Bloggt alles anders. Oder?
Ich bin im letzten halben Jahr häufiger angesprochen worden, dass mein Blog sich so verändert habe. Nach dem Umzug von blogger.com zu WordPress hat es nicht nur ein „Pro“-Outfit bekommen, ich blogge auch anders, seltener. Zwar immer noch persönlich, aber weniger Blablablubb aus meinem Leben.
Das stimmt und es fehlt mir selber, das Blablablubb, denn wenn ich mich mit Bloggern verbandel, lese ich sowas bei anderen total gerne, meistens sogar noch lieber als geniale Reiseberichte, Bastelanleitungen, Fotoessays. Gesellschaftskritik. Ok, nein, es stimmt nicht ganz, ich lese das alles gerne, aber das Blablablubb gehört für mich zur Bloggerszene dazu. Mein Blablablubbmorgenkaffee sozusagen. Und deshalb mal ganz herzlichen Dank an alle, die damit nicht aufhören wie ich.

Die Zeit – ich habe doch keine Zeit!

Wenn ich Zeit hätte, also sagen wir 20 Prozent mehr Zeit für das Blog, dann würde es hier auf dem Blog erstmal nicht sehr viel anders aussehen, ich würde lediglich den ein oder anderen Bericht zusätzlich schaffen, hätte inzwischen sicherlich meine Rom-Reise verbloggt und meine weiteren Ausflüge in Brandenburg. Noch mehr über Bregenz. Und endlich über meine Besuche in einigen Townships in Südafrika. Und dann würde ich die Berichte, die ich schreibe, einfach noch besser schreiben. Bessere Fotos machen. Vielleicht vermehrt versuchen, den ein oder anderen Artikel und das ein oder andere Foto zu verkaufen, weil mir sowas irre Spaß macht.

Dünenzeit Zeitschrift

Wenn ich 30 Prozent mehr Zeit hätte, würde ich endlich meine Nicht-Reise-Rubriken mehr auffüllen, also über interessante Läden in Berlin berichten, mehr aus dem Garten und der Küche.
Wenn ich 50 Prozent mehr Zeit hätte, dann würde ich mir wieder gönnen, auch weniger Spannendes aus meinen Leben zu berichten. Alltägliches. Gedanken aus der Brandenburger Sandgrube. Übers Drachen steigen lassen am Wochenende, Brandenburger Schlangenfunde und Herbst-Schönheiten.

Wenn ich Zeit hätte, würde ich kritischer bloggen. Aber Kritik, gerade Schriftliche, klingt schnell nach schlichtem Missmut und Motzerei. Ich würde gerne haltbare Kritik schreiben, und für die bräuchte es Zeit. Provozieren macht Spaß, aber es soll ja auch Substanz haben.
Überhaupt Substanz. In all der Oberflächlichkeit dieses Blogs suche ich die Substanz, und dann kommt es mir fast schon Überheblich vor, mein Inka-Blablablubb zu verschriftlichen und in die Welt zu posten, denn das ist das Gegenteil von Relation oder wenigstens kommt es mir dann sehr falsch und substanzlos vor.

