Seit neuester Zeit gibt es den Trend der „Sapiosexualität„, der sich allein auf die Sexyness des Intellekts beruft. Die Anhänger behaupten, die Attraktivität des Gegenüber von keiner Körperlichkeit abhängig zu machen.
Wenn ich dieser Tage meines 40+ Lebens in den Spiegel gucke, werde ich zunehmend Fan dieses Trends, außerdem ist er irgendwie herrlich erfrischend zwischen all dem Gewese, was derzeit um die Schönheit des menschlichen Körpers gemacht wird. Ja, reden wir heute doch mal übers Oberflächliche, den Augenschein und die Beziehung zum Körper. Status: Es ist kompliziert.
A propos Gewese: 60 % der heutigen 20-jährigen Frauen wünschen sich laut einer Umfrage den Körper ihrer Freundin. Das ist erschreckend, bedauerlich und eigentlich auch ein bisschen komisch, denn ich könnte ja wetten, dass von den begehrten Freundinnen sich wiederum mindestens 60 % das gleiche wünschen.
Als kürzlich Fee die Blogparade „Mein Körper & ich“ ins Leben rief, hatte ich diesen Text schon zur Hälfte geschrieben, reiner Zufall. Ich wollte mich aufregen und dann auch wieder nicht. Und jetzt ist quasi die Gelegenheit dazu, mich doch aufzuregen, jedenfalls ein bisschen.
Heute geht es also um: Mich. Meinen Körper, die Körper von anderen, um Speckröllchen und vor allem um einen riesigen Komplex, den ich heute endlich einmal ausspreche. Es geht um political correctness, Diskriminierungsgefühle und die Kommunikation zwischen dick & dünn schlank nicht dick.
Erst aber einmal zurück, zurück zur Sapiosexualität, der Reduzierung auf den Intellekt und zu meinen frühen Jahren, denn tatsächlich hatte ich so eine Phase schon einmal: Während meiner Teenagerzeit.
Die Selbstliebe in Zeiten des Teenagers – Sapiosexualität als Ausweg
Ja, ich war ein trauriger politischer Teenager, und wenn schon mein Körper nicht dazu geeignet war, mein Selbstbewusstsein zu stärken, dann besorgte ich es mir eben intellektuell.
Während sich die Jungs gefühlt aufs Coolsein und die Mädels sich auf wachsende Oberweite und Jungs konzentrierten, hatte ich als Pickelface der Schule keinen Anlass zum Lernen des Lambada-Hüftschwungs – mit mir hätte sowieso niemand tanzen wollen.
Also zog ich mich zurück in den Aktionismus einer jungpolitischen punkigen Alternativen, war im Stadtschülerrat tätig, organisierte Kongresse, saß in Stadtratssitzungen, um bei Gelegenheit Protestplakate hochzuhalten („Spielplätze statt Parkplätze!“, „Einweg ist kein Weg!“) gründete Aktionsbündnisse, ein Frauencafe und verbrachte meine sonstige freie Zeit im autonomen Jugendhaus der Stadt (und kann heute noch nicht glauben, dass ich das alles auf Reihe gekriegt habe – oh Himmel gib mir den Elan von damals!).
Ja, ich war ein trauriger politischer Teenager, und wenn schon mein Körper nicht dazu geeignet war, mein Selbstbewusstsein zu stärken, dann besorgte ich es mir eben intellektuell, und das tat ich ekzessiv. Sex und Liebe waren dennoch möglich, auch ohne dass ich meinen Körper sonderlich mochte. Aber er funktionierte, wenigstens einigermaßen (in Sport war ich allerdings eine mega Niete, weil ich Angst vor Bällen hatte. Vor Bällen!).
Obwohl die Pickel irgendwann zu einem großen Teil verschwanden (was ich damals natürlich nicht so sah), mein Körper durch vermutlich gute Anlagen und Fahrradfahren und Schwimmen schlank und gut proportioniert war und ich nie lange solo blieb, dauerte es bis weit in die 20er, bis ich kapierte, dass ich für Männer attraktiv war – mit den Abstrichen, die ein Frauenzimmerchen in Kauf nehmen muss, wenn sie sich etwas auf ihr Gehirn einbildet oder das gar ab und an benutzt.
