Heute muss ich mich ein bisschen beeilen, denn es ist schon halb elf abends und ich bin betrunken.
Jaa, wieso, wieso, die bessere Frage ist doch: Wieso sind wir nicht alle die ganze Zeit besoffen, denn das lässt diese Zeit doch besser ertragen. Die Wahrheit aber ist: Ich habe nicht aus Frust die letzte Pulle Rotwein gekillt, sondern aus Freude. Manchmal gibt es sie ja noch, die kleinen aufblitzenden Momente aus einer Welt, die wie eine längst vergangene scheint.
Ich kam vorhin mit dem Mann vom alltäglichen Spaziergang zurück, und fand im Briefkasten DEN BRIEF.
Den Brief, auf den ich seit Monaten gewartet habe und nun eigentlich dachte, das ganze läge auf Eis für Monate. Doch da war er.
Rückblick
Im letzten Jahr bin ich ausgeraubt worden. Man hatte mir auf dem Postweg Bankkarte und Pin geklaut und ein brandneu angelegtes Konto leergeräumt, bei dem ich nicht einmal ahnte, dass es einen Dispokredit hatte. Viele tausende Euro. Mein Anwalt schmiss sich ins Zeug, doch die Bank machte dicht: Ich müsse zahlen. So ist das offensichtlich derzeit: Banken sparen sich die paar Cent einer 2-Faktor-Authentifizierung oder irgendeiner Sicherheitsmaßnahme. Dass ich nicht die einzige von den mittlerweile ca. 2000 Fällen allein in Berlin (!) bin, die auf dem Schaden sitzen bleibt, davon bin ich ziemlich überzeugt (auch wenn wohl üblicherweise die Banken zahlen). Ein Unding eigentlich.
Letzter Ausweg war ein Ombudsverfahren, heute kam der Bescheid: Ich habe 100%ig Recht bekommen, nicht einmal die Zinsen muss ich bezahlen.
Seltsames Flashback.
Der Raub und das, was danach kam, hat mir letztes Jahr einen waschechten Nervenzusammenbruch und ein paar Wochen Panikattacken beschert. Hat zu tun mit diversen Triggern aus meiner Kindheit, fehlendem Sicherheitsnetz und so.
Dennoch war mir bewusst, dass es andere Probleme auf der Welt gibt.
Zum Beispiel Corona.
Natürlich ist der Brief heute nicht zweitrangig gewesen. Im Gegenteil: In diesen Zeiten, wo ich nicht einmal ausrechnen möchte, wie viel Geld mir durch dieses beschissene Virus verloren gegangen ist, bin ich sehr froh.
Dennoch: Es ist ein Brief aus der vergangen Zeit. Ein Brief von der Zeit vorher. Da, wo die meisten viele von uns noch dachten, wir hätten uns in unserem Leben irgendwie eingerichtet. Dass nichts sicher ist, hat mich dieses Verfahren schon letztes Jahr gelehrt.
Noch viel deutlicher macht es das Coronavirus, das seine weiten, bösen Flügel ausbreitet und hämisch lacht:
Sieh her! Du dachtest, Du seist perfekt.
Du dachtest, Dein Leben sei sicher.
Du dachtest, Du hast ein Recht auf das, was Du Dir erarbeitest hast.
Einen Scheiß hast Du.
Ich kille jetzt meinen Wein, irgendwo zwischen Glück, Fatalismus und grandioser Unsicherheit.
Zooming
Unser derzeitiger Zustand war auch ein Thema unseres Berliner Reiseblogger-Stammtisches, der heute per Zoom virtuell stattfand. Einige wohnen alleine, andere sind zu Verwandten gefahren, wieder andere wohnen zu zweit, zu dritt. Uns allen geht’s gut, auch finanziell, das ist so schön zu hören. Dennoch: Viele haben festgestellt, dass sie unglaublich müde sind. Geschafft, groggy. Die Verarbeitung der Situation, die Unsicherheit fordert Energie.
Vielleicht können wir das erste Mal ein bisschen körperlich nachvollziehen, wie es sein muss, als Geflüchtete jeden Tag ins Ungewisse hineinzuleben. Warum Obdachlose Menschen keine Energie haben, das Leben in die Hand zu nehmen. Warum viele Menschen in ärgster Not so lethargisch sind.
Sorgen machen sich auch einige über drastisch beschnittene Grundrechte. Allein in Berlin hat die Polizei über 600 Anzeigen erstellt und Leute aus dem Park verjagt, die alleine lasen. Diskutiert wird derzeit, ob Handyprofile erstellt werden. Nicht nur ich finde das sehr gruselig.
Mecklenburg-Vorpommern hat schon seit ein paar Tagen die „Grenzen“ dicht gemacht, soll heißen, kein Tourist kommt mehr hinein. Die Prignitz hat jetzt nachgezogen, selbst zum Wochenend-Haus darf man nicht mehr fahren.
Das ist krass und ich verstehe ehrlich gesagt den Sinn überhaupt nicht. Gerade für Berliner:innen ist ein Ausflug nach Brandenburg immens wichtig, und umso mehr die Leute im Grünen sind, umso weniger müssen sich in Berlin die Straße teilen. Die wenigsten fahren vermutlich mit der Bahn ins Umland, ein Kontaktverbot existiert ja ohnehin.
Mir gefällt diese Entwicklung nicht, sie bereitet den Weg dafür, solche Verbote und Ortungen bei künftigen Ereignissen noch schneller umzusetzen. Dass so wenige Leute so kritisch dazu stehen, finde ich besorgniserregend und bin erleichtert, dass ich unter den Reisebloggerkolleg:innen nicht die einzige bin, die das schwierig findet.
Reisebloggerleben
Interessant war der Vergleich, was auf unseren Blogs noch so gelesen wird – und was nicht mehr:
Gar nicht mehr gehen alle Reiseberichte – Überraschung. Rezepte funktionieren super, bei mir sind es Berliner Spaziergänge und Nichtraucher werden – sehr löblich, ich wünsche allen gutes Durchhalten.
Und ich versteh ja, Pinguine sind echt super süße Tiere und so. Aber warum fragen sich jetzt auf einmal so viele Leute, wo Pinguine leben? Die Idee einer Reisebloggerin: Homeschooling! Das ist eine typische Grundschulfrage. Stimmt. Wenn das so ist, baue ich mal noch ein paar Bilder mit in den Artikel.
Heutige Learnings:
- Auf den deutschen Inseln sieht die Gesundheitsversorgung noch schlechter aus, als ich dachte, zum Beispiel wurde seit Jahren kein Kind mehr auf Sylt geboren. Schwangere müssen sicherheitshalber Woche vor Entbindungstermin die Insel verlassen.
Wie krass ist das denn. - Es gibt diverse Ideen für Klopapierersatz, zum Beispiel: Pfannkuchen! Das würde auch die Sache mit dem Mehl erklären.
- Biber nagen auch mal die falsche Seite des Baumes an. Der Biber, der sich hier in unserer Gegend breit gemacht hat und seit einiger Zeit versucht, ein kleines Nassgebiet aufzustauen, hat eine Quote von 70:30, was die Baumfällrichtung angeht. Heute spaziergängerisch empirisch festgestellt.
Jetzt hab ich die komplette Tüte Ostersüßigkeiten gegessen. Ups.