Wie auch immer: Ich habe keine 50 oder 30 oder 20 Prozent mehr, ich habe die wenige Zeit, die mir neben 4-Tage-Woche, Patchworkkindern und Haus mit Garten eben bleiben. Da wundert es mich manchmal, wenn Kooperationspartner bereits nach drei Wochen (!) ungeduldig nach „ihrem“ Artikel fragen. Haben die kein Leben? Ein Durchschnittsjournalist geht die üblichen 9 Monate mit seinem Artikel schwanger, aber der dumme kleine nichtbezahlte Blogger soll es bitte morgen liefern. Das macht mich deshalb so ein ganz kleines bissl sauer, weil ich enorm viel Zeit aufwende, um die – sehr wenigen – Kooperationen auszuwählen und mir außerdem sehr genau überlege, wie ein Artikel interessant wird. Auf 0815-Beschreibungen habe ich keine Lust und versuche immer, irgendein besonderes Thema zu finden, oder wenigstens einen interessanten Stil.
Was soll ich groß über Venedig schreiben, was noch nicht tausendfach beschrieben ist? Also habe ich mir die Idee mit den Postkarten ausgedacht. Alleine die Recherche nach den Postkarten dauerte mehrere Stunden. Nicht falsch verstehen übrigens: Venedig war keine Kooperation. Ich habe Venedig verbloggt, weil ’ne Bloggerin das bezaubernde Venedig nunmal verbloggt, wenn sie da ist, logisch, oder?
An einem durchschnittlichen Post arbeite ich mittlerweile zwei volle Tage, und das ist eher die Untergrenze.

Mehr Leben ins Leben pressen

Was sich also verändert hat seit letztem Jahr ist einerseits, dass ich mehr Zeit pro Artikel benötige und insgesamt aber weniger Zeit für das Blog aufwende, und das hatte ich mir auch genauso und bewusst vorgenommen. Um über das Leben zu schreiben muss man Leben. Ich erinnere mich an einen Film, da hat ein alter Schriftsteller einem jungen Möchtegern-Schriftsteller so richtig eins in die Fresse gegeben mit der Begründung, wenn er über jemanden schreiben wolle, der eins auf die Fresse gekriegt hat, dann müsse er auch wissen, wie sich das anfühlt. Finde ich sehr eingängig. Ich habe nämlich ernsthaft keine Lust, die Erste zu sein, die auf ihrem Sterbebett bereut, zu viel Zeit ihres Lebens fürs Bloggen verschwendet zu haben. Gut also: Mehr Leben ins Leben pressen. Das tue ich.

Mehr Leben im Leben bedeutet auch, mehr Auswahl für Blog-Themen treffen zu müssen. Schon mit meinen Reise-Themen hinke ich elendig hinterher, ganz zu schweigen nun vom wunderbaren Lieblingsbloggertreffen in München, einem noch ziemlich geheimen Theater in Brandenburg und mehreren Fotoprojekten. Aber da komme ich an meinem Perfektionismus nicht vorbei und scheitere schon an der Fotoauswahl. Über meine kleine Überforderung mit der Familie bei einem Bloggertreffen im Center Park Bispinger Heide wollte ich erzählen – und finde den Text bisher zu langweilig. Der Darß-Bericht steht noch aus, und dann gibt es noch dieses mega interessante kirgisische Unternehmen in Berlin… Außerdem die #bloggerfürflüchtlinge-Aktion und was die Fee und ein Grill damit zu tun haben.
Hätte der Tag nur 37 Stunden.

Larifari-Bloggerei, Flüchtlinge und die Bedrohung – wtf?

Sowieso, die Flüchtlinge. Irgendwann kamen die Meldungen vom LaGeSo, seitdem ist mein Leben ein bisschen umgeschmissen. Denn ich fühle mich mies, mein Leben hat sich verändert, und ich denke, das ist ab jetzt von Dauer, denn selbstverständlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Flüchtlinge vermehrt ankommen würden. Es wird in den nächsten Jahrzehnten so viel Scheiß auf der Welt geben, ob nun weitere Hungersnöte oder Kriege, Seuchen und Wassermangel, schlimme Naturkatastrophen durch die Erderwärmung… und vor allem das Übel der ungerecht verteilten Güter auf der einen und der unstillbare Konsumrausch auf der anderen Seite. Flüchtlinge, die im besser gestellten Teil der Welt ein Zuhause suchen, sind doch nur eine völlig logische Folge.

