Eine nette Unbekannte schrieb mich vor einiger Zeit an: Sie habe meine Fotos von Beelitz-Heilstätten gesehen, ob ich nicht Tipps für ähnliche Lost Places in Berlin für sie habe. Ich musste gestehen: Nicht wirklich, denn verlassen sind die meisten dieser Orte mittlerweile nicht mehr. Sie haben sich als ehemaliger Geheimtipp herumgesprochen, sind saniert oder streng abgeriegelt mit Wachschutz und unfreundlichem Hund hinterm Stacheldraht.
Doch dann fiel mir der „Selbstmörderfriedhof“ im Grunewald Forst ein. Er ist heute kein wirklicher Geheimtipp mehr und ist auch in meinem Buch 52 Eskapaden in und rund um Berlin erwähnt. Dennoch ist er mit seiner interessanten Geschichte auch heute noch eine kleine Reise wert, liegt ziemlich verschollen mitten im Berliner Grunewald und eines der Gräber ist zudem ein ganz besonderes – jedenfalls für Hobby-Hippies wie mich.
Der „Selbstmörderfriedhof“
Offiziell als Friedhof Grunewald-Forst mehr oder weniger bekannt, geht der Name „Selbstmörderfriedhof“ oder auch „Friedhof der Unbestattbaren“ auf den Ursprung des Friedhofs zurück:
In den unruhigen und schwierigen Zeiten des 19. Jahrhunderts boten sich der Spandauer und Grunewald-Forst Lebensmüden als letzte Aktionsstätte an. Da die Havel eine ungünstige Unterströmung hat und in der nahe gelegenen Bucht von Schildhorn einen Knick macht, wurden zudem an dieser Stelle die Havelselbstmörder an Land gespült.
Da die Kirche Selbstmördern eine kirchliche Bestattung verweigerte und es bis 1920 ausschließlich kirchliche Friedhöfe gab, wurden die Leichname zunächst heimlich durch Angehörige auf einer Waldlichtung im Grunewald verbuddelt. Als die Entsorgung zunehmend auch für die zuständige Forstverwaltung zum Problem wurde, begrub diese ebenfalls, jedoch inoffiziell, die Toten an der bereits im Volksmund bekannten Stelle.
Die Quellen sprechen von unterschiedlichen Jahren, ab wann Bestattungen hier legal durchgeführt werden durften. Mal ist bereits von 1845 die Rede (was ich stark bezweifle), mal von 1920, als Groß-Berlin entstand und jeder Bezirk einen nicht-kirchlichen Friedhof bekam. Sicher ist: Spätestens 1920 wurde die Grunewald-Forst Bestattungsstätte ein offizieller Friedhof.
Von nun an wurde auch offiziell bestattet. Als „Schandacker“ angesehen, ließen sich jedoch in den Folgejahren recht wenige Menschen freiwillig dort bestatten; nicht zuletzt deshalb ist Eingeweihten der Friedhof nach wie vor als „Selbstmörderfriedhof“ bekannt.
Nico
Nico. Quelle: luizwoostock.blogspot.de |
Den Jüngeren heute vermutlich eher unbekannt, ist Nico, 1938 geboren als Christa Päffgen, Sängerin und Model, eine der bekanntesten Persönlichkeiten, die auf diesem Friedhof bestattet sind.
Die Mutter eines Sohnes, den sie mit Alain Delon gezeugt hat, Sexgöttin und Inspirationsquell für viele Musiker der Zeit (u.a. Affären mit Jim Morrison, Lou Reed; außerdem Kontakte zu Bob Dylan, Sängerin für Velvet Underground auf der berühmten Bananenplatte), sucht sich angeblich bereits mit 18 Jahren diesen „Friedhof der unglücklichen Melancholiker“ als letzte Ruhestätte für sich und ihre Mutter aus.
Wer weder die 60er noch 70er musikalischerweise mag, sollte auf das Experiment verzichten, sich die Musik reinzuziehen, persönlich würde ich es aber dringend empfehlen.
Eindrücke auf dem Friedhof Grunewald-Forst, dem Selbstmörderfriedhof
Der Ausflug führt quer durch den Grunewald Richtung Schildhorn. Der Friedhof liegt, vom S-Bahnhof Grunewald kommend, etwa auf gleicher Höhe wie der Teufelssee recht kurz vor der Havel. Sehr einfach zu finden ist er vom Schildhorn aus: Dem Schildhornweg folgend weist linker Hand bald ein Schild auf den Friedhof hin.
Willi Wohlberedt, Heimat- und Friedhofsforscher, war so begeistert von dem „schönsten Friedhof Berlins“, dass er sich hier ein Grab reservieren ließ. Nach seinem Tod bekam er von der Stadt ein Ehrengrab.
Heute ist der Friedhof etwas zugewuchert. Die Wege werden noch gepflegt, auf einigen Gräbern liegen sogar frische Blumen, die meisten Gräber sind jedoch offensichtlich nicht mehr in der Pflege von Angehörigen.
Die Stadtverwaltung überlegt, den Friedhof irgendwann einzuebnen.
1945 wurden einige Gefallene der letzten Kriegstage hier beerdigt. Nicht alle wurden identifiziert.
In der drittletzten Reihe finde ich das Grab von Nico.
Das Grab hat sich in den letzten Jahren geändert: Damals huldigten viele Fans mit kleinen Grabgaben, Fotos und vielen kleinen selbstgeschriebenen Zettelchen. Das passte damals zu den Erzählungen des Friedhofswärters, der von nächtlichen Fan-Besuchen am Grab Nicos berichtet. Ein ganzes Glashäuschen stand für die Zettelchen bereit. Auf einem eigens in Schutzfolie eingeschweißten Brief auf einer Steinvase, die aussieht wie ein kleiner Altar, konnte ich damals lesen:
„We came […] to see your grave when there is unfortunately no possibility to see you alive. We think back of you… with love.“
Heute ist davon leider wenig übrig, ich vermute, die Besuche haben etwas Überhand genommen und inzwischen wird das Grab regelmäßig geräumt, es sieht heute jedenfalls sehr ordentlich aus – schade eigentlich.
Auf dem Weg zurück durch den schönen Grunewald und am Forsthaus vorbei bleibt noch Zeit zum Sinnieren, Waldbaden und sich zu freuen, am Leben zu sein.
Mehr Sehenswürdigkeiten und spannende Orte im Grunewald habe ich in einem weiteren Artikel beschrieben: Der Grunewald: Tourentipps & Highlights |
Weitere spannende Orte, die es auf meine Lieblings-Liste geschafft haben (übrigens mit einem anderen, bisher noch ziemlich geheimen Friedhofs-Tipp), findet Ihr meinem neuen Buch Lieblingsplätze rund um Berlin im Gmeiner Verlag. Mein fünftes Buch in dieser Region war ein Herzensprojekt. |
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Dieser Artikel wurde im März 2023 aktualisiert.
Seit 15 Jahren ist Inka Redakteurin, Reisebloggerin und Autorin in Berlin und Brandenburg. Sie hat mehrere Reiseführer über die Region geschrieben und veröffentlicht ihre Tipps und Geschichten im Spiegel, Tagesspiegel und verschiedenen Magazinen. Außerdem Möchtegernentdeckerin, Liebhaberin der polaren Gebiete unserer Erde und abschweifend in der Welt. Hier Chefin vom Dienst.