An Hannover habe ich nicht sehr viele Erinnerungen. Ich weiß noch, dass wir früher regelmäßig zum Feiern in die „Röhre“ gefahren sind, diesen herrlich versifften Club, wo man abrocken und sich fühlen konnte wie das coolste Stück Scheiße dieser Welt, mit einem Bier in der Hand und ganz ohne Shit, denn trotz meiner Teenagerjahre in der damaligen Drogenhochburg Deutschlands (meine Heimatstadt Wolfsburg belegte damals regelmäßig Platz 2 direkt hinter Frankfurt am Main) oder vielleicht auch gerade deswegen war ich gegen Koks, „Schore“, wie Heroin bei uns genannt wurde, und sogar gegen das Kiffen, denn das vertrug ich einfach nicht und kannte zu viele Leute, die davon nur noch dicht und bräsig in der Gegend rumhingen. Ich wollte meinen Kopf aber nicht vernebeln, jedenfalls nicht ganz, ich wollte politisch aktiv sein und die Welt verändern, wie das eben so in den 80ern/90ern war.

Café Glocksee Hannover

„Die Glocksee“: Kreativviertel, Jungendzentrum und alternatives Wohnviertel

An den „Kröpke“ kann ich mich noch erinnern, diesen zentralen Platz in der Mitte Hannovers, der für mich vor allem aus dieser super abgeranzten Unterführung mit den vielen kleinen Läden bestand, nahe des Bahnhofs, wo ich mich ohnehin nicht gerne herumtrieb, denn dort wurde ich immer von abgewichsten Dealern angesprochen, oder von Leuten, die dringend etwas in der Richtung brauchten. Als offensichtliche Linke wähnte man mich zur Szene zugehörig. Doch links war eben nicht nur Drogen nehmen, Glatzen klatschen und Steine werfen, diese Einstellung machte mich damals dauerwütend, und mit diesem Groll und dem ganzen anderen Depressionsmüll der späten Teenagerjahre trieb ich mich herum, in Wolfsburg, Braunschweig, und manchmal eben in Hannover.

Zum zweiten Mal innerhalb der letzten 12 Monate bin ich nun in Hannover, der Hauptstadt Niedersachsens, die vielen als hässliches Entlein Niedersachsens gilt. Dabei stimmt das gar nicht, Salzgitter ist viel schlimmer, das könnt Ihr mir glauben.
Ich bin zu kurz hier, um in das heutige Hannover einzutauchen, ich bin zu müde, weil ich die letzten Monate extrem viel gearbeitet habe und das Wetter ist zu blöde, um das Rundum-Paket vernünftig zu genießen, was mir hier geboten wird.
Die Stadtführung haut mich nicht vom Hocker, was das Thema Street-Art angeht, aber das alte Ihme-Zentrum finde ich super spannend, es erinnert mich witzigerweise an einen Neubau in Berlin: das gehasst und gehypte Lokdepot an der Monumentenbrücke in Schöneberg.

Ihme Zentrum Hannover

Das Ihme Zentrum Hannover ist heute heruntergekommen, aber architektonisch immer noch spannend. In den 60er Jahren konstruierte man hier eine „Stadt in der Stadt“.

Lokdepot Berlin

Zum Vergleich das Lokdepot in Berlin-Schöneberg, erbaut 2014 im Fabrik-Loft-Stil.

Ich sehe einen alten Bunker, der noch voller Einschusslöcher ist, erfahre, wo sich in Hannover die SPD nach den Nazi-Gruseljahren neu gegründet hat und muss an meinen Großvater denken, der sich in Wolfsburg zur ersten Wahl der Nachkriegszeit für die SPD aufstellen ließ. Seine Werbezettel für den Wahlkampf, die ich eines Tages in einem Wolfsburger Museum wiederfand, lesen sich wie das Pamphlet eines tiefroten Sozialisten – für die Sozialdemokraten wohlgemerkt.
Die Wahl anno 1948 wurde übrigens später annulliert: 60% der Wolfsburger hatten tiefbraun gewählt.
Das war in Hannover anders, die SPD hatte die Mehrheit. 1947 wurde hier von Augstein das Magazin Der Spiegel gegründet. So nahe sich diese beiden Städte geografisch sind, so unterschiedlich anscheinend die Bewohner.

Bunker Hannover

Einschusslöcher in einem Bunker in Hannover.

Der Tag fliegt an mir vorbei, die schöne Cumberlandsche Galerie bleibt im Gedächtnis, Brombeeren am Wegesrand, die mal wieder von den Großstädtern nicht gegessen werden, obwohl sie frei Haus sind. Sowas werde ich ja nie verstehen.

Cumberlandsche Galerie Hannover

Das wunderschöne Treppenhaus ist das einzige Überbleibsel der Cumberlandschen Galerie, in der heute Lesungen und Theateraufführungen stattfinden.