Die 20er und 30er Jahre
Ich musste doch als linksintellektuelle Feministin ein bisschen dick sein, um dem gängigen, patriarchal-aufoktroierten und sowieso bestimmt ungesunden Schönheitsideal zu trotzen!
Neben der dankbaren Figur und meiner ohnehin nicht sonderlich ausgeprägten Fixierung aufs Äußerliche konnte ich dann die 20er und 30er körperlich ganz gut genießen. Ich hatte beschlossen, Spaß zu haben und versuchte, meine Probleme und vermeindliche Unzulänglichkeiten einfach nicht ernst zu nehmen. Allerdings gab es da diese immer wiederkehrenden Momente in weiblich geprägten Gesprächsrunden… und die habe ich aus vollem Herzen gehasst.
In aller Regelmäßigkeit klagten da Frauen und Freundinnen ihr Leid über Körperlichkeiten, die ich sehr wohl nachvollziehen konnte. Ein Körper ist nunmal nicht perfekt, meiner war es mitnichten: Mein Gesicht einfach nicht schön, meine Poren immer noch zu groß und verpickelt, meine Menstruation schrecklich schmerzhaft, eine den gesamten Körper überziehende Haarpracht (und lästigen Nebenwirkungen diverser billig-Rasurprodukte), die jedem Typen Ehre gebracht hätte, meine weißen Haare (ich bin seit Mitte 20 „komplett ergraut“, wie Frau Frisörin das so hübsch nennt), gelbe Zähne, rundes Gesicht, eine tiefe Stirnfalte, die ich schon früh bekam (ich taufte sie „Sokrates“), Rückenschmerzen und Knieproblemen, ohja, ich konnte ein Lied…
„Was willst Du denn, DU hast doch gar keine Probleme.“
„Hab Du mal 10 Kilo mehr auf den Rippen, DANN weißt Du, was Probleme sind!“
„Mit Dir will doch eh jeder Typ f*****, was verstehst Du denn von wirklichen Problemen.“
Aha. Weil mich Typen durchnudeln wollten und ich nur 53 Kilo auf die Waage brachte, hatte ich also keine Probleme, oder besser: Ich durfte gar keine haben. Schon gar nicht durfte ich mich an diesen Gesprächen beteiligen, und eigentlich galt das meistens bei denen, die sich als zu dick betrachteten (oder, natürlich, von der Gesellschaft so gesehen wurden). Ich konnte ja gar keine Probleme haben, wenn ich nicht dick war. Und auch nicht unterversorgt. Und andersherum galt: Welche Frau dick (und ganz sicher deshalb!) nicht mit Typen „gesegnet“ war, die hatte ein Problem.
Und es ging noch einen Zacken schärfer: Ich musste doch als linksintellektuelle Feministin ein bisschen dick sein, um dem gängigen, patriarchal-aufoktroierten und sowieso bestimmt ungesunden Schönheitsideal zu trotzen! (Ja, Ihr dürft Euch jetzt ein Bier holen und ein bisschen abfeiern.) Ich musste ein schlechtes Gewissen haben, dass ich aussah mein Körper von der Form her aussah wie aus der kapitalistischen Werbung geschlüpft! (Das war ein bisschen so wie der damals nicht ungängige Vorwurf, dass echte Sozialdemokraten kein Haus besitzen dürfen.)
Damals dünkte mir irgendwie, dass da irgendwas nicht stimmt, aber so richtig wusste ich das nicht in Worte zu fassen. Ich begnügte mich damit, meinen Mund zu halten, ziemlich sauer auf Jungs zu werden, die ich für das Übel verantwortlich machte, nur selten über meine Körperproblemchenzonen zu reden und Problematiken eher zu verdrängen. Tatsächlich gab es ja auch Wichtigeres auf der Welt und mittlerweile war die Bleichcreme für Körperhaare erfunden worden. Etwas wirklich Hübsches habe ich allerdings nie gelernt aus mir zu machen.
Und ich höre Dich gerade denken: „Die kokettiert doch nur! Dieses krasse Bild da oben, voll selbstdarstellerisch. Da sieht man ja sogar Nippel! Also dann darf sie ihren Mund aber echt gar nicht aufmachen.“ Bissl erwischt, oder?