Und ich fühle mich bedroht, ja, und wie! Meine ganze Welt, von der ich dachte, dass ich sie nicht auf Sockel gestellt habe, ist ins Wanken geraten, denn: Ich fühle mich von den Rechten bedroht, von der Gewalt, die hier täglich herrscht. Soll mir bitte niemand sagen, ich sollte Verständnis für irgendwelche Ängste haben. Ich habe Verständnis für ÄNGSTE, ja, nicht aber für Rassismus, Gewaltverherrlichung, Menschenverachtung und schon gar nicht für Terrorismus, der seit Wochen in Deutschland täglich ausgeübt wird. Seit Wochen denke ich an meinen Großvater, der mir, als ich 10 Jahre alt war, eingeschärft hat, dass ich dafür verantwortlich bin, dass das Gedankenschlecht des Dritten Reiches nie wieder Macht erlangt in Deutschland. Aber jetzt ist es soweit, und ich und viele von uns haben es mit geschehen lassen. Und ich fühle mich bedroht und weiß jetzt, wie sich mein Großvater wohl `30 gefühlt haben mag. Keine hundert Jahre ist das her. Ich übertreibe? Das hoffe ich sehr.

Das lähmt mich und ich habe mich sehr schwergetan, über Larifari zu bloggen, während hier mitten im Deutschen Reich reichen Deutschland Menschen hungern und frieren müssen, die nach Hilfe rufen und andere Menschen Hilfsunterkünfte anzünden.
Aber natürlich finde ich es wichtig, dass das Leben weitergeht. Nachdem ich auf Instagram ein Bild von München gepostet hatte, schrieb jemand darunter, dass man doch um Himmels Willen in München kein Oktoberfest feiern könne, mit all den Flüchtlingen, die dort nicht wissen, wo sie schlafen und essen oder geschweige denn Leben können. Darüber habe ich nachgedacht, aber ich kann dem nicht zustimmen. Davon einmal abgesehen, dass es Öl ins Nazifeuer wäre – oder gemäßigt ausgedrückt, dass es den „Asylkritikern“ (wtf) ein paar Pros auf ihrer Ichhabsjagleichgesagt- und Jetztwirdallesanderswussteichesdoch- und Jetztdürfenwirgarnichtsmehr-Liste geben würde, finde ich es völlig falsch, in schweren Zeiten aufzuhören zu tanzen. Es ist ja nicht so, dass „wir“ gar nichts tun würden. Würde der König auf den Rücken seiner Sklaven tanzen, das wäre etwas anderes. Gerade jetzt aber ist es wichtig, auch gute Dinge zu feiern und den Menschen durch Traditionen Halt zu geben. Es ändert sich eben nicht alles, manche Dinge bleiben. Ob das allerdings gut ist, muss jeder selbst entscheiden. Dass man das Besäufnis Oktoberfest und die zig Gelder, die dafür ausgegeben werden, bescheuert finden kann, steht auf einem ganz anderen Blatt, diese Diskussion sollte man aber nicht auf dem Rücken von Flüchtlingen austragen.

Mein Blog, das Unding

Also blogge ich weiter, übers Reisen, über Unpolitisches, Tiny Häuser und Kirschkompott. Ja, auch mal über Flüchtlinge oder schlechtgestellte Brasilianische Kinder. Mir wird dann zwar jedes fucking Mal unterstellt, dass ich diese Themen wegen der Klicks ausgesucht habe – omg – aber so langsam gewöhne ich mich an den Vorwurf und wage die These, dass das von Leuten kommt, die da lediglich projizierend ein bisschen rumneidern. Bääm.