Den Zoobesuch lasse ich aus, schon bei meinem letzten Hannoverbesuch habe ich den Erlebnis Zoo Hannover kritisch beäugt, und auch wenn ich das Terrain superschön gemacht finde, ich kann mich mit dem Konzept Zoo einfach nicht anfreunden, schon gar nicht, wenn es Raub- oder Großtiere beinhaltet. Passenderweise finde ich auf dem Klo im Biergarten Gretchen, auf dem Gelände der alten Bettfedernfabrik, das Gedicht „Der Panther“ von Rilke:

„Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“

Der Panther von Rilke

Der Panther von Rilke, verewigt an einer Klotür vom Biergarten Gretchen

„Was darf’s denn sein?“ fragt mich der süße junge Kellner hinter dem Vorzeigeküchentresen im Frühstücksraum des Crown Plaza Hotels. Ich zögere. „Einen… Pfannkuchen?“ frage ich vorsichtig.
„Einen Eierkuchen?“ korrigiert er mich fragend, und erst da fällt es mir wieder ein. „Natürlich. Eierkuchen.“
Ich bin durcheinander gekommen. Berlin, Niedersachsen, nicht gerade eine Soße, ich lebe heute länger in Berlin, als ich in Niedersachsen gelebt habe. Kurz durchströmt mich ein Kindheitsgefühl, wohlig und warm, geborgen und mit einer Langsamkeit, die es nur in Kindheitserinnerungen gibt. Ich habe die Dinger früher nie gemocht, die Eier- oder Pfannkuchen, jedenfalls nicht besonders, glaube ich. Aber sie waren von Mami, die nicht besonders gut kochen konnte und es auch nicht gerne tat, glaube ich, aber sie machte das uns zuliebe. Wohlig warm.
Heute liebe ich Eierkuchen, weil der Mann sie regelmäßig macht – es gibt keine besseren. So ändern sich die Zeiten.
Auf Wunsch bekomme ich jetzt einen winzigen Eierpfannkuchen, weil ich eigentlich schon satt bin, mir aber nicht verkneifen kann, direkt an der Hotelküche etwas zu bestellen. Mit Ahornsirup im Extratässchen, einer Physalis und Blaubeeren dazu. Ich bin selten genug in Hotels mit Showküche und liebe solchen Kram. Das Frühstück ziehe ich einfach noch eine Stunde in die Länge.

Städtische Bäder Hannover

Die wunderschöne Klinkerfassade der alten Städtischen Bäder beherberg heute das „Theater am Küchengarten“

Die letzte Erinnerung an das damalige Hannover stammt aus dem Jahr 1999. Ich kam von einer prägenden, langen Tanzania-Reise zurück und machte in Hannover Zwischenstation, um zwei meiner Kommilitonen zu treffen, die früher zurückgereist waren, ich hatte noch eine Zeit auf Sansibar verbracht. Wir saßen in einem Bahnhofscafé zwischen lärmenden Bauarbeiten, alle Straßen waren wegen der EXPO 2000 aufgerissen, Hannover machte einen kompletten Relaunch für das Spektakel.
Nichts ist mehr da von dem Bahnhof, den ich kannte, vom Kröpke und drumherum, die angeranzten Läden weg und auch die Dealer sind verschwunden. Aber das interessierte mich damals nicht, wichtig waren mir nur unsere verschworenen Blicke. Wir hatten schwarze Kinder weinen sehen, weil die noch nie Weiße gesehen hatten, und waren 18 Stunden lang auf einem Truck mit 35 anderen Leuten durch den tanzanischen Busch gefahren. Das machte uns bescheuerterweise stolz, wir fühlten uns wie Entdecker und jeder einzelne von uns wäre sofort wieder losgezogen, hätten wir die Möglichkeit gesehen. Dass mein auserkorener Reiseflirt eigentlich liiert war, machte die ganze Reise nur noch aufregender.

Quallen-Kunst

Kunst?

Nicht an die Fakten der Stadtgeschichte werde ich mich erinnern, oder an die schönen Häuser in der Altstadt, nicht an den perfekt gerührten Pimm’s Cup am Maschsee oder die Wandmalereien in der Glocksee. Auch nicht an das Essen, was entweder besser ist als früher oder ich habe nur mehr Geld in der Tasche, um es zu bezahlen.
Es sind die menschelnden Geschichten, die Gesichter, die ich mit meinen hannoverschen Erinnerungsorten verbinde. Janett, Anja, Oliver, Sina und all die anderen: War schön mit Euch, danke für diese Reise.

Cumberlandsche Galerie Hannover

Reisebloggertreffen in der Cumberlandschen Galerie

TTT – TierischeTouriTipps

Die Tipps sind heute wahrlich keine Geheimtipps, aber vielleicht machen sie Lust, die alternativen Sehenswürdigkeiten anzuschauen:

Unterkommen

Dieses Mal haben wir wirklich sehr schön im Crown Plaza aka Schweizer Hof genächtigt: Schlichter Stil mit viel Weiß, hellem Holz und schönen Möbeln. Nicht nur das Frühstück ist erstklassig, auch Abendessen sollte man sich hier nicht entgehen lassen. Die Bar am Abend ist perfekt für einen Absacker, wenn man wie ich zu müde und zu faul ist, sich eine anderweitige Location zu suchen. Das Hotel befindet sich fünf Laufminuten vom Bahnhof entfernt in der Hinueberstraße 6.