Das ist genau das, worüber ich hier rede. Das Bild oben ist in einer Zeit entstanden, in der ich beschlossen hatte, dass ich meinen Körper toll finden darf (und da war ich schon über 30, herrjee). Entstanden ist es während einer ziemlich betrunkenen Selbstportraitsession (-> hier bitte ein dreckiges tiefes Lachen hindenken, so eine Stimme wollte ich schon immer haben). Dennoch fand ich mich damals mitnichten „geil“, und dass mein Gesicht nicht zu sehen ist, ist kein Zufall. Nur weil da in einem Moment ein cooles Bild von einem Menschen entsteht, darf man demjenigen nicht bestimmte Gefühle absprechen. Das ist genauso dämlich wie „Dicke sind faul“ zu sagen.
Und überhaupt kann ich Euch nur raten: Rennt sofort los und macht Selbstportraits! Klappt Euer Laptop zu, legt diesen Artikel weg und holt die Kamera. Ihr werdet nie wieder so toll aussehen wie heute! Egal, wie Ihr Euch jetzt findet, in 10 Jahren freut Ihr Euch ’nen Keks drüber und denkt „Mensch, ich war ja doch schon ne ziemlich heiße Schnitte / nen ziemlich heißer Kerl“.
Heute
Der Arsch ist schon längst nicht mehr das, was er mal war, mein Knie macht dafür dessen Namen alle Ehre.
Heute schockiert es mich, wenn eine bekannte, schlanke Bloggerin megamäßig angekackt wird, dass sie ja null nachvollziehen könne, wie es sei, „echte“ Probleme mit der Figur zu haben. Die Bloggerin hatte es gewagt, einen Personal Trainer zu engagieren und öffentlich zu verkünden, sie sei unzufrieden, alles würde nun mit 30+ ein bisschen hängen und sie würde gerne Muskeln entwickeln. Der kleine Shitstorm war immerhin so penetrant, dass sie sich genötigt sah, das Posting auf Facebook sowie Kommentare auf ihrem Blog zu löschen.
Muskelaufbau – ja! Muskeln sind gesund! Und wichtig, um Energie zu haben und die Knochen für das Alter zu schonen! Und auch wenn man schlank ist: Wenn das Alter kommt, fängt alles an zu hängen, und man bekommt Dellen, und Winkearme, trotz Schlankheit!
Und sowieso: Nicht am Speck hängt das Übel der Welt! Auch schlanke Frauen dürfen unzufrieden sein und brauchen nicht gleich einen Shitstorm von Dicken!
So! Das musste jetzt echt mal raus.
Stehe ich heute vor dem Spiegel, maule ich mindestens wieder über meinen Körper wie in Teenagerzeiten, nur die Problemchen sind andere: Die Muskeln werden schlapp, das Fleisch wird weich, die Taille verschwindet so langsam, die Wangen hängen, mich fragen Kollegen, welchen Ärger ich hatte, wegen meiner Stirnfalte, die sich so tief eingemeißelt hat, dass ich sie mittlerweile Sokrates plus Zwilling nennen müsste. Die ersten Dellen kommen, oje, und ich habe erst neulich entdeckt, dass ich kleine Wurstfalten am Ohr entwickle. Am Ohr!
Der Arsch ist schon längst nicht mehr das, was er mal war, mein Knie macht dafür dessen Namen alle Ehre und mein Gesicht erkenne ich kaum noch wieder („Ich kenn Dich nicht und wasch Dich trotzdem.“). Ich musste mir im letzten Jahr zweimal neue Hosen kaufen, weil ich in die Alten nicht mehr reinpasse und achte deshalb mittlerweile aufs Essen (ohgott! was für eine Strafe!). Die Füße machen bei Wanderungen Probleme und ich habe irgendwelche Unverträglichkeiten entwickelt, was wohl auf die Hormonumstellung zurückzuführen ist.
Ich habe mir erst vor wenigen Wochen von einer Freundin die Grundregeln des Schminkens beibringen lassen (was mit 40 ein bisschen peinlich ist, aber sie versteht mich (danke Snu!)), und wenn der Lack ab ist, ist es vielleicht Zeit, mal nachzuhelfen oder es wenigstens theoretisch zu können.
Es lebe das Altern. Meine Titten sind allerdings immer noch großartig.
