – zu wieviel Prozent sollte die Mühe jeweils in diese Abschnitte gesteckt werden?

Johannes: Untersuchungen zeigen, dass nach zwei, drei Sekunden die Hälfte der Leser abgesprungen sind, also ungefähr wenn sie das Titelfoto und die Überschrift erfasst haben. Das wiederholt sich noch einmal nach dem ersten Absatz bzw. der Intro. Hier muss also maximal Interesse geweckt werden. Die Leser, die dann noch dabei sind (und das sind gar nicht viele) sind dazu geneigt, dem Beitrag etwa eine Minute Zeit zu schenken – in diesem Teil kann man also inhaltlich wichtige, aber nicht allzu packende Informationen unterbringen. Über den weiteren Verlauf kann die Geschichte entwickelt werden, bis hin zu einem hoffentlich sinnstiftenden oder überraschenden Schluss, der den Text abrundet. Deutlich weniger als zehn Prozent der Leser kommt hier durchschnittlich an. Für eine gute Story ist der Start also extrem wichtig, um den Leser davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, Zeit zu investieren.

blickgewinkelt: Welche Texte fesseln Dich persönlich und was würdest Du mir als erstes raten, worauf ich achten sollte, wenn ich meine Texte verbessern möchte?

Johannes: Ich mag es, wenn ich überrascht werde. Gerade bei Reiseblogs steht viel zu selten eine Idee hinter einem Text, der Wille eine echte Geschichte zu erzählen, ob als Text, Fotostory oder Video (so kurz sie auch sein mögen!). Wenn ich eine reine Abfolge von Erlebnissen vor mir habe, bin ich schnell gelangweilt. Wenn ich einfallslose Formulierungen lese, bin ich raus. Was mich begeistert sind persönliche Gedanken, literarische Experimente und sonstige Verrücktheiten (selbst wenn sie nicht funktionieren)!

blickgewinkelt: Das Abrunden dieses Textes überlasse ich jetzt ganz geschickt Dir. Was möchtest Du noch loswerden? 

Johannes: Gute Geschichten zu schreiben bedeutet nicht, auch eine große Reichweite aufzubauen. Sie sind fast immer ein Graus für Suchmaschinenoptimierer. Wer mit einem Blog Geld verdienen möchte, sollte sich unbedingt auf nützliche Themen konzentrieren, und Informationen gut strukturiert präsentieren. Das sind Webseiten, für die das Internet ideal geeignet ist. Dazu habe ich allerdings keine Expertise, exzellente Hilfe ist aber nicht schwer zu finden.
Alle, die mehr Lust haben sich im weiten Feld zwischen Journalismus und literarischen Reisegeschichten zu betätigen, brauchen dazu eine gehörige Portion Lust und Idealismus. Ich möchte sie aber sehr herzlich zum nächsten Schreibwettbewerb einladen, den wir im Laufe des ersten Halbjahrs 2017 für den dritten Band der Travel Episodes veranstalten werden. Der Gewinnerin des ersten Wettbewerbs, Nadine Pungs, wurde über den Gewinn der Veröffentlichung in unserem Buch hinaus sogar ein eigener Buchvertrag angeboten! Neben der Befriedigung, etwas Schönes geschaffen zu haben, ist es also durchaus möglich, weithin sichtbaren Erfolg zu haben. Ich freue mich auf jede Menge Lesestoff (und gute Überschriften)! ;)

Ganz herzlichen Dank, Johannes, für das Gespräch und Deine Antworten. Wer darüber weiter nachdenken möchte, dem seien die Ausgaben der „Travel Episodes“ schwer empfohlen. Ich selbst werde mich vermutlich einmal wieder nicht trauen, am Wettbewerb für das dritte Buch teilzunehmen, die Messlatte liegt ziemlich hoch. Den wirklich tollen Gewinnertext von letztem Jahr von Nadine Pungs könnt Ihr bei SpOn nachlesen.  

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