Ja, mein Blog hat keine Nische. Würde ich nach Klicks schreiben, würde ich mir eine totschicke Nische suchen. Aber ich habe keine Lust darauf. Meine Nische ist, wenn überhaupt, meine Fotografie und die Idee, den Blick zu weiten und zu winkeln, oder es wenigstens zu versuchen, ob ich nun auf der anderen Seite der Erdkugel bin oder in meinem Garten. Ich finde Kamele toll und schwärme für das ewige Eis. Ich liebe kleine Häuser und Blumen und Brandenburg, schaffe es nicht, dass mich mal ein Kamerahersteller sponsert und gebe viel zu viel Geld für Fotokrempel aus. Und auch zu viel Zeit. Ich finde SEO spannend und würde im Leben meine Artikel dafür nicht verbiegen. Ich sage dem Mann, dass er endlich mal einen Artikel schreiben soll, wie man Blog-Klone niedermacht oder ein Inhaltsverzeichnis in HTML erstellt, weil es mich schlicht zu viel Zeit kostet, alle E-Mail-Anfragen zu dem Thema einzeln zu beantworten. Ich habe mich bei Condor schon vor zwei Jahren mit dem Thema „Hilfsprojekte bewerben“ vorgestellt, weil ich es schon damals sinniger fand, das Gute mit dem Praktischen zu verbinden, statt über die bequeme Baureihe der Sitze in der neuen Fliegerklasse zu bloggen (no offense) – was übrigens auch ein Grund war, weshalb ich nie in die erlauchte Runde des Reiseblogger-Kodex (heute: Blogger-Kodex) eingetreten bin, weil da damals stand, dass kein kostenloser Content für kommerzielle Unternehmen erstellt werden darf – auch wenn ich die grundsätzliche Idee des Kodex gut finde. Mir geht er dann allerdings in anderen Teilen nicht weit genug, insbesondere, was die Transparenz über Sponsorings und bezahlten Content angeht. Ja, ich finde es irre wichtig, alle gesponserten Sachen offenzulegen, denn heute wird der Grundstein des Journalismus von morgen gelegt, und derzeit fangen die Grenzen an zu verschwimmen zwischen Journalismus, Bloggerei & Werbung. Aber das nur nebenbei.

Ich hätte gerne mehr Zeit zum Netzwerken und Leute kennenlernen. Damit so manche wissen, dass ich nicht nur das mäkelnde Unwesen bin.

Und dann ist da noch Ihrwisstschonwas

Obwohl ich also schon beruflich und jetzt auch blogtechnisch downgeshifted habe, ist mir derzeit mein Leben immer noch zu stressig. Das liegt einerseits an der Natur der Dinge, wenn man Familie und Hobbies und Arbeit gleichermaßen gerecht werden möchte und andererseits am scheiß Perfektionismus, den ich unbedingt abstellen muss und der mich gerade unendlich unter Druck setzt.
Vor allem aber liegt es momentan daran, dass ich derzeit gerne meine komplette Zeit in mein Projekt Antarktis stecken würde. Denn diese Reise, die kann ich ja nicht einfach so machen, die muss ich zelebrieren! Das ist schließlich meine Reise! Die Reise, auf die ich längst angefangen hatte zu sparen! Die Reise, von der ich wusste, ich würde sie eines Tages machen, aber dachte, dass das noch Jahre hin ist (ich habe mir eigentlich vorgestellt, dass ich bis dahin weise und schlau bin…). Es ist DIE REISE!

Also habe ich mir was ausgedacht und ackere gerade ständig im Hintergrund dafür, das wird dann in ein paar Wochen verraten. Denn so lange ist es ja gar nicht mehr hin, ohmeingottohmeingott, es sind noch genau 44 Tage, bis es losgeht!

Antarctica, Paradise Bay. ©blickgewinkelt.de

Antarctica, Paradise Bay. Aufgenommen 2013. ©blickgewinkelt.de

Und was ich eigentlich sagen wollte

Was ich eigentlich sagen wollte nach all dem Blablablubb (yeiiiiii! geschafft!) ist: Ich bin genauso da wie früher, es sieht nur alles ein bisschen anders aus und fühlt sich ein bisschen anders an, aber das ist normal, so muss das doch im Leben, denn da bleibt alles anders, alles fließt.
Und ich hoffe, Ihr kommt ein bisschen mit an Bord, wenn es bald heißt: Antarctica, ich komme!