Mit all dem ganzen Gelaber will ich sagen
Wir müssen unseren Körper nicht lieben, wir müssen ihn ja nicht heiraten. Wir müssen nur mit ihm leben.
Du, die Du ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hast: Komm damit klar oder rede mit mir darüber auf Augenhöhe. Ich habe echt keinen Bock mehr auf schlechtes Gewissen, weil ich was an mir nicht mag und nicht dick bin. Das ist so Banane. Ich wiederum werde versuchen, meinen Komplex nicht über Dir auszukippen. (Was ich natürlich gerade getan habe, aber Schreibtherapie und so, weißt schon…)
Ja, ich finde diese Knochengestelle in Werbung und Schaufenstern auch echt zum Göbeln. Aber die gefühlt ständige Lamentiererei über die „Diskriminierung von Dicken“ geht mir ehrlich gesagt auch ziemlich auf den Senkel. Manchmal dünkt mir, dass das Thema ein bisschen höher gehängt wird als es notwendig wäre.
Zu sagen „das ist ein No-Go“ IST ein No-Go (ich hasse diesen Ausdruck zutiefst!). Lasst uns Spaß haben und uns zeigen! Sind die Röllchen nervig, EGAL! Lasst uns über die Sachen freuen, die wir an uns mögen (Sommersprossen/Haut/Lippen/Brüste/Füße) oder unseren Garten oder Charakter.
Lästert, worüber Ihr wollt. Lästern ist normal, lästern ist menschlich und beizeiten witzig. Ja, ich lästere. Über rote Hosen. Über beschissene Babynamen. Über hässliche Tattoos oder, ja, über Speckfalten. Über meine Haare und mein faltiges Gesicht. Über hässliche Einrichtungen, peinliche Autos. Über Geschmacksdinge. Ich darf eine Meinung haben und mag nunmal das Mittelmaß, in fast jeder Hinsicht. Und ich bitte an dieser Stelle, „Lästern“ als privat, unverletzend und nicht mobbend zu verstehen, loggisch, oder? Aber die Welt geht nicht unter, weil man lästert, außerdem ist es einfach nicht wichtig. Über Speckfalten zu lästern ist ungefähr genauso wesentlich wie über ’ne hässliche Vase.
Ich glaube daran, dass ich auch mit 20 Kilo mehr der gleiche Mensch wäre. Ein paar charakterlose Erfahrungen mehr oder weniger, ja sicher. Geändert hätten die meine Ansicht zu mir und meiner Körperlichkeit aber nicht. Ich glaube daran, dass Charakter und Ausstrahlung vom Intellekt bestimmt werden (und von Hormonen).
Wir müssen unsere Körper nicht lieben! Dieses – sorry – vielfach wiederholte Geseiere geht mir ein bisschen auf den Keks. Ich bin meinem Körper oft genug dankbar und ich hasse ihn manchmal. Ich treffe Entscheidungen, ob ich etwas an ihm ändern möchte (durch Ernährung oder Sport) oder eben nicht. Oder ich kann etwas nicht ändern, oder ich bin zu faul dazu. Dann seiere ich über meinen blöden Körper und bin vielleicht ein bisschen unglücklich, und das ist auch völlig ok so, denn ich muss ihn ja nicht heiraten, ich muss nur mit ihm leben.
Manche Menschen müssen ständig Ärzte aufsuchen. Krankheiten, Behinderungen sind nicht schön. Wir müssen das alles nicht lieben.
Ich mache mir (zu viele) Gedanken, ob ich die Winke-Ärmchen und die Oberschenkeldellen heute der Öffentlichkeit zeige oder nicht. Manchmal mag ichs nicht. Manchmal tu ichs.
Oder es mit des Mannes Worten zu sagen, die ich ganz treffend fand: Mach doch einfach nicht so ein Fass darüber auf.
Ich hoffe, dass vielleicht mal wieder mehr und allgemeine Lockerheit an den Tag gelegt wird, was den Körperkult angeht, FKK und Hautzeigebilder in sozialen Medien mit eingeschlossen. Diese Moralsherrifs, die da manchmal rumlaufen („das macht man nicht“), finde ich nämlich obergruselig. Und ich werde außerdem ab sofort wieder sapiosexuell. Jedenfalls ein bisschen.