Unternehmen

Stadtführung auf eigene Faust / Der rote Faden: Hannover hat sich etwas wirklich Gutes einfallen lassen, das hoffentlich bald andere Städte nachahmen. Man fragt sich, wieso da früher noch niemand drauf gekommen ist: Der rote Faden. Dieser verläuft über vier Kilometer durch die Stadt und führt an vielen Sehenswürdigkeiten vorbei. Bei der Touristeninfo bekommen man für drei Euro eine Broschüre dazu.

Roter Faden Hannover

Der rote Faden ist tatsächlich eine rote Linie, die auf 4 Kilometern durch die Stadt führt.

Das Neue Rathaus: Das neue Rathaus sieht eher aus wie ein Schloss, stammt aus dem 19. Jahrhundert und besitzt einen Bogenfahrstuhl, mit dem man auf die 97 Meter hohe Aussichtsplattform fahren und eine sehr hübsche Aussicht genießen kann. Ja, korrekt, Bogenfahrstuhl, der fährt in der Tat im Bogen nach oben. Schräges Teil (der musste jetzt sein). Die Fahrt kostet für Erwachsene drei Euro, Öffnungszeiten stehen auf der entsprechenden Seite des Hannover Tourismus.

Der Panther von Rilke

Das Neue Rathaus Hannover stammt aus dem 19. Jahrhundert

Aussicht neues Rathaus Hannover

Aussicht vom neuen Rathaus Hannover

Maschsee: Ein Spaziergang am Stadtsee ist bei schönem Wetter Pflicht. Der Maschsee ist Hannovers ganzer Grünstadtstolz – zu recht, rundum ist er wirklich hübsch, man kann Tretboot fahren oder sich auf ein Getränk niederlassen, vielleicht auf einen Kaffee von den Bio-Kaffee-Jungs, die hier häufiger mit ihrem kleinen Wagen stehen. Der See ist übrigens ziemlich flach, man kann theoretisch hindurchwaten. Er war ursprünglich eine ABM der Nazis, um die hohe Arbeitslosigkeit einzudämmen. Die Idee, aus dem ohnehin häufig überfluteten Gebiet einen Soll-Flut-See für das Überflutungswasser der Ihme zu kreieren, bestand allerdings schon vorher.

Maschsee Hannover

Der Maschsee Hannover ist beliebter Stadtsee und Naherholungsgebiet.

Die Nanas: Natürlich muss man eigentlich die Nanas bewundern, bei meinem Besuch ist mir leider keine entgegengelaufen. Die überdimensionierten dicken und bunten Figuren wurden von der Künstlerin Niki de Saint Phalle kreiert, verbildlichen moderne, selbstbewusste Frauen und haben für kontroverse Gespräche gesorgt, an die sogar ich mich noch in meiner Kindheit erinnern kann. Ich finde sie toll, in ihrer Bedeutung sind sie – leider – zeitlos, das Thema Frauenselbstbewusstsein ist noch genauso aktuell wie in den 70ern. Die drei Figuren stehen am Leipnitzupfer gegenüber des Historischen Museums.

Das Schauspielhaus: Von der Cumberlandschen Galerie des Schauspiel Hannover war ich tatsächlich sehr begeistert, so ein unglaublich schönes Gebäude. Wer die Chance hat, sollte es sich anschauen oder besucht vielleicht gleich eine der Vorstellungen.

Bettfedernfabrik: Die alte Bettfedernfabrik ist heute das Kulturzentrum Faust mit diversen Räumen für Kreative mit Kultur- und Bildungseinrichtungen und dem Biergarten Gretchen. Sehenswert ist die bemalte Gasse „Zur Bettfedernfabrik“.

Zur Bettfedernfabrik - Kulturzentrum Faust Hannover

Die ehemalige Bettenfabrik ist heute das bunte Kulturzentrum Faust.

Ihme-Zentrum und Glocksee: Von der Bettenfabrik ist es nur ein kurzer Spaziergang (-> Google-Map) zum Ihme-Zentrum. Das einst moderne Wohnzentrum verfällt heute und es finden sich keine Investoren, die sich aktiv um Lösungen bemühen. Von hier aus führt eine Fußgängerbrücke rüber zur Glocksee, dem kleinen Alternativviertel Hannovers, das bunt und erstaunlich aufgeräumt wirkt.

Einkehren

Das Café Mezzo direkt hinter dem Hauptbahnhof ist ein absolutes Muss und weit mehr als ein Café. Das Essen bei extrem fairen Preisen hat mich absolut überzeugt.

Herzlichen Dank an Hannover Tourismus und das Crown Plaza für die Unterstützung dieses Wochenend-Ausfluges. Besonderen Dank an Anja von Travelontoast und Janett von Teilzeitreisender für die Organisation.